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# taz.de -- Debatte Occupy-Bewegung: Bewegungsbeflügelnder Lernprozess
> Der deutschen Occupy-Bewegung droht ein Rückschlag, der zugleich eine
> produktive Chance sein kann. Allein wird sie es aber nicht schaffen.
Bild: Banken, Zelte, Sensationen – wie geht es weiter mit Occupy Deutschland?
Es gibt unübersehbare Sturmzeichen: Wenn eine neue soziale Bewegung
öffentlich verstummt, kaum Ziele und Arbeitsstrukturen entwickelt, sich
wenig um eine strategische Orientierung müht und sich schwächelnd für so
stark hält, dass es keine Bündnispartner bräuchte – dann ist das sogar mehr
als ein Sturmzeichen. Dann brennt die Bewegungshütte!
Ein sichtbarer Ausdruck dessen ist das verstockte Unverhältnis des
globalisierungskritischen Netzwerks Attac und der Occupy-Bewegung. Sie
wollen irgendwie zusammengehören, aber sie sind sich in der Denke so fremd,
dass wenig Gemeinsames zustande kommt. Distanz und Misstrauen dominieren.
Nur wenige Attacies haben sich in Berlin und Frankfurt über mehrere Tage in
die Klärungs- und Arbeitsprozesse eingebracht. Attac steht irgendwie
daneben. Es dämmert zögerlich und ist möglicherweise schmerzlich: Die
Attac-Hütte brennt selbst.
Wer vor dem Reichstag erlebt hat, wie eine klassische Ankündigung von
Attac, im November das Regierungsviertel umzingeln zu wollen, von den
Occupy-Bewegten kühl und undiskutiert aufgenommen worden ist, der hat
schnell begreifen können, welche unterschiedlichen Bewegungskulturen
versammelt sind. Einerseits die junge, offene Suchbewegung mit aller
Ängstlichkeit der Festlegung, die sich "von unten" alleine entwickeln will
und andererseits Attac, das Bewegungsversuche in Expertisen, Tribunalen und
Bankbesetzungen einbringt.
Dass Gesine Lötzsch – Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke – sich vom
Erfurter Parteitag aus buchstäblich an den Hals der neuen Bewegung wirft,
wird als lächerlicher Vereinnahmungsversuch gewertet. Die Linke wisse
überhaupt nicht, was eine soziale Bewegung sei, lautete der Kommentar in
einer Occupy-Arbeitsgruppe in Frankfurt.
## Ein Lächerlichkeitsverfall ist möglich
Die Occupy-Bewegung steht auf der Kippe. Die kalten Nächte vor der EZB und
dem Reichstag, das rasch erlahmende Interesse der Menschen, ja die fehlende
Attraktivität der Bewegung für gemischte Protestpotentiale, führen zu der
plausiblen Prognose, dass diese doch sehr selbstbezogene Bewegung an den
nächsten Demo-Samstagen erlahmt. Ein Lächerlichkeitsverfall ist sogar
möglich. Die Akteurinnen und Akteure werden bald unsicher werden, interner
Streit bei tausend Politikverständnissen inclusive. Ein Rückschlag für die
Bewegung ist sehr wahrscheinlich.
Das aber kann auch eine produktive Chance werden – die Vorbilder New York
und Madrid sind einladend. Der Lernprozess wird entscheidend sein: Eine so
verfasste Bewegung in Deutschland wird es alleine nicht stemmen, sie kann
es alleine nicht auf die Reihe bekommen. Sie bedarf zwar nicht der
Unterstützung von gesellschaftlichen Großorganisationen und Parteien, aber
doch von ganz vielen Einzelpersonen unterschiedlicher Protestmilieus, die
mit Erfahrung, Kompetenz und bitteschön ein bisschen mehr Kreativität ein
Bewegungsklima der Toleranz von unterschiedlichen Radikalitäten schaffen
können.
Eine Flutung der Bewegung durch neue Protest- und Kreativitätspotentiale
ist das Gebot der Stunde: Mit guten Argumenten menschenfischerisch die
Bewegung und den berechtigten Zorn der 80 Prozent der Bevölkerung
zusammenzubringen. Es geht nicht um "entern" oder eine "Übernahme", sondern
um einen gesamtgesellschaftlichen und bewegungsbeflügelnden Lernprozess.
Dass die Betroffenen aufstehen, sich befreit fühlen und Politik und
Bankenmacht Zug um Zug mehr unter Druck bringen.
Dazu gehört auch eine Debatte über realistische Ziele: die Zerlegung,
Funktionstrennung, Vergesellschaftung von Banken, die Festlegung eines
"Giftschranks" für bestimmte Finanzprodukte, die Umstrukturierung der
Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu wirklichen "Volksbanken", in denen
Demokratie realisiert werden kann.
## Es muss den Herrschenden weh tun
Und: Die Debatte über Protestformen und Aktionen des zivilen Ungehorsams
sollten vorangetrieben werden. Demonstrationen sind wichtig, papierne
Forderungen notwendig – aber bitte in Kombination mit zivilem Ungehorsam in
Form von gewaltfreien "Banküberfällen" und Bankbesetzungen. Es muss den
Herrschenden weh tun – sonst ändert sich wenig oder gar nichts.
Bisher hat die Occupy-Bewegung eine nur sehr einäugige Perspektive und
bisher noch geschlossene Augen für ihre eigenen strategischen
Entwicklungsmöglichkeiten. Die Öffnung der Bewegung und das sensible
wechselseitige Einlassen auf unterschiedliche Protestkulturen ist der
Schlüssel für eine soziale Bewegung, die ihren Namen verdient.
Das Lob der Herrschenden für die Bewegung ist der Ausdruck von Unsicherheit
gegenüber einer unberechenbaren Bewegung. Schüren wir diese Unsicherheit!
1 Nov 2011
## AUTOREN
Peter Grottian
## TAGS
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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