# taz.de -- Debatte Organspende: Mein Herz gehört dir | |
> Die hiesige Debatte über Transplantationen ist bestimmt von Kitsch, | |
> Klischees und Tabus. Die FDP will sich das jetzt zunutze machen. | |
Bild: Es gibt einen immensen moralischen Druck Organe zu spenden, obwohl viele … | |
Das andere Kind ist jetzt im Himmel. Nur sein Herz ist hier bei mir." Der | |
kleine Junge auf dem Plakat, dem eine Werbeagentur diese Sätze zuschrieb, | |
hat ein Lächeln zum Stehlen. | |
Seine Wange hat er an den Kopf eines treu dreinblickenden Golden Retrievers | |
geschmiegt; daneben prangt ein Appell: "Der kleine Hannes wurde mit einem | |
lebensbedrohlichen Herzfehler geboren. Zum Glück bekam er das Geschenk fürs | |
Leben: ein neues Herz. Informieren Sie sich über Organspende und treffen | |
Sie Ihre Entscheidung fürs Leben." | |
Es ist nicht nur, wie im konkreten Fall, die Deutsche Stiftung | |
Organtransplantation (DSO), die als Koordinierungsstelle für sämtliche | |
Organspenden bundesweit dieser Tage derlei Botschaften sendet. Seit | |
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier letztes Jahr seiner todkranken | |
Frau unter großer öffentlicher Anteilnahme eine Niere spendete, ist die | |
Frage ins Bewusstsein gerückt, wie eklatant der Mangel an postmortalen | |
Spenderorganen sein muss, wenn Lebende ihre eigene Gesundheit aufs Spiel | |
setzen, um einen geliebten Menschen vor dem Tod zu bewahren. | |
## Die Moral eines FDP-Politikers | |
Seit auf Benefizveranstaltungen neuerdings Fußballikonen wie Rudi Völler an | |
der Seite katholischer Weihbischöfe auftreten als quasi natürliche | |
Alliierte im Kampf um mehr Organspenden, flimmert die Aufforderung jedem | |
Fernsehgucker ins Heim: Zier dich nicht so! Hol dir einen | |
Organspendeausweis! Wenn du tot bist, merkst du sowieso nichts mehr! Da | |
kannst du dich zu Lebzeiten nützlich machen und dich erklären! | |
Der moralische Druck ist immens. Der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr | |
(FDP) erwägt gerade, ihn mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition und | |
per schnöden Änderungsantrag im Transplantationsgesetz zu verankern - also | |
unter Verzicht auf die sonst bei ethischen Grundsatzfragen üblichen | |
fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfe, die häufig gesellschaftspolitisch | |
bewegende parlamentarische Debatten nach sich ziehen. | |
Stattdessen: Jeder Versicherte soll künftig von seiner Krankenkasse dazu | |
aufgefordert werden, sich zur Organspende zu erklären und dies im | |
Organspendeausweis zu dokumentieren. | |
Abgesehen davon, dass es selbstverständlich wünschenswert wäre, allen | |
12.000 Menschen schnellstmöglich zu helfen, die derzeit in Deutschland auf | |
ein Organ warten und von denen täglich drei sterben, weil es eben nicht | |
genug Spender gibt. Abgesehen davon, dass man durchaus die Meinung | |
vertreten kann, dass sich eine Gesellschaft, die stets auf ihr Recht auf | |
Selbstbestimmung pocht, zum Umgang mit dem eigenen Tod verhalten sollen | |
müsste: Der Weg, den der Bundesgesundheitsminister einschlagen will, soll | |
einzig seiner Profilierung dienen (Bahr, der Retter der Lungenkranken und | |
Lebergeschädigten). Schlimmer noch, er ist kontraproduktiv. | |
## Organhandel ohne Staat | |
Bioethische Konflikte, etwa um Fragen, wo die Grenze zwischen Leben und Tod | |
verläuft oder ob und mit welchen - gesetzlichen - Regularien sich der | |
