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# taz.de -- Debatte Piratenpartei: Von wegen transparent
> Die Piraten sind spannend, weil sie Trends in der sich zunehmend
> politisierenden Mittelschicht sichtbar machen. Auch ihr Sexismus ist
> typisch.
Bild: Daumen hoch fürs Berliner Abgeordnetenhaus. Daumen runter für die Fraue…
Bei der Piratenpartei ist viel von Transparenz, viel von Lernen und viel
von Bürgerbeteiligung die Rede. Von allem will man mehr, denn nur so ließen
sich die Etablierten in Politik und Wirtschaft wieder in die Verantwortung
nehmen.
Gleichzeitig reagieren die parlamentarischen Newcomer auf die Kritik, kaum
Frauen in den Reihen zu haben und auch kaum Wählerinnen, mit dem frechen
Verweis, man blicke Leuten nicht zwischen die Beine, man sei "postgender".
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ruf nach mehr Durchsichtigkeit und
mehr Bürgerbeteiligung und der Weigerung, fehlende Piratinnen als
strukturelles Problem zu begreifen? Zwischen dem Ruf nach mehr
Partizipation und der klaren Ablehnung der Quote? Ja, den gibt es - und
auch diese Haltung spiegelt einen aktuell wichtigen Trend in der
Bundesrepublik wider.
Die Piraten sind spannend, weil sie sichtbar machen, was in der Luft liegt,
wohin die Reise gehen könnte und dass Geschlechtergerechtigkeit kein
Selbstläufer ist. Auch bei den jungen Leuten nicht. Ob sie als Partei
überleben oder nicht, ist dabei gar nicht entscheidend.
## Transparenz als Kampfbegriff
Mehr Transparenz und der Wille, die Hintergründe von Finanz- und Eurokrise
besser verstehen zu können, das waren auch die Losungen, die bei den
Occupy-Protesten am Wochenende in deutschen Städten immer wieder zu hören
waren. Transparente mit dem Slogan "Wir wollen verstehen" sollten die
politisch Verantwortlichen an ihre Erklärungspflicht erinnern. Auch die
Piraten gewannen viele Sympathisanten mit dem Wahlspruch: "Wir sind die mit
den Fragen".
Mangelnde Transparenz - das ist eine beliebte Analyse dafür, warum Politik
und Finanzwelt sich so weit von den Bedürfnissen der Mehrheitsbevölkerung
distanzieren konnten. Doch wo bleibt die Machtfrage? Wenn wir wissen,
welche Gruppe sich wie bereichert, was machen wir dann?
Geht es um gesellschaftliche und betriebliche Rekrutierungsmechanismen,
geht es um Verteilungspraktiken dann verhallt der Ruf nach mehr Durchsicht
auffällig schnell. Wiederum macht das Statement der Piraten, sie seien
"postgender", diese Inkonsequenz besonders deutlich.
Der Trick dabei ist folgender: Mit der Selbstbeschreibung als "postgender",
also als von Geschlechterzuschreibungen emanzipiert, wird ein zentrales
feministisches Ziel mal eben zum Status quo erklärt, nämlich dass
Geschlecht nicht mehr ausschlaggebend sei für die Position, die eine Person
in der Gesellschaft oder am Arbeitsplatz einnimmt. Das wäre sehr schön, ist
aber leider blanker Unfug.
## Das Leben nach dem Konflikt
Trotzdem ist die Behauptung von praktischem Wert. Die Tatsache, dass sich
in der Piratenpartei fast nur Männer finden ebenso wie in den
Führungsetagen der Firmenhäuser, wird mit der Behauptung, Geschlecht sei
als Ordnungskategorie längst überwunden, der Diskussion entzogen.
Privilegien werden abgesichert.
Der Männerüberschuss ist dann kein strukturelles Problem mehr, höchstens
ein individuelles, von Frauen. Wenn sie nur wollten, könnten sie ja
teilnehmen. Postgender behauptet eine Ära nach dem Konflikt, nach dem Kampf
um Machtpositionen, alles ist freiwillig und im Fluss. Auch das Fehlen von
Frauen in Führungspositionen. Quote? Um Gottes willen.
Sie sei ein grundfalsches Regulierungsinstrument, denn sie schränke
fließende Identitäten und freie Selbstbestimmung ein. In dem Sinne ist man
liberal, nicht links. Partizipation wird nicht mit Verteilungsfragen gar
Umverteilungsfragen verknüpft. Und so liegt postgender auf einer Ebene mit
postpolitisch und posthistorisch.
Anders gesagt: Erst die Macht- und Geschichtsvergessenheit erlaubt eine so
definierte geschlechtsneutrale Liberalität. Wie aber sollte man die Finanz-
und Bankenkrise, mithin die gigantische Umverteilung von Steuergeldern und
privaten Ersparnissen in den letzten Jahren an eine schmale, vorwiegend
männliche Elite verstehen, ohne Machtinteressen zu benennen?
## Auch der "Tatort" ist postgender
Woher rührt diese Berührungsangst vor der Frage: "Wem nutzt es?" Dieses
Überspringen von Konfliktlagen bei zeitgleicher Wiederbelebung von
Partizipationsanliegen kommt nicht aus dem Nichts. Es hat eine Geschichte
und es hat einen kulturellen Kontext und beides lässt sich leichter
nachvollziehen, wirft man einen Blick auf die deutsche
Unterhaltungsindustrie. Unsere Vorstellungen von Normalität werden ja
wesentlich von der Massenkultur, also auch dem Fernsehen geprägt. Nehmen
wir etwa der Deutschen Lieblingskrimi, den "Tatort".
Generationenübergreifend beglücken sich am Wochenende bis zu acht Millionen
ZuschauerInnen mit urdeutschen Geschichten vom Verbrechen und seiner
Aufklärung, also der gelungenen Wiederherstellung einer stets verletzlichen
und verletzten Ordnung. Wie noch nie zuvor in seiner 41-jährigen Geschichte
featuret der "Tatort" leistungsstarke Kommissarinnen.
Er greift damit die virulente Diskussion um Gleichberechtigung und Frauen
in Führungspositionen auf - und entpolitisiert sie. Denn auch hier haben
leistungsstarke Frauen ihren Ort in ehemals männlich dominierten
Institutionen bereits gefunden. Auch hier herrscht entgegen jeder Empirie
postgender.
Ausgerechnet in der fiktionalen Nachbildung einer nach wie vor extrem
männlich dominierten Institution wie der Kripo und einem so männlich
dominierten Verbrechen wie dem Mord ist die Geschlechterdifferenz kein
Thema mehr. So viel Konfliktscheue ist bemerkenswert und sie hat mit
mangelnder Transparenz nichts zu tun. Wie wenig Ermittlerinnen es gibt und
wie selten Frauen in Führungsetagen insgesamt sind, das alles ist bekannt
und wird endlos diskutiert.
Weniger bekannt und diskutiert sind die Mechanismen, wie Sexismus heute
funktioniert, wie Frauen klein und die gläserne Decke intakt gehalten wird.
Mehr Einblick in diese Verteilungskämpfe, mehr Mut zum Konflikt auch in der
TV-Kultur, könnte einen Beitrag dazu leisten, sich insgesamt konstruktiver
mit Machtfragen zu beschäftigen. Der Ruf nach Transparenz allein ist
zahnlos und Konfliktscheue in Zeiten wild gewordener Eliten gefährlich.
Auch für Männer.
18 Oct 2011
## AUTOREN
Ines Kappert
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