# taz.de -- Dokumentarfilm-Tagung in Köln: Blick in die postkapitalistische Zu… | |
> Eine Tagung in Köln fragte nach der Politik im aktuellen Dokumentarfilm. | |
> Dabei gab es mehr Irritationen als Erkenntnis - produktiv wars trotzdem. | |
Bild: Bieten Stoff für Dokumentarfilme: New Yorker Wall-Street-Besetzer. | |
KÖLN taz | Auf der Webseite des amerikanischen Film-Newsletters | |
[1][Indiewire.com] [2][http://www.indiewire.com/] kursiert eine Liste von | |
zehn Dokumentarfilmen, die - so die Herausgeber - ersatzweise für die nie | |
gestellten Forderungen der New Yorker Wall-Street-Besetzer stehen könnten. | |
Das schmeichelt den Produzenten solch engagierter Filmkunst wie Michael | |
Moore, der mit zwei älteren Filmen dort vertreten ist und den Aktivisten ja | |
auch schon seine Aufwartung gemacht hat. Perfektes Timing auch für eine | |
Tagung zur Interaktion von Dokumentarfilm und Politischem, auf deren Flyer | |
ein Bild des Filmemachers prangt, der mit hochgerecktem Kämpferkinn in die | |
postkapitalistische Zukunft schaut. | |
Das Thema liegt schon länger in der Luft, wie etwa die diesjährige Summer | |
School des Berliner Kinos Arsenal, die essayistisch begleitete Kurzfilm-DVD | |
„Back to Politics“ oder auch eine Tagung zum „politischen Film heute“ d… | |
Friedrich-Ebert-Stiftung 2009 nahelegen. Und natürlich die Filme selbst - | |
die in den letzten Jahren erfolgreich mit meist globalisierungskritischer | |
(“Lets Make Money“) oder klimapolitischer (“The Age of Stupid“) Agenda … | |
den Start gingen und damit manchmal bis ganz oben in die mediale | |
Öffentlichkeit aufsteigen wie gerade „Taste the Waste“, der es bis in die | |
Jauchsche Talk-Runde schaffte. | |
„Dokumentarfilm und Politik - Politiken des Dokumentarfilms“ hieß die von | |
der Dokumentarfilminitiative Nordrhein-Westfalen veranstaltete und | |
inhaltlich von der Diskurswerkstatt Bochum/Dortmund ausgestaltete Tagung, | |
die aus der kritischen „Kartografie eines diskursiven Konjunkturfeldes“ das | |
Spannungsfeld zwischen den Erwartungen an Wirksamkeit, der Autonomie | |
künstlerischer Intervention und den Zwängen medialer Praxis untersuchte: | |
Ein Raum, der über das Kino hinaus Fernsehen, Videoarbeiten und Kunst | |
umfasst. | |
Dabei waren Moore wie auch die aktuellen Antiglobalisierungs- oder | |
„Foodwatch-Filme“ nur Ausgangspunkt einer Reise, die vom Aktionismus des | |
Bewegungsfilms zu Arbeiten führte, die konventionelle Formen der | |
Repräsentation - etwa in Zeitzeugen-Interviews - durch vielfältige | |
Strategien unterlaufen. Und am Ende verwarf Brigitta Kuster im Rückgriff | |
auf Tonio Negri und Marguerite Duras den Begriff des Dokuments ganz. | |
Nur vier Filme wurden komplett gezeigt, das elaborierte Diskursniveau gab | |
einen hohen akademischen Ton an, der auch in den einzelnen Referaten | |
auffällig oft aufs gleiche theoretische Zentrum rekurrierte: auf die | |
Arbeiten des Althusser-Schülers Jacques Rancière, dessen Begriff des | |
Politischen sich in der Abgrenzung von der „polizeilichen Ordnung“ am | |
Dissens festmacht. Filmästhetisch geht es darum, das „Feld der Sicht- und | |
Sagbarkeiten“ gegenüber dem repräsentativen Konsens-Regime zu erweitern und | |
das zu zeigen, wofür es noch keine Sprache gibt: Brüche und | |
Mehrdeutigkeiten als ästhetische Qualität. Differenzen aufzeigen, statt | |
Stellung zu beziehen. | |
## Hundertausende Handyfilmchen aus der ganzen Welt | |
In Anlehnung an postkoloniale Theorien steht dabei einer Sinnstiftung, die | |
mit der Aneignung ausgewählter Zeugenberichte auch deren Enteignung | |
betreibt, die Forderung nach Selbstrepräsentation gegenüber. Die | |
diesbezügliche aktuelle Praxis, derzeit in Hunderttausenden Handyfilmchen | |
aus der ganzen Welt im Netz zu sehen, blieb allerdings weitgehend | |
ausgeklammert. | |
Vielstimmigkeit war bei den Debatten angesagt, wo zwischen prall gefülltem | |
Saal und Podium die Redeweisen munter durcheinander und auch aneinander | |
vorbei purzelten: Akademiker, Medienleute und Filmemacher haben einen oft | |
kaum kompatiblen Jargon, nicht immer machte man sich gegenseitig | |
verständlich. Doch auch wenn manchmal auf den ersten Blick mehr Irritation | |
als Erkenntnis zurückblieb: Es ist produktiv, das Gespräch zwischen solch | |
unterschiedlichen Ansätzen und Positionen überhaupt angestiftet zu haben. | |
Und die so angestoßenen Denkbewegungen dürften noch lange den Blick | |
schärfen. | |
Klaus Theweleit, der prominenteste Referent, glänzte in einem bizarren | |
Auftritt als Pausenclown, der erst die Sinnhaftigkeit jeder theoretischen | |
oder kritischen Beschäftigung mit Film bestritt und das dann mit dem | |
Kurzfilm „Eure Kinder werden so wie wir“ zu belegen suchte: Eine | |
Vorführung, die doch nur die Kontingenz der eigenen Deutung (und damit das | |
Gegenteil des Intendierten) bewies. | |
Da merkt einer nicht mehr, wie viel Welt mittlerweile vorbeigeflossen ist. | |
Dem großartigen Film von Andree Korpys und Markus Löffler, der ganz diskret | |
und doch investigativ die Räume an den Rändern polizeilich-staatlicher | |
Großinszenierungen in Gorleben und Heiligendamm untersucht, hat das zum | |
Glück nicht geschadet. | |
16 Oct 2011 | |
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## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
## TAGS | |
Michael Moore | |
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