# taz.de -- Kolumne Macht: Blöde Sabotage, linke Sternchen | |
> Der Vandalismus in Berlin ist eine unintelligente Form des Protests. | |
> Leider ist die Reaktion darauf ein unintelligenter Reflex. | |
Mit Sabotageakten gegen die Bahn wollen die Täter dem Vernehmen nach gegen | |
die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan protestieren. Ob sie | |
selber glauben, dass diese Strategie ihnen begeisterte Anhänger in Scharen | |
zutreibt? Inhaltlich ist das ungefähr so blöd, wie der von einem Vertreter | |
der Polizeigewerkschaft bemühte Vergleich zwischen diesem Vandalismus und | |
der Geschichte der RAF. Auf einen unintelligenten Reflex als Reaktion auf | |
eine unintelligente Form des Protests ist stets Verlass. Wenn man es recht | |
bedenkt: auch als Reaktion auf intelligente Formen des Protests. | |
Verlass ist noch auf etwas anderes, nämlich auf eine tiefe Sehnsucht in | |
weiten Teilen des links-liberalen Spektrums in Deutschland nach einer | |
Massenbewegung mit klugen Forderungen. Jedes Mal, wenn sich in den letzten | |
Jahren Globalisierungskritiker versammelt haben oder Atomkraftgegner oder, | |
wie jetzt in den USA, Gegner des Bankensystems, dann leuchten Sternchen in | |
den Augen mancher Linker auf, und sie scheinen zu glauben, dass die Macht | |
der Straße nun endlich dafür sorgen werde, dass es gerecht zugeht auf der | |
Welt. | |
Unnachahmlich hat das nun Sahra Wagenknecht auf den Punkt gebracht. Die | |
stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei wünscht sich | |
Anti-Banken-Proteste nach dem Vorbild der USA und verspricht, ihre Partei | |
werde "alles dafür tun", dass auch in Deutschland eine solche Bewegung | |
entstehe. Sehr hübsch. Eine Bundestagspartei organisiert den Straßenkampf. | |
Der Programmparteitag am nächsten Wochenende in Erfurt verspricht lustig zu | |
werden. | |
Bei westdeutschen Linken ist oft eine nostalgische Sehnsucht nach der | |
Achtundsechziger-Bewegung zu spüren. Die ich viel sympathischer finde als | |
das reaktionäre, modische und geschichtsvergessene Bashing dieser Bewegung | |
von Leuten, die sich selber ebenfalls dem linksliberalen Spektrum zuordnen, | |
aber die großen gesellschaftspolitischen Erfolge der Achtundsechziger | |
schlicht leugnen. Oft nur deshalb, weil sie die alten Heldengeschichten | |
nicht mehr hören können. Das ist unpolitisch - aber leider ist auch die | |
Sehnsucht nach einem Wiedererstarken der Massenproteste von einst nicht | |
viel rationaler. | |
Das liegt nicht daran, dass etwa die Forderungen der Bankenkritiker | |
unberechtigt oder gar falsch wären, das sind sie nicht. Es liegt an | |
fundamental unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen | |
Voraussetzungen. Die Achtundsechziger sahen sich einem satten, arroganten | |
Establishment gegenüber, das von keinerlei Selbstzweifeln geplagt war. | |
Beide Seiten wussten, was sie wollten, beide Seiten waren davon überzeugt, | |
dass ihre Vorstellungen durchsetzbar waren. Auf dieser Ebene lässt sich ein | |
Machtkampf gut führen. | |
Davon kann heute keine Rede mehr sein. Manche Spitzenpolitiker würden am | |
liebsten selbst demonstrieren gehen. Kann man sicher sein, dass Obama nicht | |
heute auf einer Kundgebung sprechen würde, wäre er nicht zum US-Präsidenten | |
gewählt worden? Die Bankenkritiker rufen ihre Sprechchöre in ein Vakuum der | |
Macht hinein und sehen auf der Gegenseite ratlose Gesichter. Schlechte | |
Voraussetzungen für klare Lösungen. | |
Das Chaos in London, der verzweifelte Aufschrei in Griechenland - ja, und | |
vielleicht sogar die Sabotageakte gegen die Bahn: Diese hilflosen | |
Demonstrationen eigener Schwäche entsprechen weit eher dem Zeitgeist als | |
die Bankenproteste. Leider. | |
14 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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