Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- G-20-Gipfel: Das Ende der Hegemonie
> Während die Schwellenländer beim G-20-Gipfel mit neuem Selbstbewusstsein
> auftreten, muss sich die EU an ihre neue Rolle als Bittsteller gewöhnen.
Bild: Müssen in Nizza protestieren: Gegner des G-20-Gipfels.
CANNES taz | Der Luxus des alten Europa ist in Cannes nicht zu übersehen.
Am Boulevard La Croisette, der sich vom Yachthafen vorbei am Palast der
Filmfestpiele direkt parallel zum Traumstrand der Côte d'Azur erstreckt,
reihen sich edle Hotels und Boutiquen aneinander. Hierher hat Frankreichs
Präsident Nicolas Sarkozy die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten
Staaten der Welt eingeladen, um am Donnerstag und Freitag über die
drängenden Probleme der Welt zu beraten.
Demonstranten müssen sie dabei nicht fürchten: Die werden mit Metallzäunen
und 12.000 Polizisten vom Tagungsort ferngehalten und müssen mit dem 35
Kilometer entfernten Nizza Vorlieb nehmen, wo von Mittwoch an ein
Alternativgipfel stattfindet und wo schon am Dienstag Nachmittag mehrere
tausend Menschen [1][gegen die Macht der Banken auf die Straße gingen],
darunter viele Mitglieder von Gewerkschaften und Attac.
Doch auch ohne Gegendemonstranten könnte in Cannes deutlich werden, wie die
Macht der Industrienationen in Frage gestellt wird. Denn so wie in Cannes
das Publikum altert und hinter den Fassaden der Luxus Herbergen von Carlton
und Co an vielen Stellen der Lack blättert, ist auch die traditionelle
Vormachtstellung von USA und EU angekratzt – oder mehr.
In der "Gruppe der Sieben" (G 7), die jahrzehntelang die Weltgeschicke
bestimmte, waren Europäer, Nordamerikaner und Japan unter sich. Später kam
die Supermacht Russland dazu, seit 2008 hat sich der Zirkel um elf
Schwellenländer (und der EU) zur "G 20" erweitert. Doch erst in diesem Jahr
in Cannes wird die Machtverschiebung so richtig zu spüren sein.
"Wir sind sicher, dass Europa die Kompetenz hat, die Schwierigkeiten zu
überwinden", hatte der chinesische Staatspräsident Hu Jintao am Montag die
Euro-Krise kommentiert – und dafür "tatkräftige Unterstützung" seines
Landes versprochen. In der Vergangenheit hätten die Europäer sich solche
gönnerhaften Töne verbeten. Heute müssen sie dafür dankbar sein.
## Auf Unterstützung angewiesen
Die Euro-Staaten standen in den vergangenen Wochen unter massivem
weltweiten Druck, ihre Schulden- und Währungskrise spätestens bis zum
G-20-Gipfel in den Griff zu bekommen. Nun haben sie zwar – gerade noch
rechtzeitig – eine Lösung gefunden. Doch um ihr Rettungspaket auf die
notwendige Größe zu hebeln, sind sie auf die Unterstützung anderer Staaten
angewiesen – ähnlich wie die USA, die ihre Staatsschulden schon lange nur
mit Hilfe Chinas finanzieren können.
Unterstrichen wird die neue Rollenverteilung – EU und USA als Problem,
Schwellenländer als Lösung – auch von den Wachstumszahlen, die die OECD
kurz vor dem Gipfel veröffentlich hat: Für die Eurozone gehen die Ökonomen
im nächsten Jahr nur noch von einem Mini-Wachstum von 0,3 Prozent aus, in
den USA werden 1,8 Prozent erwartet. Dass die G-20-Staaten insgesamt auf
einen Wert von 3,8 Prozent kommen, ist den Schwellenländern zu verdanken,
allen voran China.
Die Agenda des Gipfels bleibt davon nicht unberührt. Ein zentrales
Anliegen, das Sarkozy mit den Vertretern der Schwellenländer teilt, ist es,
die Vorherrschaft des Dollars in der Weltwirtschaft zu reduzieren.
Eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Mexiko und Deutschland hat dazu eine
kritische Analyse und Vorschläge ausgearbeitet: Die "starke Dominanz des
US-Dollars als Reservewährung", die den Vereinigten Staaten erhebliche
Vorteile verschafft, wird darin als eine der "Schwächen den internationalen
Währungssystems" genannt.
