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# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Geld ist keine harte Sache
> Das Wesen des Bankgeschäfts ist nicht von anderen Prinzipien geleitet als
> der Rest der Gesellschaft. Geld ist ein Versprechen, nichts anderes.
Bild: Ein perfomativer Akt: Geld.
Geben wir zu: Die meisten Nichtwirtschaftler verstehen nicht viel von
Wirtschaft. Das galt sogar bereits früher, als die Wirtschaft noch
funktionierte. Wir verstehen auch nicht viel vom Kreislauf des Geldes oder
gar der Schulden.
Anders lässt sich nicht erklären, wie oft meine Freunde und ich in den
letzten zwei Jahren abends hilflos versuchten, gemeinsam die Meldungen der
jeweils vorangegangenen "Tagesschau" zu dechiffrieren: Wo "steckt"
eigentlich das ganze Geld, das momentan jeder Staat irgendwem schuldet? Was
sind das für Werte, mit denen gehandelt wird, ohne dass sie "wirklich"
existieren? Triple A = AAA = hä?
Ich will nun nicht endlos mit dieser teils selbst verschuldeten
Ahnungslosigkeit kokettieren. Aber dass so viele Menschen es nicht im
Entferntesten gewagt hätten, sich über Wirtschaft Gedanken zu machen, lag
nicht zuletzt daran, dass immer suggeriert wurde, das sei ein ganz eigener
Kosmos mit völlig anderen Gesetzmäßigkeiten als denen, die wir
NormalbürgerInnen kennen.
Wir diskutierten bloß ganz banal über Parteien und Gesellschaft und
Gerechtigkeit - in der Wirtschaft hingegen ging es um etwas ungleich
Komplexeres, beinah Magisches. Es galt als sehr unhöflich, sogar als
schlimme Anmaßung, der Geldwirtschaft mit unserem kleinbürgerlichen
Verständnis zum Beispiel von Verantwortung, Verhältnismäßigkeit und Anstand
zu kommen! Zwischen Menschenwelt und dem Märchenreich der Wirtschaft gab es
ein unausgesprochenes Nichteinmischungsagreement.
## Nicht anders als in der Restgesellschaft
Doch je steiler es mit der Geldwirtschaft bergab ging, desto mehr wurden
wir Normalos mithineingezogen. Plötzlich wollte uns jeder "Triple A"
erklären, und der TV-Bildschirm zeigt Diagramme, wie Schulden und Börsen
funktionieren. Sobald sich der magische Nebel lichtet, fällt einem
verblüfft auf, dass es so völlig anders als bei uns in der Restgesellschaft
bei den Geldmachern ja gar nicht aussieht!
Nun gibt es bekanntlich verschiedene Sorten von Geld, doch bei allen wird
der Wert durch Akte sozialen, normgeleiteten Handelns hergestellt. Schon
bei den Kaurimuscheln verließ man sich auf die gegenseitige Angewiesenheit
und Vertrauenswürdigkeit sämtlicher Beteiligter, und auch der Verkaufswert
von Goldmünzen verdankt sich nicht einem Gebrauchswert, sondern ihrem
Tauschwert. Bei (anderen) geprägten Münzen und Scheinen bürgt derjenige,
der sie ausgibt, bei Schuld- und Anteilsscheinen gibt der Unterzeichner die
Zusicherung, dass das an sich wertlose Papier Konsequenzen in der Welt
"realerer" Werte bedeute.
All das sind performative Akte, die durch Sprechen oder symbolisches
Handeln etwas hervorbringen: Indem der Wechsel ausgestellt wird, wird
bloßes Papier zum Wechsel. Indem die Muschel für ein Gut hergegeben und vom
Empfänger akzeptiert wird, wird sie zum Tauschmittel. Dahinter stehen
Versprechen, Bürgschaften oder Garantien.
## Wetten auf die Hoffnung
Auch heute, selbst in den nebulösesten Sektoren der Hochfinanz, generieren
Banken Geld mit denselben Mitteln. Sie vergeben Kredite, schöpfen damit
Geld und hoffen auf künftige Gewinne - geknüpft an Wahrscheinlichkeiten,
mit denen diese Gewinne erwartet werden. Und an den lawinenartigen
Einstürzen, die mit zu der derzeitigen Krise geführt haben, waren vor allem
solche Geldgeschäfte beteiligt, deren Hoffnungen sich nicht direkt auf
einen Produktionsprozess, sondern in einem mehrfachen Regress auf die
Wahrscheinlichkeit anderer Gewinnhoffnungen stützten.
Dass das Ganze tendenziell tollkühn und nicht besonders transparent ist,
ist das Mindeste, was man dagegen einwenden kann. Die meisten Bürger waren
sich lange gar nicht bewusst, was Banken mit dem Wert, für dessen Existenz
sie bürgen, so genau anstellen, platt gesagt: dass sie spekulieren statt
investieren. Und natürlich war das Nichteinmischungsdogma insofern Unfug,
als Gesetzen auch bei anderen wirtschaftlichen Geschehen die Aufgabe
zukommt, Katastrophen zu verhindern. Wer mit dem Lkw Güter transportiert,
muss auf der rechten Straßenseite fahren und wer Brot backt, darf den Teig
nicht in einer Kloschüssel kneten. Es ist gar nicht einzusehen, warum es
für Umgang mit dem Vermögen praktisch der gesamten Bevölkerung nicht
strenge gesetzliche Standards geben sollte.
## Geld ist Vertrauenssache
Etwas Zweites finde ich aber noch viel frappierender: Sobald man sich von
einem Profi einmal hat erklären lassen, was Geld eigentlich "ist", sieht
man: Das Wesen des Bankgeschäfts ist eben nicht von ganz anderen Prinzipien
geleitet als der Rest der Gesellschaft.
Geld, Kredite, Anleihen, Papiere, Aktien sind letztlich nichts anderes als
performative Akte, ähnlich wie Versprechen. Die Hervorbringung von Geld ist
eine spezifische Ausprägung sozialen Handelns. Und so besteht das Geheimnis
des Geldes weder im Goldschatz irgendeines Fürsten, noch verbergen sich
dahinter "harte" Fakten einer Maschinerie, die uns Menschen (wesens)fremd
ist.
Nein, Geld und Banken und ihre Geschäfte existieren nur dank der "weichen"
Normen, die auch das sonstige menschliche Miteinander regeln, unter anderem
Verlässlichkeit, Aufrichtigkeit und Vertrauen. Aus eher rechtstheoretischen
und staatsphilosophischen Diskussionen ist das "Böckenförde-Theorem"
bekannt; es besagt, dass der Staat, der ja auf die Kooperation seiner
Teilnehmer angewiesen ist, von einer ethischen Substanz zehrt, die er
selbst nicht hervorbringen kann, sondern die er der Religion und anderen
kulturellen und ethischen Ressourcen verdankt.
Etwas Ähnliches scheint für die Geldwirtschaft auch zu gelten: Sie baut auf
einem Set von Normen auf, das sie allerdings, wenn es ihr später fordernd
nochmals gegenübertritt, empört als "ganz Anderes", Inkompatibles,
Gefährdendes zurückweist.
Wenn wir den Banken mit üblichen moralischen Standards kommen, ist das
angeblich völlig unmöglich; völlig unmöglich wäre aber das Umgekehrte: eine
Geldwirtschaft ohne die verlässliche Basis und den Grundwortschatz unserer
Alltagsmoral.
8 Nov 2011
## AUTOREN
Hilal Sezgin
## TAGS
Schwerpunkt Finanzkrise
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