# taz.de -- Occupy Wall Street und US-Medien: Die große Verweigerung | |
> Die Occupy-Bewegung misstraut der Mainstream-Presse und den TV-Sendern in | |
> den USA. Deshalb lesen, schauen und produzieren die Aktivisten ihre | |
> eigenen Medien. | |
Bild: Auch er ist besetzt und will mit den Mainstream-Medien nichts zu tun habe… | |
WASHINGTON taz | Auf der Liberty Plaza in Manhattan - die im Stadtplan von | |
New York den Namen des Spekulanten Zuccotti trägt - gibt es keine | |
Presseschau. Die ausgeschnittenen Artikel aus großen Zeitungen, mit denen | |
sich Protestbewegungen früherer Generationen schmückten, sucht die | |
Reporterin vergeblich. Auch der Verweis auf Fernseh- und Radiosendungen | |
fehlt. Die "99 Prozent" machen alles selbst. Und alles anders: Ihr Essen. | |
Ihre Teach-ins. Ihre Gesundheitsversorgung. Und ihre Medien. | |
Sie sind mehrheitlich jung, gebildet und hoch motiviert. Eine künftige | |
Elite, die zu einem schwierigen Zeitpunkt erwachsen wird. Ihr Horizont | |
reicht weiter als jener der meisten US-Amerikaner: Auffallend viele | |
Besetzer haben Reisen ins Ausland gemacht. Beherrschen so exotische | |
Fremdsprachen wie Deutsch. Und fast alle können über politische und | |
ökonomische Verhältnisse diskutieren. Aber die bekannten US-Medien benutzen | |
sie nicht. | |
"Die Mainstreammedien verfolgen ihre eigenen politischen Ziele", sagt | |
Corryn Freeman, "sie sind tendenziös. Und sie veröffentlichen nur, was | |
ihnen in den Kram passt." Die zweiundzwanzigjährige Afroamerikanerin | |
besetzt den McPherson Square in Washington. Sie studiert Politik und ist | |
gut informiert. Ihre Quellen sind Blogs, Facebook und Twitter; manchmal ist | |
es auch die Gratiszeitung Express. Aber nie eine gekaufte Tageszeitung. Und | |
nur ganz selten einer der großen US-Fernsehsender. | |
Das hat nicht nur mit den für eine Studentin hohen Kosten zu tun. Sondern | |
vor allem mit grundsätzlicher Kritik. "Der Sender Fox News, der zum | |
Rupert-Murdoch-Imperium gehört, ist extrem konservativ. CNN, der Ted Turner | |
gehört, ist ein bisschen links. Und MSNBC, der dem General-Electric-Konzern | |
gehört, ist ziemlich links", sagt sie, "aber ich brauche Informationen. | |
Keine Indoktrination. Eine Meinung kann ich mir selbst bilden." | |
## Teil des "1 Prozents" | |
Die "Mainstream Media" sind Teil des Problems, gegen das die | |
Occupy-Bewegung kämpft: Sie sind Teil des "1 Prozents", deren Einkommen | |
steigt, während das der anderen sinkt, und bei denen die Fäden der | |
wirtschaftlichen und politischen Macht zusammenlaufen. | |
Die meisten US-Medien verschweigen die Besetzung in New York wochenlang. | |
Sie reagieren erst, als die Polizei 80 Personen festnimmt und mehrere | |
eingekesselte junge Frauen aus unmittelbarer Nähe mit Pfefferspray | |
traktiert. | |
"Wenn zwei Leute von der rechten Tea Party in George-Washington-Kostümen | |
über einen Platz paradieren, ist das eine Schlagzeile", sagt der | |
Anthropologiestudent Michael Oman-Reagan, der sich auf der Liberty Plaza um | |
die Bücherei kümmert, "aber wenn wir hier zu Hunderten wochenlang besetzen | |
und Gesellschaftskritik üben, kommen sie nicht einmal vorbei." | |
Statt über US-Medien informieren sich die Besetzer online und über | |
ausländische Medien. Ihre Quellen reichen von dem britischen Guardian bis | |
zur Times of India, von der Deutschen Welle über France 24 und RT, einen | |
russischen Sender in englischer Sprache, bis hin zu dem täglichen | |
einstündigen Online-Nachrichtenprogramm: "[1][Democracy Now]". Auch die | |
US-amerikanische Wochenzeitschrift Nation ist eine Quelle. Vor allen Dingen | |
aber lesen die Besetzer Blogs und Online-Foren. | |
## Interviews werden mitgefilmt | |
## | |
Auf der Mitte der Liberty Plaza in Manhattan - hinter ein paar im Viereck | |
aufgestellten Tischen, auf denen das Schild "Media" steht - arbeitet das | |
Hirn der Bewegung. Die Medienleute der Besetzer verstehen sich in erster | |
Linie als Nachrichtenmacher. Sie arbeiten rund um die Uhr. Sie | |
veröffentlichen eine Zeitung auf Englisch und Spanisch: Das großformatige | |
und gratis verteilte Occupied Wall Street Journal. Sie strahlen [2][per | |