Als Abhilfe kommt nach Ansicht der Autoren vor allem eine Erweiterung des
IWF-Währungskorbes um den chinesischen Renminbi in Betracht. Auch
Kapitalverkehrskontrollen werden in dem Bericht immerhin als Möglichkeit
genannt. Konkrete Entscheidungen werden bei diesem Thema nicht erwartet,
doch die Richtung ist klar: Die Schwellenländer wollen ihr wachsendes
wirtschaftliches Gewicht auch in den Regeln der internationalen
Finanzmärkte verankert sehen.
## Aktionsplan für mehr Wachstum
Ebenfalls auf der Tagesordnung stehen strengere Regeln für internationale
Großbanken. 29 von ihnen sind deutschen Regierungskreisen zufolge
identifiziert worden; für sie sollen künftig verschärfte Eigenkapitalregeln
gelten. Auch so genannte Schattenbanken, etwa große Hedgefonds, sollen
künftig einer Regulierung unterworfen werden.
Erwartet wird in Cannes zudem ein Aktionsplan für mehr Wachstum, der
allerdings durch den ebenfalls erwarteten Druck für weitere massive
Sparmaßnahmen konterkariert werden könnte.
Ein Herzensanliegen der Europäer, die Finanztransaktionssteuer, hat in
Cannes keine realistischen Chancen. Nachdem sie bereits im vergangenen Jahr
beim G-20-Gipfel in Toronto abgelehnt worden war, hatte Bundeskanzlerin
Angela Merkel zuletzt die Hoffnung geäußert, dass die neue Zuspitzung der
Finanzkrise zu einem Umdenken geführt haben könnte.
Doch mittlerweile räumen auch deutsche Regierungsvertreter ein, dass nicht
mit einer Einigung zu rechnen ist. Anders als in den Casinos am Boulevard
de la Croisette in Cannes, bei denen der Staat zumindest ein wenig
mitverdient, bleibt das Zocken an den Börsen also bis auf weiteres
steuerfrei – sofern die Euro-Staaten sich nicht darauf besinnen, dass
Entscheidungen auch weiterhin in kleinerem Kreis als in der G 20 möglich
sind.
2 Nov 2011
## LINKS
[1] /bersichtlicher-Auftakt-zu-G-20-Protesten/!81077/
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar G-20-Gipfel: G-20-Führungsduo mit Schwächen
Angela Merkel und Nicolas Sarkozy dominieren den G-20-Gipfel. Aber das darf
nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eigentlich zerstritten sind.
G-20-Auftakt in Cannes: Kein Befindlichkeitsgipfel
Der Streit über Griechenland dominiert den Auftakt des G-20-Gipfels. Merkel
und Sarkozy drohen Papandreou offen mit einem Ausschluss aus der Eurozone.
G-20-Gipfel in Cannes beginnt: Alles auf Krise
Das Treffen der führenden Industrie- und Schwellenländer in Cannes hat
begonnen. Währenddessen senkte die Europäische Zentralbank den Leitzins auf
1,25 Prozent.
G-20-Gipfel in Cannes: Gipfelgegner kriegen die Krise
Nur wenige Demonstranten und keine klaren Botschaften: Zu den Protesten
gegen den G-20-Gipfel in Frankreich kommen weit weniger Menschen als bei
früheren Konferenzen.
Debatte G-20-Gipfel: Club der Rückwärtsdenker
Es nehmen nun mehr Schwellenländer am Gipfel teil. Trotzdem bleiben weite
Regionen der Welt unterrepräsentiert und der Club agiert vollkommen
intransparent.
G-20-Gipfel mit alten Zielen: Kaum Erfolge an der Finanzmarktfront
Die G-20-Staaten wollen seit 2008 eine stärkere Kontrolle. An der Umsetzung
hapert es aber gewaltig. Warum dauert das so lange?
Kritik beim G20-Treffen: Die EU soll endlich handeln
Die G-20-Finanzminister fordern die Europäer zum Handeln auf und bieten
ihnen sogar Hilfe an. Die EU verspricht tragfähige Beschlüsse auf dem
nächsten Gipfel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.