# taz.de -- Wolfgang Wieland zum Grünen-Wahlkampf: "Zu bieder und zu gelackt" | |
> Der Bundestagsabegordnete Wolfgang Wieland blickt skeptisch auf den | |
> Berlin-Wahlkampf seiner Partei und auf die Große Koalition, die nun | |
> kommt. | |
Bild: Nicht ganz zufrieden: Wolfgang Wieland, hier im Bundestag | |
taz: Herr Wieland, was sagt Ihnen der Begriff Mehltau? | |
Wolfgang Wieland: Der Begriff kommt von Harry Ristock - | |
sozialdemokratisches Urgestein und zeitweiliger Berliner Bausenator. | |
Mehltau war seine Prophezeiung für eine große Koalition in Berlin gleich | |
nach der Wende. | |
Das war 1991. Die große Koalition hat zehn Jahre gehalten. | |
Ristock hat mit seiner Prophezeiung leider recht gehabt. | |
Sie saßen damals für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Wie hat sich die | |
Politik der großen Koalition ausgewirkt? | |
Große Pfründen, großes Vertuschen, große Lähmung für Berlin. Die großen | |
Pfründen sind uns dann ja irgendwann auf die Füße gefallen mit der | |
Bankgesellschaft, aber nicht nur dort. Man hat die Eigenbetriebe und die | |
wirtschaftlichen Aktivitäten des Landes Berlin immer so gestrickt, dass | |
lukrative Posten sowohl für Vertreter von CDU als auch SPD abgefallen sind. | |
Dadurch wurde die Aufklärung von Verschwippungen, Filz und Korruption enorm | |
erschwert. | |
2001 gab es bei der Bankgesellschaft den großen Crash, über den dann auch | |
die große Koalition stürzte. Es folgten zehn Jahre Rot-Rot. Nun legen sich | |
die Sozialdemokraten wieder mit der Union ins Bett. Bedeutet das für Berlin | |
wieder Mehltau? | |
Mal sehen. In der Vergangenheit hatte die große Koalition satte, zum Teil | |
sogar Zweidrittelmehrheiten. Verglichen damit sind die neun Stimmen | |
Mehrheit, die SPD und CDU jetzt haben, wenig geruhsam. Diese große | |
Koalition segelt knapp überm Durst. | |
Seinerzeit hat die CDU den Regierenden Bürgermeister gestellt. Diesmal ist | |
es die SPD. Macht das einen Unterschied? | |
Vom Mechanismus her ist das egal. Der Grund, warum Wowereit das macht, ist | |
ja gerade das Bequemlichkeitsmoment. Er will auch seine eigenen Leute nicht | |
immer bei der Stange halten müssen. Nicht jedes Jahr wieder über | |
Autobahnbau diskutieren müssen. | |
Stichwort Autobahn. Es gibt mindestens zwei Theorien, warum die rot-grünen | |
Koalitionsverhandlungen geplatzt sind. Was ist Ihre Meinung? | |
Ich bin immer Anhänger der Theorie, Wowereit ist ein Spieler. Er hat immer | |
mehrere Karten im Ärmel. Eine Karte war Rot-Grün, wenn es zu seinen | |
Bedingungen läuft. Die zweite Karte war die große Koalition. Wie ein Zocker | |
hat er es darauf ankommen lassen. | |
Gehört das nicht zur Politik? | |
Mir gefällt das Ergebnis überhaupt nicht. Ich halte es fast schon für eine | |
negative Meisterleistung, in einer Stadt, die Rot-Grün wollte, bei einem | |
Wahlergebnis, was Rot-Grün ermöglicht hat, dann doch eine große Koalition | |
zu machen. Wenn er das von Anfang an wollte, Chapeau! Dann hat er es | |
geschafft, bei seinen eigenen Leuten uns so ins Unrecht zu setzen, dass sie | |
ihm wieder mal gefolgt sind wie die Lemminge. Vor fünf Jahren war das | |
genauso. | |
Und 2001 auch. | |
