| # taz.de -- Urteil zu Julian Assange: Es war einmal ein Hacker | |
| > Ein britisches Gericht hat entschieden: Julian Assange darf nach Schweden | |
| > ausgeliefert werden. Seine Geschichte geht zu Ende. Das Prinzip Wikileaks | |
| > überlebt. | |
| Bild: Blickt in eine ungewisse Zukunft: Julian Assange. | |
| Am 15. Oktober, dem weltweiten Aktionstag der Occupy-Bewegung, stand Julian | |
| Assange auf den Stufen der St.-Pauls-Cathedral und bäumte sich gegen sein | |
| Verblassen auf. Tausende Menschen waren in die Londoner Innenstadt gezogen, | |
| um gegen die Macht der Banken zu demonstrieren. Sie trugen | |
| Anonymous-Masken. | |
| Occupy: der Protest der vielen. Eine Bewegung ohne Anführer und Stars. Dann | |
| kam Julian Assange und griff zum Megafon. "Wie ihr alle", rief Assange, | |
| "hatte ich Schwierigkeiten, heute hierherzukommen." Stille. Dann | |
| verhaltener Applaus. Ein vereinzelter Jubelschrei hallte von den Wänden der | |
| St.-Pauls-Cathedral. | |
| Assanges Auftritt dauerte wenige Minuten. Es war der Auftritt eines müden | |
| Mannes, dessen große Tage vergangen sind. War das tatsächlich jener | |
| Assange, der vor einem Jahr noch Regierungen erzittern ließ, Diplomaten | |
| stürzte, die Nachrichten bestimmte? | |
| Am Mittwoch entschied ein Gericht in London, dass Assange an Schweden | |
| ausgeliefert werden darf. Er kann nun Berufung einlegen, ein letztes Mal. | |
| Vielleicht entscheidet der Supreme Court dann, dass Assange in England | |
| bleiben darf, dass er sich nicht in Schweden dem Vorwurf stellen muss, er | |
| habe eine Frau vergewaltigt. Vielleicht wird Assange ausgeliefert, sofort, | |
| ohne Berufung. | |
| ## Von der Öffentlichkeit fallen gelassen | |
| Für den Fortgang jenes Heldenepos, das von einem Australier handelt, der | |
| mit zwei Notebooks und einem Rucksack auszog, um gegen die Mächtigen der | |
| Welt zu kämpfen, ist das unerheblich. Diese Geschichte des Julian Assange | |
| ist auserzählt. Das Interesse der Medien verblasst. | |
| Die Botschaftsdepeschen mit all ihren Enthüllungen und Offenbarungen wurden | |
| überraschend schnell von neuen Realitäten verdrängt: von Revolutionen in | |
| Ägypten und Libyen, von einer Atomkatastrophe in Fukushima, von der | |
| Haushaltskrise in den USA, von einer Schuldenkrise in der EU. Man kann | |
| bedauern, wie schnell die Weltöffentlichkeit Julian Assange fallen ließ. | |
| Vielleicht war das Interesse an den Enthüllungen des Internetrebellen eher | |
| ein voyeuristisches als ein politisches. | |
| Für Assange selbst macht es einen erheblichen Unterschied, wie seine | |
| Geschichte weitergeht; ob er - wie er selbst gern und stetig beteuert - | |
| Opfer einer Intrige geworden ist oder gar einer Verschwörung. Er weiß | |
| selbst, ob die Vorwürfe erfunden sind oder berechtigt. Er weiß das, wie | |
| auch Dominic Strauß-Kahn wusste, ob die Vorwürfe einer New Yorker | |
| Hotelangestellten stimmten. | |
| Und wie im Fall Strauß-Kahn sollte die Klärung dieser Frage nicht | |
| Gegenstand von Spekulationen über Geheimdienste und Intrigen sein. Es wird | |
| nun, wird die Auslieferung nicht noch verhindert, einen rechtstaatlichen | |
| Prozess geben: Beweise und Gegenbeweise. | |
| ## Anwälte sympathisieren mit seiner Arbeit | |
| Für Assange ist ein ordentliches Gerichtsverfahren auch eine Chance. Er | |
| kann womöglich seine Unschuld beweisen. Und: Es gibt viele gute Anwälte, | |
| die den Australier verteidigen wollen, weil sie mit ihm und seiner Arbeit | |
| sympathisieren. | |
| Dass Assanges Heldengeschichte auserzählt ist, bedeutet allerdings nicht | |
| das Ende von Wikileaks und dem dahinterstehenden Prinzip: den Mächtigen das | |
| ständige Gefühl zu geben, dass sie ertappt werden können, dass sie nicht | |
| unentdeckt bleiben bei Konspiration und Hinterzimmerpolitik. Egal, wie ein | |
| Verfahren in Schweden ausgeht, egal, ob Assange schuldig ist oder nicht: | |
| Das Prinzip Wikileaks wird überleben. | |
| 2 Nov 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Dachsel | |
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