# taz.de -- Wahlen in Tunesien: Islamisten liegen vorn | |
> Die islamistische Partei Ennahda hat Tunesiens erste freie Wahlen klar | |
> gewonnen. So viel ist schon klar, auch wenn das offizielle Ergebnis noch | |
> aussteht. | |
Bild: Anhängerinnen der Ennahda-Partei bei einer Wahlkampfveranstaltung in Tun… | |
TUNIS taz |Am späten Montag Nachmittag war offiziell, was den ganzen Tag | |
bereits durch die verschiedenen Medien geisterte. „Ohne der Unabhängigen | |
Wahlbehörde vorweggreifen zu wollen, werde ich drei Daten bekanntgeben“, | |
erklärte der Kampagnendirektor der tunesischen Islamistenpartei Ennahda, | |
Abdelhamid Jlassi. Seine Formation sei in „allen Wahlbezirken stärkste | |
Kraft“. Ennahda habe mehr als 30 Prozent der Stimmen und der 217 Sitze in | |
der am Sonntag gewählten verfassungsgebenden Versammlung gewonnen. | |
„Das Parlament ist nicht, wie erwartert zersplittert“, fügte Jlassi hinzu. | |
Es seien nur „fünf oder sechs Farben und einige lokale Unabhängige | |
vertreten. Wie viele der insgesamt 217 Abgeordneten letztendlich an Ennahda | |
gehen werden, wird erst das endgültige amtliche Endergebnis am Dienstag | |
Nachmittag zeigen. Die Sitze werden nach Provinzen vergeben. Die Anhänger, | |
die sich vor dem Parteigebäude in einem Bürobezirk der Haupstadt Tunis | |
versammelt hatten ließen Ennahda hochleben, sangen die tunesische | |
Nationalhymne und riefen "Gott ist groß". | |
Als erstes Ergebnis wurde das der Immigranten in Deutschland bekannt. | |
Bereits am Sonntag Abend machten die Zahlen bei Facebook die Runde. Demnach | |
gaben 42,8 Prozent der in Deutschland lebenden Tunesier Ennahda ihre | |
Stimme. In Frankreich sollen, so ist durchgesickert, vier der dort | |
insgesamt zehn gewählten Abgeordentensitze an die Islamisten gehen. | |
Im Laufe des Montags wurden von tunesischen Medien nach und nach Trends und | |
Zahlen aus unterschiedlichen Regionen veröffentlicht, ohne dass es dafür | |
eine offizielle Bestätigung gab. Demnach liegt Ennahda im Großraum Tunis in | |
einigen Wahlbüros deutlich vorn. In der zweitgrößten Stadt des Landes, | |
Sfax, sollen sie sogar über 40 Prozent erreicht haben. Im Landesinneren, wo | |
die Revolte gegen den im Januar gestürzten Präsidenten Zine el-Abidine Ben | |
Ali ihren Ausgang nahm, nachdem sich im Dezember vergangenen Jahres in Sidi | |
Bouzid ein Gemüsehändler selbst verbrannte, ist der Trend ähnlich. | |
## Der Konflikt ist vorprogrammiert | |
Zweitstärkste Kraft wird wohl die Demokratische Fortschrittspartei PDP | |
unter Generalsekretärin Maya Jribi und Parteigründer Nejib Chebbi sein. Die | |
sozialdemokratisch-liberal orientierte Kraft, die bereits unter der | |
Diktatur Ben Alis zugelassen war, lehnt eine Regierung der Nationalen | |
Einheit unter der Beteiligung Ennahdas ab. Der politische Konflikt ist | |
damit vorprogrammiert. | |
Die Wahlbeteiligung lag bei über 90 Prozent der mehr als vier Millionen | |
registrierten Wähler, so die Unabhängige Wahlbehörde ISIE am Sonntag Abend. | |
Wie hoch sie bei denen war, die ohne Registrierung mit dem Personalausweis | |
direkt zum Wahllokal des Ortes gingen, wurde noch nicht bekannt. Nur wer | |
sich im Vorfeld registrierte, konnte, trotz abweichendem Wohnsitz in seinen | |
Ausweispapieren, am tatsächlichen Wohnort seine Stimme abgeben. Alle | |
anderen mussten dahin reisen, wo sie gemeldet sind. | |
Im allgemeinen seien die Wahlen ordentlich über die Bühne gegangen, | |
bestätigte die Wahlbehörde. Allerdings wurden mancherorts die Wähler und | |
Wählerinnen von Beobachtern einzelner Parteien bedrängt, ihrer Formation | |
die Stimme zu geben. Gegen Ennahda liegen mehrere solcher Anzeigen vor. | |
Während sich die Parteien mit Kommentaren zurückhalten, bis das offizielle | |
Ergebnis vorliegt, wurde vor allem unter Bloggern und in den | |
Facebookgruppen, die einst die Jugend auf die Straße mobilisierten, die | |
Furcht vor den Islamisten laut. "In den letzten Tagen habe ich nur eine | |
Sorge, das Tunesien von morgen. Wie wird es sein? Wer wird es führen? Das | |
Volk oder eine neue Diktatur? Ich bin beunruhigt … ich habe Angst meine | |
Identität zu verlieren, ich habe Angst meine Rechte als Frau zu verlieren | |
...", schreibt die junge Bloggerin Zohra Ben Khoud. | |
In einem anderen Post heißt es: "Allen, die in Frankreich Ennahda gewählt | |
haben, wünsche ich Marine Le Pen zur Präsidentin." | |
24 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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