Jedes Mal hat es Wowereit geschafft, in seiner Partei das Bild zu zeichnen, | |
mit den Grünen geht es nicht. Über das dritte Mal ärgere ich mich am | |
meisten, weil 3,2 Kilometer Stadtautobahn dazwischen lagen und eine | |
Kompromissformel gefunden war, mit der beide Seiten ihr Gesicht wahren | |
konnten. | |
Wenn man der SPD glauben mag, haben die Grünen in der Nacht noch | |
nachgelegt. | |
Richtig. Zum Schluss scheiterte es an zwei Begriffen. Die SPD wollte | |
weiterbauen. Die Grünen wollten qualifizierte Beendigung. | |
Wie erklären Sie das Grün-Wählern? | |
Die einfache Erklärung, die wir ja bevorzugen: Wowereit wollte nicht. | |
Das ist zu einfach. | |
Gebe ich ja zu. Das muss aufgearbeitet werden. Warum wir im Wahlkampf unter | |
unseren Möglichkeiten geblieben sind, und zwar deutlich. Warum wir dem | |
heraufziehenden Piratenmanöver nichts entgegengesetzt haben. | |
Die Kampagne wurde von Renate Künast, Volker Ratzmann und deren | |
Wahlkampfteam gesteuert. Wo liegt der Fehler? | |
Wir waren zu bieder. Wir waren zu gelackt. Das ging zu Lasten der Inhalte. | |
Wir haben unterschätzt, wie weit auch wir die Gesellschaft schon verändert | |
haben. Die Wähler wollen keine optischen Beweise mehr haben auf Plakaten, | |
dass wir seriös sind. Die wollen auch bei uns Esprit und Pfiff, was nicht | |
ausschließt, dass wir eine gute Politik machen. Das muss Teil der | |
Selbstkritik sein. Die Wahlkämpfe müssen wieder frecher werden. Das muss | |
auch die Lehre für die Bundestagswahl sein. | |
Ratzmann ist mit denkbar knapper Mehrheit wieder in den Fraktionsvorstand | |
gewählt worden. Nun droht der linke Flügel mit Aufstand. Riecht das nicht | |
stark nach Krise? | |
Volker Ratzmann hat die gelbe Karte erhalten. Nun sollte es gut sein. Die | |
Linke muss kandidieren und mitarbeiten. Kindergarten ist keine Antwort auf | |
Alleingänge und Selbstherrlichkeit. | |
Bei der SPD wurde bedauert, dass bei den grünen Verhandlern ein alter | |
Haudegen wie Wolfgang Wieland gefehlt hat. | |
Sie erwarten nicht, dass ich das kommentiere. Zurzeit findet ja eine | |
Renaissance der alten Männer statt. Ich verfolge das mit einer gewissen | |
Belustigung. | |
Auf wen spielen Sie an? | |
Peer Steinbrück wird als Kanzlerkandidat gehandelt. Winfried Kretschmann, | |
mein Altersgenosse, ist erster grüner Ministerpräsident geworden. Wir sind | |
mal angetreten gemeinsam gegen die Greisenrepublik Bundesrepublik | |
Deutschland. Von daher lassen wir mal die Moschee im Dorf. Ich bin immer | |
froh, dass wir quietschjunge Leuten haben. | |
Sie kommen ja richtig in Fahrt. | |
Dieses Bild, dass die Grünen wie der Ochs vorm Berg stehen, wenn es um | |
Open-data, Netzneutralität, Trojaner und Ähnliches geht, gilt höchstens für | |
die alten Männer, aber nicht für die ganze Partei und schon gar nicht für | |
unsere 20- und 30-Jährigen. | |
Worauf wollen Sie hinaus? | |
Das ist ein Plädoyer, die Grünen alterszudurchmischen und die jungen Leute | |
auch durchkommen zu lassen. Denn hinter dem Erfolg der Piraten steht auch | |
ein Lebensgefühl. Auch die Grünen haben ein Lebensgefühl, aber das haben | |
wir viel zu wenig bedient. | |
