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# taz.de -- Studie zu Missbrauch an Kindern: Weniger sexuelle Gewalt
> Das Kriminologische Forschungsinstitut stellt in einer Studie einen
> starken Rückgang von Sexualdelikten an unter 16-Jährigen fest. Das
> Nottelefon soll es trotzdem weitergeben.
Bild: Überwiegend findet Missbrauch in der Familie und im Bekanntenkreis statt.
BERLIN taz/epd | Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist
in Deutschland seit dem Jahr 1992 stark zurückgegangen. Während seinerzeit
noch 8,6 Prozent der Frauen und 2,8 Prozent der Männer angaben, bis zum 16.
Lebensjahr eine Missbrauchserfahrung mit Körperkontakt zum Täter gemacht zu
haben, sanken diese Anteile bei der aktuellen Befragung in diesem Jahr auf
6,4 bzw. 1,3 Prozent.
Das geht aus einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts
Niedersachsen hervor, die Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) in
Auftrag gegeben hat und deren erste Ergebnisse am Dienstag in Berlin
vorgestellt wurden.
Schavan, die am Runden Tisch gegen sexualisierte Gewalt beteiligt ist,
sagte, die "Kultur der Aufmerksamkeit" zeige offenbar Wirkung. Allerdings
sei die Studie kein Grund, das nationale Nottelefon für Opfer abzuschalten:
"Die Hotline ist als professionelle Anlaufstelle für den ersten Hilferuf
sehr wichtig."
Der Direktor des Kriminologischen Instituts, Christian Pfeiffer, sagte, die
Ergebnisse seien ermutigend, böten jedoch keinen Anlass, sich
selbstzufrieden zurückzulehnen. Er nannte als Grund für den Rückgang, dass
in den Medien eine "Hinwendung zu den Opfern" stattgefunden habe. Es sei
leichter geworden, über Sexualität zu sprechen: "Die Scham ist vorbei."
## 11.500 Personen befragt
Pfeiffers Zahlen konstatieren einen erheblichen Rückgang. Unter den 31- bis
40-Jährigen hatten 8 Prozent eine Missbrauchserfahrung hinter sich, bei den
21- bis 30-Jährigen waren es 6,4 Prozent - und bei den 16- bis 20-Jährigen
2,4 Prozent. Die jüngste Gruppe der Befragten zeigte in schweren Fällen den
Missbrauch am häufigsten an (40 Prozent). Für die Studie wurden 11.500
Personen zwischen 16 und 40 Jahren befragt. Die sensiblen Fragen zur
sexuellen Gewalt konnten die Interviewten anonym beantworten.
8,6 Prozent der Opfer nannten Lehrer als Täter. Doch ganz überwiegend
findet Missbrauch in der Familie und im Bekanntenkreis statt. 48,3 Prozent
der Frauen gaben an, von männlichen Bekannten missbraucht worden zu sein.
41 Prozent der Frauen nannten Väter, Stiefväter und - an erster Stelle -
Onkel. Bei den männlichen Opfern nannten 28 Prozent einen Bekannten als
Täter, 42 Prozent einen männlichen Familienangehörigen.
Erstmals wurden auch die größten Migrantengruppen in Deutschland befragt.
Während 7 Prozent der deutschen Mädchen Opfer wurden, waren es nur 1,7
Prozent der türkischen Mädchen. Das liege daran, dass junge Türkinnen "viel
behüteter aufwachsen", sagte Pfeiffer. Bei ihnen finde kaum Missbrauch
außerhalb der Familie statt.
## Mehr als 10.000 Anrufe beim Sorgentelefon
Die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für die Aufklärung
sexuellen Kindesmissbrauchs, Christine Bergmann, sagte der taz, "für
Entwarnung gibt es keinen Grund". Die ehemalige Bundesministerin freute
sich, dass es einen Rückgang gebe. Zugleich sagte sie: "Es muss weiter
aufgeklärt werden. Wenn Öffentlichkeit wirkt und die Menschen
sensibilisiert, dann müssen wir sagen: Jetzt erst recht mehr
Öffentlichkeit!"
Bergmann hatte durch eine vielbeachtete Anzeigenkampagne die sexuelle
Gewalt sichtbar gemacht. Bei ihrem Sorgentelefon gingen über 10.000 Anrufe
Betroffener ein. Schon da zeigte sich: Es melden sich vor allem ältere
Opfer sexueller Gewalt, weil es manchmal Jahrzehnte dauert, ehe sie ihr
Schweigen brechen.
Schavan zufolge kann die Studie dabei helfen zu beurteilen, welche
Strukturen Missbrauch begünstigten und wie Kinder besser geschützt werden
könnten. Durch Forschungsprojekte und die Einrichtung von Juniorprofessuren
und solle das Thema in der Wissenschaft etabliert werden.
18 Oct 2011
## AUTOREN
Christian Füller
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