Lifestream] ihre Vollversammlungen und Demonstrationen in den Rest der Welt | |
aus. Sie produzieren eigene Filme und Radiobeiträge. Und sie twittern. | |
Zahlreiche Besetzer haben Kameras oder Aufnahmegeräte. Kaum beginnt eine | |
Reporterin ein Interview, wird sie selbst von Besetzern gefilmt und | |
fotografiert. Im Notfall können sie so das Originalinterview neben das von | |
den "Mainstreammedien" bearbeitete Resultat stellen. Als ein | |
erzkonservativer "Enthüllungsblogger" auf dem Platz erscheint, läuft er | |
live übers Internet. | |
Die Liberty Plaza in New York ist - am Anfang der fünften Woche der | |
Besetzung - technisch am besten ausgestattet. Die Aktivisten haben eigene | |
Anlagen für drahtloses Internet und greifen auf einen Pool erfahrener Leute | |
zurück. Auch an den anderen Orten eröffnen die Besetzer als Erstes ein | |
Medienzentrum. Unter Namen wie [3][occupydc.org], | |
[4][http://+occupyoakland.org][5][occupyoakland.org] und | |
[6][october2011.org] strahlen sie Informationen und Debatten aus. | |
## Neuer Zulauf für Blogs | |
In Washington sitzt eine junge Köchin auf einer Parkbank auf dem McPherson | |
Square. Sie ist 21, hat bereits mehrere Feierabende bei den Besetzern | |
verbracht, ist aber noch unentschlossen, ob sie ganz bleiben soll. Ihren | |
Namen will sie vorerst nicht veröffentlicht sehen. Ihre Annäherung verlief | |
wie die von fast allen Besetzern übers Internet. Die Köchin besitzt keinen | |
eigenen Computer und auch kein eigenes Handy. | |
Sie hat auf dem Gerät ihres Freundes eine Facebook-Seite angelegt. Sie | |
enthält nichts Persönliches. Stattdessen stehen dort Artikel aus | |
englischsprachigen Medien aus aller Welt über die Federal Reserve, über den | |
Euro und über Mindestlöhne. "Eine Zeitung kaufe ich nicht", sagt die | |
Köchin, "aber wenn irgendwo etwas Interessantes steht, schickt mir das | |
jemand zu." Deshalb weiß sie von Dingen wie dem wochenlangen Hungerstreik | |
von Tausenden Gefängnisinsassen in Kalifornien, von denen die Abonnenten | |
der Washington Post nichts erfahren haben. | |
Lange vor Beginn der Occupy-Bewegung haben sich Blogs im Web etabliert, die | |
Papierzeitungen ersetzen wollen. Die erhalten nun neuen Zulauf. Manche | |
dieser Blogs bekommen genügend Werbung, um sich einige bezahlte | |
Beschäftigte zu leisten. Darunter [7][Salon], [8][Firedoglake] und | |
[9][Daily Kos]. Die große [10][Huffington Post] hat bereits ins Ausland - | |
nach Großbritannien und Frankreich - expandiert. Politisch stärker | |
engagiert sind Seiten wie [11][Truth Out] und [12][Michael Moores | |
Online-Auftritt]. | |
Rob Kall, der in Philadelphia den Blog [13][opednews.com] betreibt, | |
veröffentlicht mindestens einen Text pro Tag über die Occupy-Bewegung und | |
ruft auch zu Demonstrationen auf. Er spürt seit dem Beginn der Bewegung | |
eine "neue Intensität in der politischen Debatte". Und erhält mehr | |
Kommentare als zuvor. Den Erfolg erklärt er so: "Die Mainstreammedien | |
stehen im Dienst der großen Konzerne. Bei uns kommt die Bewegung von | |
unten." | |
Auch der Blogger [14][David Swanson aus Virginia] macht die | |
Mainstreammedien selbst verantwortlich: "Die Zeitungen sind schlecht. | |
Bringen Celebrity-Klatsch und Tratsch, verhalten sich wie | |
Regierungssprecher und lassen die wichtigsten Themen - das Leben des realen | |
Amerikas - außer Acht." Swanson, der nicht nur bloggt, sondern auch | |
besetzt, hat eine Hoffnung: Dass aus der Bewegung nicht nur neue Medien | |
hervorgehen, sondern "dass sie die ganze Kultur ändert". | |
28 Oct 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.democracynow.org | |
[2] http://www.occupywallst.org | |
[3] http://www.occupydc.org | |
[4] http://+occupyoakland.org | |
[5] http://www.occupyoakland.org | |
[6] http://www.october2011.org | |
[7] http://www.salon.com | |
[8] http://www.firedoglake.com | |
[9] http://www.dailykos.com | |
[10] http://www.huffingtonpost.com | |
[11] http://www.truth-out.org | |
[12] http://www.michaelmoore.com | |
[13] http://www.opednews.com | |
[14] http://www.warisacrime.org | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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