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# taz.de -- Kommentar Antisemitismus: Schlimmer als Hakenkreuze
> Hakenkreuze kann man abwaschen, die Täter verurteilen. Gegen
> antisemitische Tiraden in der Alltagssprache hilft der Ruf nach dem
> Staatsanwalt kaum.
Es besteht kein Grund zur Aufregung. Etwa 20 Prozent der Deutschen hängen
einem latenten Antisemitismus an. Das ist europäischer Durchschnitt,
konstatieren die Autoren der Studie "Antisemitismus in Deutschland",
verfasst im Auftrag des Bundesinnenministeriums.
Immerhin sind die Osteuropäer noch ein bisschen schlimmer als die
Westeuropäer. Gewalttaten gegen Juden bewegen sich hierzulande auf einem
niedrigen Niveau. Das jüdische Leben in der Bundesrepublik ist gesichert,
und sei es durch die massive Präsenz der Polizei vor jüdischen
Einrichtungen.
Es besteht kein Grund zur Aufregung? Die Studie vermeldet ein wachsendes
Eindringen judenfeindlicher Äußerungen in den Alltag. Was früher tabuisiert
war, regt heute kaum mehr auf: antisemitische Bemerkungen am Biertisch,
gegenüber gänzlich Unbekannten im öffentlichen Raum, in Fußballstadien.
"Jude" ist wieder zum Schimpfwort geworden.
Damit werden Gruppen oder Einzelpersonen bezeichnet, die man mit besonderer
Verachtung belegen will. So entwickelt sich der öffentlich geäußerte
Antisemitismus von einem geächteten Randphänomen, den allenfalls ein paar
notorische Neonazis auszusprechen wagten, zum gesellschaftlich akzeptierten
Normalzustand. Das ist schlimmer als die regelmäßigen
Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Friedhöfen. Und es ist wesentlich
gefährlicher.
Die Hakenkreuze kann man nämlich abwaschen, nach den Tätern kann man
fahnden und sie im günstigen Fall festnehmen und verurteilen. Wenn sich
aber erst einmal antisemitische Tiraden in die Alltagssprache eingenistet
haben, hilft dagegen nur in den seltensten Fällen der Ruf nach dem
Staatsanwalt.
Nun mag man einwenden, dass der tabuisierte Antisemitismus der vergangenen
Jahrzehnte nicht besser gewesen sei, weil ein Tabu niemals helfen kann,
Vorurteile zu überwinden. Doch dieses Argument greift zu kurz: zum einen,
weil es diejenigen vergisst, die als Betroffene mit den antisemitischen
Tiraden direkt konfrontiert werden. Zum anderen, weil einmal akzeptierte
Äußerungen eine Außenwirkung entfachen können, die stereotype Vorstellungen
noch weiter verstärken, sodass das Vorurteil Einzelner zu einer Norm in der
Gruppe wird.
Es gibt keine einfache Antwort auf den verbalen Antisemitismus. Aber eins
ist sicher: Es besteht Grund zur Aufregung. Und zwar nicht nur am 9.
November.
9 Nov 2011
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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