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# taz.de -- Reflexionen über Fett: Butterbrot und Peitsche
> In Dänemark gibt es jetzt eine Fettsteuer. Und hierzulande? Zumindest in
> der Oberschicht ist man skeptisch gegenüber Ungesundem.
Bild: Fett gilt im neuen Bürgertum nicht mehr als standesgemäß. Gefressen wi…
Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern." So lautet
eine universelle Wahrheit, die wir dem amerikanischen Schriftsteller,
Wissenschaftler und Politiker Benjamin Franklin verdanken. Nunmehr,
allerspätestens in diesem neuen Jahrtausend, wird immer deutlicher, dass es
sogar einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Zuständigkeitsbereich
des Finanzamts und dem Ableben des einzelnen Menschen gibt. Gemeint ist
hier weder die Erbschafts- noch die Kirchensteuer, sondern die auf
Gesundheit abzielende Steuer.
In Dänemark zum Beispiel gibt es seit Kurzem eine Fettsteuer. Die Dänen
sollen fürderhin vernünftig, also möglichst fettfrei essen. Ausgerechnet in
dem Land, in dem das "Smörrebröd" - das Butterbrot nämlich - als
Nationalspeise gilt, ist nun eine pädagogische gemeinte und im Ergebnis
hochprofitable Steuer in Kraft, die das Päckchen Butter um dreißig Cent
teurer macht.
In Ungarn gibt es bereits eine "Chipssteuer" auf ungesunde Lebensmittel,
und in England sowie der Schweiz dräuen vergleichbare Diskussionen - nur in
Deutschland, so scheint es, traut man sich noch nicht so richtig. Man ist
hier in Fragen der Prohibition ein wenig hintendran, zumindest im Vergleich
mit den skandinavischen Ländern, die schon versucht haben, das Rauchen und
Trinken durch massive Steuererhöhungen einzuschränken. In Deutschland hat
man zwar die Tabaksteuer erhöht und teilweise Rauchverbote durchgedrückt,
wagt sich aber erst allmählich an den Alkohol heran.
Die Taktzahl der veröffentlichten und diskutierten Studien, die auf die
Gesundheitsrisiken des Saufens hinweisen, nimmt spürbar zu. Von Schnitzel,
Butterbrot und Frittierfett ist bislang jedoch meist nur im Zusammenhang
mit Kindern die Rede, doch eben von dort - also dem Wohl der zu
pädagogisierenden Kinder - ist es argumentativ nicht mehr weit bis zur
Bevormundung des Erwachsenen.
Ein erster Schritt könnte eine Problematisierung des "Passivfettkonsums" in
der Nähe von Fritteusen sein, also etwa Imbissbuden im öffentlichen Raum.
Nur ein Witz? Abwarten.
## Deutschland hängt am Fett
Aber wir sind hier ja nicht in Dänemark: Eben. In Deutschland hängt man am
Fett, zum einen, weil es integraler Bestandteil der hiesigen Küche ist, zum
anderen, weil die kollektive Hungererfahrung im Anschluss an das Ende des
Zweiten Weltkriegs durch die noch immer präsente Kriegskindergeneration
(und deren Nachwuchs) in das Bewusstsein eingeschrieben ist. Fett! Fett war
nach dem Krieg eine Verheißung, die in Form von Care-Paketen über den
Atlantik kam. Man träumte von Bratkartoffeln und Buttercremetorten. Der
Begriff "gute Butter" stammt aus dieser Zeit, der irgendwann jene fetten
Jahre folgten, von denen man nun krisenbedingt annimmt, dass sie vorbei
seien.
Das neue Bürgertum aber ist kritisch gegenüber dem Fett, jenem
Schmierstoff, der einst den körperlich hart arbeitenden Teil der
Bevölkerung in Betrieb hielt - begleitet von der ein oder anderen
Zigarette, dem ein oder anderen Bier. Das neue Bürgertum übt Arbeiten aus,
die keinen körperlichen Einsatz erfordern, aber einen repräsentativen,
leistungsfähigen Körper. Fett, Nikotin und Alkohol dienen zwar auch diesem
Stand noch als Nervennahrung und Psychopharmaka-Ersatz, gelten aber als
nicht mehr standesgemäß. Gesoffen, gefressen und geraucht wird nur noch in
der Unterschicht, deren körperliche Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wird.
Low-Fat. No-Fat. De-Caff. Sugar-Free. In den USA lässt sich der
gesellschaftliche Stand schon länger an der Skalenhöhe der Waage ablesen.
Und auch in Deutschland werden die Eliten in den Zeiten nach Kohl immer
flacher beziehungsweise dünner. Die protestantische Kargheit hat im
wiedervereinigten Deutschland ein Übergewicht bekommen, das dünn
geschnittene und mit Margarine bestrichene Graubrot verdrängt
Schweinsbraten, Schmalz und Saumagen. Das Essen wird zu einer Orgie der
Vernunft, und am Freitag gibt es nicht mehr Fisch im Angedenken an Jesus
Christus, sondern vegetarische Polenta mit Schmorgurke, des Klimawandels
wegen.
Die deutsche Mittelschicht wird sicher kreativ sein, wenn es darum geht,
ihre eigenen Lebensauffassungen allen aufzudrücken. Die Fettsteuer im
Gewande der Gesundheitsfürsorge - von ihr wird auch hierzuland noch zu
hören sein. Bis dahin aber müssen die Steuerbehörden nicht darben. Es wird
auf indirektem Wege Geld in sie gespült werden, nämlich bedingt durch
Hunderttausende von Fett-Touristen aus den Nachbarländern. Die Skandinavier
werden nicht nur wie bislang entgrenzt deutsche Bierschwemmen bevölkern,
sondern sich heißhungrig Würste, Pizzen, Schmalzkringel, Pommes und Döner
reinpfeifen.
15 Oct 2011
## AUTOREN
Martin Reichert
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