# taz.de -- Justiz in Indien: Lebenslang für 31 Hindu-Extremisten | |
> 33 Muslime wurden im März 2002 in Gujarat ermordet. Jetzt wurden die | |
> Verantwortlichen verurteilt. Die Verwicklung von deren | |
> Ministerpräsidenten Modi bleibt ungeklärt. | |
Bild: Lebenslänglich: Verurteilte werden nach dem Spruch der Richterin abgefü… | |
DELHI taz | Noch nie hat ein Gericht in Indien so viele Menschen zu | |
lebenslanger Haft verurteilt. Gleich 31-mal sprach eine Richterin im | |
westindischen Bundesstaat Gujarat die höchste Haftstrafe aus, und das in | |
einem politisch äußerst brisanten Verfahren. | |
Denn es ging um die juristische Aufarbeitung des blutigsten Massakers der | |
jüngsten indischen Geschichte - und damit indirekt um die Zukunft von | |
Narendra Modi, des derzeit wohl populärsten Oppositionspolitikers. Er | |
regiert Gujarat seit zehn Jahren als Ministerpräsident. | |
Die Richterin stand einem Sondergericht vor, das in dem Dorf Sardarpura | |
über die Ermordung von 33 Muslimen am 1. März 2002 verhandelte. Die Opfer | |
wurden von einer aufgebrachten Menge von Hindu-Fanatikern zum Teil lebend | |
verbrannt. Damals tobte in Indien der Streit zwischen Hindus und Muslimen | |
um die Ayodhya-Moschee in Nordindien, deren Bauplatz von Hindus als | |
Geburtsort ihres Gottes Rama reklamiert wird. | |
Ein Zug mit hinduistischen Ayodhya-Pilgern war auf dem Rückweg in Gujarat | |
in Brand gesetzt worden. 60 Hindus starben - wobei sie nach Ansicht eines | |
Gerichts in Gujarat von Muslimen ermordet wurden. Dieses Gericht | |
verurteilte bereits im Februar dieses Jahres zehn Muslime zur Todesstrafe | |
und 21 zu lebenslänglicher Haft. Doch hatte zuvor eine polizeiliche | |
Untersuchung der Zentralregierung in Delhi in dem Zugbrand nur ein Unglück | |
gesehen. Gujarats Justiz aber steht bis heute unter Befangenheitsverdacht. | |
## Prozess zu Modi steht noch aus | |
Nach dem Zugbrand folgte damals die Rache von Hindus: Mehr als 1.000 | |
Muslime starben auf ähnliche Art wie die Opfer in dem Dorf Sardarpura. | |
Hindu-Extremisten gingen kollektiv mit brutalster Gewalt gegen Muslime vor, | |
die Ordnungskräfte griffen erst nach langem Zögern ein. | |
Hier rankt der politisch entscheidende Streit über die Rolle Modis, der | |
2001 gerade Ministerpräsident geworden war. Erst kürzlich sagte ein | |
hochrangiger Polizeibeamter in Gujarat aus, dass Modi damals der Polizei | |
befahl sich zurückzuhalten und so dem Massaker nicht Einhalt gebot. | |
Modi bestreitet das. Aber der strafrechtliche Prozess über seine | |
Verantwortung für das Massaker steht noch aus - der Oberste Gerichtshof | |
verwies das Verfahren gegen Modi in diesem Sommer zurück an ein Gericht in | |
Gujarat. Das wurde von Modi zwar bereits als Freispruch interpretiert, doch | |
steht dem Richter in Gujarat nun umfangreiches Untersuchungsmaterial des | |
Obersten Gerichts zur Verfügung. | |
Vor diesem Hintergrund hatte der Richterspruch vor Sardarpura besondere | |
Bedeutung. Denn erstmals überhaupt wurde über die hinduistischen | |
Angeklagten im Zusammenhang mit dem Massaker geurteilt. Weitere 2.000 | |
Verfahren, die deshalb von Muslimen gegen Hindus eingeleitet wurden, sind | |
noch vor Gujarats Gerichten anhängig. | |
## Überlebende sind "glücklich" über das Urteil | |
Der Fall Sardarpura fand zudem - wie ein Dutzend weiterer Verfahren - unter | |
direkter Aufsicht der Obersten Gerichts statt, samt Sondermaßnahmen zum | |
Zeugenschutz. Nach dem Urteil bezeichneten sich eine Reihe muslimischer | |
Überlebender des Massakers als "glücklich", verlangten aber mehr | |
Richterurteile ähnlicher Art. "Allah hat uns damals gerettet, und nun liegt | |
ein Hoffnungsstrahl über Gujarat", freute sich der Maler Ghulam Ali, der | |
damals dreizehn Familienmitglieder verlor. | |
Der ehemalige Ermittlungschef der Polizei von Gujarat sagte: "Viele | |
Berichte sagten bisher, dass es dem indischen System nicht gelingt, seine | |
muslimische Minderheit zu schützen. Aber das ist jetzt widerlegt." | |
Begann jetzt also der Anfang einer Urteilslawine gegen die Mörder von 2002? | |
Das muss Ministerpräsident Modi wohl nicht befürchten. Er weilte gestern in | |
China, wo ihn die KP-Oberen als alten Freund begrüßten. Denn seit dem | |
Massaker wird Modi von westlichen Politikern gemieden - und dafür in Peking | |
umso mehr hofiert. Auch weil Gujarat in den zehn Jahren unter Modi immer | |
zweistellige Wachstumsraten aufwies. Das bewundern auch viele Inder, | |
weshalb ihn manche auf nationaler Ebene gern als Spitzenkandidaten der | |
hindunationalistischen Opposition sehen würden. | |
10 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Georg Blume | |
## TAGS | |
Indien | |
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