# taz.de -- Parlamentswahl in Polen: Donald Tusk kann weitermachen | |
> Die liberalkonservative Bürgerplattform PO wird stärkste Kraft. Und die | |
> linke und antiklerikale Protestpartei "Palikot-Bewegung" erreicht auf | |
> Anhieb rund 10 Prozent. | |
Bild: Jubel und Erleichterung: Wahlsieger Donald Tusk nach Bekanntgabe der Erge… | |
WARSCHAU taz | Der Jubelschrei von Polens Premier Donald Tusk hallte in | |
ganz Polen wider: 39 Prozent für seine liberalkonservative Bürgerplattform | |
(PO). Das war der Sieg. Überall in Polen liefen am Sonntag ab 21 Uhr die | |
Fernseher. Viele junge Leute hatten erstmals zu Wahlpartys eingeladen. Auch | |
sie hofften auf einen Erfolg. Und tatsächlich: Nur wenige Sekunden nach | |
Tusk jubelte auch Janusz Palikot, der Shootingstar der Parlamentswahlen. | |
Seine antiklerikale und linke Protestpartei "Palikot-Bewegung" wurde mit | |
rund 10 Prozent auf Anhieb zur dritten Kraft im Abgeordnetenhaus. | |
Lange Gesichter hingegen machten die Anhänger von Jaroslaw Kaczynski und | |
seiner rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Statt die | |
Regierung zu übernehmen, müssen sie mit 30 Prozent wie bisher die | |
Oppositionsbank drücken. Die Niederlage war so klar, dass Kaczynski sie | |
sofort anerkannte. Eine Wahlanfechtung wird es wohl nicht geben. | |
Grabesstimmung herrschte bei den Sozialisten (SLD). Unter dem farblosen | |
Grzegorz Napieralski fuhr die Partei mit 7,7 Prozent das schlechteste | |
Ergebnis seit 1990 ein. Es besiegelt das Ende von Napieralskis politischer | |
Karriere. Das war schon am Wahlabend klar. Er werde in den nächsten Tagen | |
seinen Rücktritt vom Parteivorsitz bekannt geben, erklärte Katarzyna | |
Piekarska von der SLD am Montag. | |
Waldemar Pawlak hingegen, dessen gemäßigte Bauernpartei PSL bisher den | |
Koalitionspartner in der PO-geführten Regierung gestellt hatte, lächelte | |
nur zufrieden. Die 8,6 Prozent der Stimmen sind zwar kein großartiges | |
Ergebnis, aber sie reichen, um die Koalition fortzusetzen. Schon am Montag | |
begann Tusk mit Gesprächen. Er will dem Präsidenten möglichst schnell eine | |
neue Regierung vorstellen. | |
## Das Land bleibt gespalten | |
Für alle Parteien enttäuschend fiel die Wahlbeteiligung aus. Nicht einmal | |
die Hälfte aller Wahlberechtigten stimmten am Sonntag ab. Bei den letzten | |
Wahlen vor vier Jahren waren es über 50 Prozent gewesen. Straßenbefragungen | |
brachten an den Tag, dass viele Polen bis heute denken, dass ihre Stimme | |
"nichts wert" sei und "sowieso die anderen entscheiden". Politische | |
Beobachter in Polen mahnten schon vor den Wahlen an, dass die | |
Staatsbürgerbildung zu kurz gekommen sei und es hier dringenden | |
Nachholbedarf gebe. | |
So hat sich an der tiefen Spaltung der Gesellschaft in Stadt und Land, Arm | |
und Reich, Jung und Alt nichts geändert. Die Bewohner West- und | |
Zentralpolens, die Jungen und Gebildeten stimmten, für Tusk und seine | |
europafreundliche PO, die Bewohner Ostpolens einschließlich Krakau und | |
Lublin, die Alten und schlechter Gebildeten, für Jaroslaw Kaczynski und | |
seine nationale und rückwärtsgewandte PiS. | |
Während des Wahlkampfs hatte ein Paprikapflanzer, dem ein Sturm die | |
Foliengewächshäuser davongeweht hatte, den Premier völlig verzweifelt | |
gefragt: "Wie leben?" Tage später brachte ihm Kaczynski neue Folie, und der | |
Mann sah wieder hoffnungsvoll in die Zukunft. | |
Gerade Dorfbewohner und ältere Menschen in Polen, die sich über Jahrzehnte | |
daran gewöhnt hatten, dass Gott und die Partei all ihre Probleme lösten, | |
kommen mit dem Alltag heute nicht klar. Demokratie und Marktwirtschaft | |
überfordern sie. | |
Ganz anders die Wähler von Tusk und Palikot. Doch während den einen der | |
konservativ-europafreundliche Kurs der PO ausreicht, wollen die | |
Palikot-Anhänger mehr Freiheit und die Trennung von Staat und Kirche. Sie | |
fordern, dass die katholische Kirche weniger Einfluss auf das | |
gesellschaftliche Leben ausübt und sich auf ihre eigentliche Aufgabe, die | |
Seelsorge, beschränkt. | |
Bei der Gesetzgebung zu homosexuellen Partnerschaften, | |
In-vitro-Befruchtung, Schwangerschaftsverhütung, Sexualerziehung und dem | |
Scheidungsrecht solle die Kirche nicht mehr ein so starkes Mitspracherecht | |
haben wie bisher. Dass rund 10 Prozent der Wähler für diese Protestpartei | |
gestimmt haben, zeigt den großen Wandel, den die polnische Gesellschaft | |
zurzeit durchmacht. | |
10 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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