# taz.de -- Sachbuch über Deutsche Kriege: Was sagen, Mr. Minister? | |
> "Zeit"-Redakteur Bernd Ulrich präsentiert in Berlin sein Buch "Wofür | |
> Deutschland Krieg führen darf. Und muss". Mit reichlich Hybris - im | |
> Beisein von Verteidigungsminister Thomas de Maizière. | |
Bild: Wegducken unerwünscht: Seit Ende der bi-polaren Weltordnung fordert man … | |
Nach 1989 musste sich die Außenpolitik der Bundesrepublik komplett neu | |
aufstellen. Mit Mauerfall und Ende des Kalten Kriegs war die Phase des | |
Postfaschismus weitgehend abgeschlossen. Das vereinigte Deutschland zeigte | |
entgegen einigen Befürchtungen keine revanchistischen Großmachtgelüste und | |
gilt seither auch im Vergleich zu anderen westlichen Mächten als | |
hinreichend demokratisiert. | |
Damit neigte sich auch die Zeit des Friedlichen-Abseits-Stehens dem Ende | |
zu. Von einem demokratisch mündig gewordenen Deutschland durfte das | |
westliche Bündnis nach 1989 eine aktivere Rolle bei außenpolitischen | |
Konflikten erwarten. Das Engagement auf dem Balkan gegen das Regime des | |
serbischen Teils Jugoslawiens wurde dabei zum Ernstfall. Unvergessen, dass | |
es ausgerechnet eine rot-grüne Bundesregierung war, die hier die Ära der | |
neuen Intervention aus humanistischen Gründen einleitete. | |
Die Abkehr von dem aus den Verbrechen des Nationalsozialismus sich | |
begründenden prinzipiellen Pazifismus war damit außenpolitisch vollzogen. | |
Er war ohnehin eher ein symbolischer, beide deutschen Staaten waren auch | |
schon vor 1989 bis an die Zähne bewaffnet und aktiv in gegnerische | |
Militärbündnisse eingebunden gewesen. | |
Doch vor allem die westliche Friedensbewegung vertrat einen prinzipiellen | |
Pazifismus, da sie eine aktive deutsche Militärpolitik mit einer Wiederkehr | |
des deutschen Faschismus gleichsetzte. Zeit-Redakteur Bernd Ulrich versucht | |
nun in seinem am Mittwochabend in Berlin vorgestellten Buch "Wofür | |
Deutschland Krieg führen darf. Und muss" (Rowohlt, 2011) diese bis heute | |
wirkenden Debatten zu skizzieren. | |
## ein notwendiger Paradigmenwechsel | |
Seit dem Farbbeutelwurf auf das Ohr von Joschka Fischer ist schließlich | |
einiges geschehen. Die rot-grünen Bundesregierungen haben, wie Ulrich | |
ausführt, die militärischen Interventionen des westlichen Bündnisses in | |
Jugoslawien und Afghanistan unterstützt. Eine Beteiligung am Irakkrieg | |
lehnte sie wegen der abenteuerlichen Begründung der USA ab, was die | |
damalige konservative und liberale Opposition schäumen ließ. | |
An der Regierung erlebte nun Schwarz-Gelb sein außenpolitisches | |
Gesellenstück als Debakel. Ulrichs Streitschrift erinnert daran, wie man im | |
Frühjahr zusammen mit Russland und China gegen das westliche Bündnis | |
stimmte und eine menschenrechtlich begründete Intervention zugunsten der | |
Aufständischen in Libyen ablehnte. Wie Frankreich und Großbritannien in der | |
Folge zeigten, konnte man das Abschlachten der Opposition in Bengasi aber | |
sehr wohl verhindern, auch wenn unklar ist, was auf Gaddafis Regime folgen | |
wird. | |
Der rasante politische Niedergang der gegenwärtigen deutschen | |
Bundesregierung, insbesondere der FDP, dürfte neben einer mangelhaften | |
ökonomischen Überzeugungskraft auch außenpolitischen Fehlentscheidungen wie | |
im Falle Libyens geschuldet sein. Die hier demonstrierte | |
Orientierungslosigkeit passt in eine Kette von Schwenks und Gegenschwenks, | |
die keine klare Linie erkennen lassen und die (auch wie die revidierte | |
Position zur Kernkraft nach Fukushima) oftmals als Inkompetenz und | |
Opportunismus gedeutet wird. | |
Bernd Ulrich kritisiert diese Haltung in seinem Buch. Er meint, dass | |
demokratische Staaten auch in Notfallsituationen, um eklatante | |
Menschenrechtsverbrechen zu stoppen, militärisch intervenieren sollten, | |
sofern der erwartbare Ertrag größer als der mögliche Schaden sei. | |
## Harte Kritik an Merkel | |
Er kritisiert insbesondere Bundeskanzlerin Merkel, die ihre | |
Richtlinienkompetenz im Falle Libyens falsch eingesetzt habe. Statt | |
nüchtern abzuwägen, habe sie sich voreilig auf eine Nichtintervention | |
festgelegt, weil sie glaubte, sie würde damit bei den Wählern punkten. | |
Ulrich zitiert Merkel vom 17. März dieses Jahres: "Eine militärische | |
Intervention allerdings sehe ich skeptisch. Als Bundeskanzlerin kann ich | |
uns da nicht in einen Einsatz mit äußerst unsicherem Ende führen." Er rückt | |
die Kanzlerin ins Zentrum der Kritik, Westerwelle scheint kein ernst zu | |
nehmender Sparringspartner mehr. | |
Nicht ganz unerwartet, wies der amtierende Verteidigungsminister im Palais | |
am Festungsgraben die Kritik des Zeit-Redakteurs vor den geladenen Gästen | |
pauschal zurück. Zunächst punktete de Maizière, gewohnt eloquent und | |
freundlich, mit einem gezielten Angriff auf die überbordende Hybris des | |
Autors Ulrich. Ulrich beschreibt die Redaktionskonferenzen der Zeit in | |
seinem Buch tatsächlich so, als stellten sie und nicht die Sitzungen des | |
Bundeskabinetts das wahre Machtzentrum der Republik dar. | |
Auch Zeit-Mitherausgeber Helmut Schmidt wird durch den leitenden Redakteur | |
Ulrich reichlich überhöht, was nicht nur de Maizière "unangemessen" finden | |
dürfte. Doch blieb de Maizière auf die meisten Fragen gegen Ende seines | |
sicherlich langen Arbeitstages die Antworten schuldig. Zu Libyen wolle er | |
sich nicht mehr äußern, lieber nach vorne schauen. | |
Nur, wie soll man so über falsch und richtig diskutieren, wenn einer nichts | |
sagt? Über den Arabischen Frühling oder Syrien sprach de Maizière, als wäre | |
er ein unbeteiligter Zuschauer und kein halbwegs mächtiger Minister. Die | |
Lage sei schwierig, und man habe für vieles kein Konzept. Das klingt | |
dürftig. | |
19 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
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