Das interessiert uns genauer. | |
Unser Lebensgefühl ist das eines umweltbewussten urbanen Stadtbewohners … | |
… der Geld hat. | |
Im Durchschnitt mag das richtig sein. Aber auch die Studentin, die sich ihr | |
Vollkornbrot nur durch Konsumverzicht an anderer Stelle leisten kann, wählt | |
Grün. Wir sind nicht die bestverdienende Partei. Wir sind die bestgebildete | |
Partei. | |
Am Donnerstag formiert sich das neue Abgeordnetenhaus. Wie wird sich die | |
linke Oppositionstrias von Grünen, Linkspartei und Piraten zueinander | |
verhalten? | |
Wir werden konkurrierende Oppositionsparteien erleben. Die große Koalition | |
wird es nicht einfach haben. Ich bin gespannt, ob die Piraten ihren ersten | |
Praxistest in der Bundesrepublik bestehen. Wir Grünen haben sie an Bord | |
willkommen geheißen. Mit einer Attitüde "weiß ich nicht, weiß ich nicht, | |
weiß ich nicht", wird das aber nicht gut gehen. | |
Gesetzt den Fall, Frank Henkel wird Innensenator: Wird er eine ähnliche | |
Hau-drauf-Politik praktizieren wie Heckelmann, Schönbohm und Werthebach, | |
die in den 90ern CDU-Innensenatoren waren? | |
Bei mir gings 1981 mit Heinrich Lummer los (kichert). Henkel ist schwer | |
einzuschätzen. In der innenpolitischen Debatte hat er bislang den | |
Wadenbeißer gespielt. Ich sag immer, Frank Henkel ist der Kandidat für das | |
Schultheiss-Berlin. Für den Schrebergarten. Aber auch Henkel bekommt seine | |
100-Tage-Chance. Ich fürchte nur: Eine Partei, deren Hautproblem es ist, | |
dass die Richter bei ihrer Vereidigung "so wahr mir Gott helfe" sagen, | |
disqualifiziert sich auf sämtlichen Politikfeldern. | |
Können Sie sich vorstellen, dass Rot-Schwarz die Kennzeichnung für | |
Polizisten kippt? | |
Ich rechne nicht ernsthaft damit. Ich habe meinen ersten | |
Kennzeichnungsantrag als AL-Abgeordneter 1988 getippt, für die damals noch | |
Westberliner Polizei. Das war ein langer Weg. Ich bin heilfroh über die | |
Entwicklung der Berliner Polizei. Ich möchte nicht zurück zu | |
Straßenschlachten mit Tausenden von Steinen. Ich beurteile sowohl Körtings | |
als auch Glietschs Arbeit unter dem Strich sehr positiv. | |
Obwohl Körting den umstrittenen Udo Hansen als Polizeipräsidenten | |
durchgepaukt hat? | |
Was ihn da geritten hat, so an Hansen festzuhalten, den "nur" sein | |
SPD-Parteibuch qualifiziert, ist mir absolut schleierhaft. | |
Könnte ein CDU-Innensenator den Bewusstseinswandel bei der Polizei | |
überhaupt zurückdrehen? | |
Bei Behörden wie der Polizei kommt es durchaus darauf an, was von oben | |
vorgegeben wird. Stichwort martialisches Auftreten, niedrige | |
Eingriffschwelle, Reingehen in eine Demonstration beim geringsten Anlass. | |
Prompt hat man wieder diesen Hochschaukeleffekt. Der gleiche Polizist, der | |
unter Glietsch deeskalierend tätig war, entfaltet bei solchen | |
Einsatzbefehlen eine ganz andere Wirkung. | |
Wie lautet Ihr Fazit? | |
Ich sehe Gefahren. Punkt. Aber vielleicht bleibt Ehrhart Körting ja noch, | |
bis er 90 ist, Innensenator. Dann wäre er in Helmut Schmidts Alter. (lacht) | |
27 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
Plutonia Plarre | |
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