# taz.de -- Abschiebung von hier geborenem Tunesier: Täter war nicht genug ver… | |
> Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden. Er | |
> erlaubt die Ausweisung eines in Deutschland geborenen, aber straffälligen | |
> Tunesiers. | |
Bild: T. klagte gegen seine Ausweisung, es half nicht. | |
BERLIN taz | Ausländer können auch dann aus Deutschland ausgewiesen werden, | |
wenn sie hier geboren wurden. Das entschied jetzt der Europäische | |
Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Ein 28-jähriger Tunesier aus | |
Bielefeld muss Deutschland nun wohl verlassen. | |
Der Tunesier Mourad T. war 1983 in Deutschland geboren worden und hier | |
aufgewachsen. Schon als Jugendlicher fiel er mit Straftaten wie Diebstahl | |
und Hehlerei auf. Bis zu seinem 20. Geburtstag wurde er achtmal verurteilt, | |
etwa wegen Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Drogendelikten. | |
2003 wurde gegen T. eine Gesamtstrafe von vier Jahren Haft nach | |
Jugendstrafrecht verhängt. | |
Nach dem deutschen Ausländergesetz ist ein Ausländer allerdings zwingend | |
auszuweisen, wenn er zu einer Haftstrafe von mehr als drei Jahren | |
verurteilt wurde. Dieser Automatismus gilt zwar nicht für EU-Bürger und | |
Türken, weil hier milderes EU-Recht dem deutschen Recht vorgeht. Der | |
Bielefelder T. ist jedoch Tunesier und musste von den Behörden daher | |
ausgewiesen werden, das heißt er verlor sein Aufenthaltsrecht in | |
Deutschland. | |
T. klagte gegen die Ausweisung. Alle seine sozialen Bezüge seien in | |
Deutschland, zu Tunesien habe er keinerlei Verbindung. Er berief sich dabei | |
auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Straßburger Gerichtshofs | |
für Menschenrechte. Beide Gerichte lehnen automatische Ausweisungen bei | |
Ausländern ab, wenn diese in ihrem Aufenthaltsstaat verwurzelt sind. Das | |
Bundesverfassungsgericht sah 2006 jedoch T.s Ausweisung angesichts seines | |
Sündenregisters als verhältnismäßig an. | |
## Kein Standard | |
T.s letzte Hoffnung war deshalb der Europäische Gerichtshof für | |
Menschenrechte. Doch auch dort scheiterte der Tunesier jetzt mit seiner | |
Beschwerde. Die Ausweisung sei zwar ein Eingriff in sein "Recht auf | |
Privatleben", die Maßnahme sei aber gerechtfertigt. | |
Zunächst prüften die Straßburger Richter, ob inzwischen ein generelles | |
Ausweisungsverbot für verwurzelte Ausländer angenommen werden kann. Sie | |
stellten fest, dass nur wenige europäische Staaten einen absoluten | |
Ausweisungsschutz für solche Fälle kennen. Es bestehe also kein allgemeiner | |
Standard. | |
Es blieb also die Einzelfallprüfung. Dabei stellten die Richter fest, dass | |
T. sich nicht besonders um seine Integration in Deutschland bemüht hatte. | |
Außerhalb seiner Familie habe er kaum soziale Bezüge. Er habe nicht | |
versucht, seine Aufenthaltserlaubnis, die 2002 abgelaufen war, zu | |
verlängern. Auch einen Antrag auf Einbürgerung habe er nicht gestellt. | |
Dagegen seien seine Straftaten schwerwiegend und teilweise gewalttätig | |
gewesen. | |
Nach Angaben von T.s Anwältin Catrin Hirte-Piel macht der Mann gerade | |
seinen Realschulabschluss an einer Abendschule. Da er keine tunesischen | |
Papiere habe, stehe eine Abschiebung nicht unmittelbar bevor. | |
Az.: 41548/06 | |
13 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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