Organmangel erfolgreich beheben ließe, brauchen, um gelöst zu werden, | |
erstens eine breite gesellschaftliche Debatte und zweitens einen Diskurs, | |
der nicht auf Manipulation setzt, sondern auf die Bereitschaft, die Risiken | |
und Grenzen der Maßnahme zumindest in Betracht zu ziehen. | |
Beides findet in Deutschland nicht statt. Seit 1997 gibt es das | |
Transplantationsgesetz, doch bislang ist es nicht gelungen, eine | |
verlässliche Statistik zu erstellen, wie viele potenzielle Spender es | |
überhaupt gibt. Die Krankenhäuser erfassen den Tod nach Art der Krankheit, | |
differenzieren dabei aber nicht, ob dem Stillstand des Kreislaufs der | |
komplette Ausfall des Hirnorgans, der ja Voraussetzung für die | |
Organentnahme ist, vorausgegangen ist. | |
In Deutschland sind es zudem nichtstaatliche Akteure wie die DSO, | |
Eurotransplant oder die Bundesärztekammer, die über Zeitpunkt und | |
Durchführung der Organentnahme und die Verteilung der Organe entscheiden. | |
Mit welcher Legitimation eigentlich? Das ist eine der Fragen, die sich | |
stellen, wenn man die Gründe sucht, warum die Zahl der Organspender in | |
Deutschland, anders als in anderen europäischen Ländern, abnimmt. | |
## Das Problem mit dem Hirntod | |
Eine andere lautet: Warum wird der Streit, ob die bisherige Diagnose des | |
Hirntods noch haltbar ist, hierzulande in wissenschaftlichen Zirkeln unter | |
größtmöglicher Abschottung von der Öffentlichkeit wie ein ideologischer | |
Grabenkampf geführt? Warum wird im Organspendeausweis nicht ehrlicherweise | |
erwähnt, dass Organspende Intensivmedizin voraussetzt und damit im | |
Widerspruch steht zum Wunsch vieler, natürlich zu sterben? | |
Warum wird nicht offen über den Konflikt geredet, dass Krankenhäuser an | |
Transplantationen im sechsstelligen Bereich verdienen, die Spender bzw. | |
ihre Angehörigen aber als unchristlich beschimpft werden, wenn sie das | |
Thema Aufwandsentschädigung auch nur anschneiden? | |
Und warum, schließlich, wird in Anzeigen das Leben des kleinen Hannes und | |
seiner Leidensgenossen nach der Transplantation nur als sorgloses | |
Herumtoben dargestellt? Ein Spenderorgan kann Leben verlängern, niemals | |
aber retten: Über kurz oder lang wird es in den meisten Fällen abgestoßen. | |
Und dann? Darf, wer bereits ein Spenderherz hatte, auf ein weiteres hoffen? | |
Über diese Konflikte, in die Betroffene und ihre Familien geraten, wird | |
selten gesprochen. Dass der kleine Hannes lebenslänglich auf einen | |
Pillencocktail mit erheblichen Nebenwirkungen angewiesen ist, um die | |
unerwünschten Reaktionen des Immunsystems möglichst lange zu hemmen, ist | |
eine Tatsache, die man bei der Frage von Leben oder Tod für tolerierbar | |
halten kann. Nur: Vertrauen, und das gilt insbesondere für intime | |
Entscheidungen wie die zur Organspende, schafft man nicht über das | |
Aufrechterhalten von Tabus, sondern durch Information und Transparenz. | |
Die Bundestagsabgeordneten haben nächste Woche noch Gelegenheit, dem | |
Änderungsantrag des Ministers fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe | |
entgegenzusetzen, die mithelfen könnten, die Debatte voranzubringen und | |
Wissenslücken zu schließen. Als Entscheidung, um im Jargon der | |
Organspendebefürworter zu bleiben, für das Leben. | |
30 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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