# taz.de -- Kommentar Anonymous' Sprache: Rächer im Schatten ihrer Rechner | |
> "Wir sind Legion. Wir vergeben nicht. Wir vergessen nicht": Die Sprache | |
> der Netzaktivisten von Anonymous ist die von 13-jährigen Jungs mit | |
> Allmachtsfantasien. | |
Kein Gegner ist ihnen zu groß, kein Anlass zu gering. Kleine Sünden | |
bestraft der liebe Gott sofort, Anonymous soforter. Ob ein CSU-Abgeordneter | |
im Bundestag Unsinn redet oder ein arabischer Diktator das Internet | |
abschaltet: Anonymous sind da, Rächer im Schatten ihrer Rechner. | |
Ungreifbar. Unaufhaltsam. Und noch irgendwas mit un-. | |
Anonymous könnte jeder sein. Nichts eint die Gruppe als ihr Motto "We are | |
Anonymous. We are Legion. We do not forgive. We do not forget. Expect us!" | |
Während in der herkömmlichen linken Szene sprachlich die Haltung der | |
Unterprivilegierten eingenommen und mit Hilfe eines Fernuni-Sprech Stimmung | |
gegen Heteronormativität und Strukturen gemacht wird, ohne dass noch jemand | |
wüsste, was diese Strukturen eigentlich nochmal genau waren, ist die so | |
coole wie kindliche Actionfilm-Sprache der Anons restlos von sich | |
überzeugt. | |
Hey Fremder: Du hast da einen Fehler gemacht. Wir werden ihn korrigieren. | |
Verriegel gar nicht erst die Türen. Wir sind schon drin. Wir sind Niemand | |
und niemand ist perfekt. Kaum eine Untergruppe Mensch hat so ein | |
ausgeprägtes Gefühl für Macht wie dreizehnjährige Jungs. | |
Aus der Ferne erinnert das Motto an eine recht bekannte politische | |
Streitschrift, in der es heißt: "Was ist der Dritte Stand? – Alles." So | |
startete die Französische Revolution. Aber Moment - Revolution? Mit diesen | |
Späßekenmachern, die aus dem Furzwitzforum 4chan hervorgegangen sind? | |
## Zwischen Fight Club und Matrix | |
Braucht man für Änderungen nicht den heiligen deutschen | |
Gudrun-Ensslin-Ernst? Die schrieb in "Die Rote Armee aufbauen": "Kriegt | |
raus, wo die Heime sind und die kinderreichen Familien und das | |
Subproletariat und die proletarischen Frauen, die nur drauf warten, den | |
Richtigen in die Fresse zu schlagen." Da schlägt man doch innerlich die | |
Hacken zusammen. | |
Die Anonymen Hobbypolitologen dagegen! Wenn sie per Flugblatt zur Demo | |
aufrufen, dann gemahnen sie: "Tragt keine Masken (illegal)". Legen sie sich | |
mit dem Privatfernsehen an, weil dort Gamer schlecht wegkommen, dann | |
fordern sie: "Schreibt Beschwerden an die RTL-Redaktion!" | |
Im politischen Spektrum etwa zwischen Fight Club und Matrix zu verorten, | |
verbindet Anonymous in seinen Aufrufvideos die Sprachgewalt von | |
Bedienungsanleitungen mit dem energischen Willen zum "Jetzt aber wirklich | |
mal" eines schwäbischen Bahnhofsverhinderers. | |
Aber dann wieder dieses Motto: We are Legion. Verdammt, das ist schon | |
ziemlich Wachowski. Wobei: Wäre "Wir sind Legionellen“ nicht sinnvoller? | |
Bloß kommt dann meist nicht viel, der Aufruf war meist schon die Aktion. | |
Mit großem Getöse wurde die Vernichtung von Facebook angekündigt. Man | |
munkelt, Anonymous habe stattdessen Myspace abgeschaltet. Was natürlich | |
niemand gemerkt hat. | |
Wenn italienische Sportgazzetten schreiben "Mamma mia, i Panzer!" und dann | |
kommen aus der Umkleide bloß die Offenbacher Kickers, dann ist das ungefähr | |
der Anonymous-Effekt. Das Hacken einer CIA-Homepage, das für einen Laien | |
wie mich zunächst einmal durchaus dramatisch klingt, ist für Leute, die | |
sich auskennen, vergleichbar mit dem heimlichen Umhängen eines | |
Katzenposters in einem CIA-Büro. | |
## "Vielleicht doch" | |
Aber vielleicht ist es das, vielleicht geht das so. Bisschen Fun haben, | |
bisschen LOLen, bisschen zündeln, bisschen sticheln. Während der absurde | |
Ernst eines Rudi Dutschke heute in Slavoj Žižeks Stalinismusfantasien | |
gechannelt wird, die man ob ihrer Schmissigkeit zwar wunderbar im | |
Feuilleton zitieren kann, die aber im Ernst nicht mal er selber erleben | |
wollen würde, starten auf 4chan die onanistischen Anons zwischen zwei | |
Ergüssen eine Revolution aus ihrem Bett heraus. | |
Denn schließlich ist die Zeit unernst und anonym: Auf der anderen Seite des | |
Machtspektrums - sitzt da nicht auch jemand Anonymes? Über Dieter Schwarz, | |
milliardenschwerer Eigentümer von Lidl, heißt es in der Wikipedia: "Er gilt | |
als öffentlichkeitsscheu, verschleiert seine Identität und lehnt Interviews | |
ab. Es existieren kaum Fotos von ihm." | |
Nicht viel anders sieht es bei dem Reichsten aller Deutschen, Aldis Karl | |
Albrecht, aus. "Von der Öffentlichkeit zurückgezogen lebend, ist wenig über | |
ihn bekannt." Oben herrscht Paranoia und in der Schule der Paranoia heißt | |
die erste Lektion "Vielleicht doch". | |
Bis an die Zähne bewaffnet mit Keyboards, ausgestattet mit unendlichen | |
Chips-Reserven sind die Anonymousse nicht viel mehr als eine Lachnummer mit | |
Mut zum Pathos. Sie sind die 99% und sie haben keine Chance. Es sei denn: | |
vielleicht doch. | |
8 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Malte Welding | |
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Schwerpunkt Meta | |
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