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# taz.de -- Iranisches Filmfestival: Offener Brief mit bitterer Ironie
> Filmemacher, die ihre Werke aus Solidarität mit ihren iranischen Kollegen
> vom Teheraner Filmfestival zurückzogen haben, sind Zionisten, meint der
> Festivaldirektor.
Bild: Marzieh Vafamehr wurde im Oktober zu 90 Hieben und einem Jahr Gefängnis …
Es zählt zu den Besonderheiten des schiitischen iranischen
Fundamentalismus, dass das Kino nie in seiner prinzipiellen Bedeutung
angetastet wurde. Die Autoritäten brüsten sich sogar damit, dass seit der
Islamischen Revolution 1979 "mehr als hunderttausend Kandidaten eine
Filmausbildung abgeschlossen haben".
So ist es in einem bemerkenswerten offenen Brief der Veranstalter zu lesen,
der auf der Webseite des gerade stattfindenden Festivals "Cinéma Verité" in
Teheran zu finden ist. Als Unterzeichner wird "der Direktor" genannt. Bei
ihm handelt es sich um Shafi Agha Mohammadian, der zugleich Leiter der
staatlichen Behörde für die Produktion und Verbreitung von Dokumentarfilmen
ist.
Zu seinen Aufgaben gehört also auch die internationale Vermarktung
iranischer Filme, andererseits werden beim Cinéma-Verité-Festival auch
Produktionen aus dem Ausland gezeigt. Nun kam es allerdings zu einem Eklat,
nachdem auf dem Festival Filme aus dem Ausland, die wegen der Inhaftierung
unter anderem der iranischen Dokumentarfilmschaffenden Katayoun Shahabi
zurückgezogen worden waren, trotzdem vorgeführt wurden.
## Welweiter Protest
Das eher kleine Dokumentarfilmfestival Cinéma Verité ist zu einem neuen
Kristallisationspunkt des weltweiten Protests gegen die iranische
Repression von Filmemachern geworden. Neben Katayoun Shahabi, die
mittlerweile gegen Kaution wieder auf freiem Fuß ist, und den beiden seit
längerer Zeit unter weltweiter Anteilnahme verfolgten Jafar Panahi und
Mohammad Rasoulof, setzen sich die Protestierenden bei Cinéma Verité auch
noch für Mojtaba Mirtahmasb (Koregisseur von Jafar Panahi bei "This is Not
a Film") und Mehran Sinatbachsch ein. Ihnen wird Konspiration mit dem auf
Farsi sendenden BBC-Kanal vorgeworfen. Inzwischen hat die amtliche
iranische Nachrichtenagentur Isna auch die Freilassung von Mehran
Sinatbachsch gemeldet.
Der offene Brief auf der Webseite von Cinéma Verité ist eines der
interessantesten Dokumente, die seit Langem in diesem Zusammenhang an die
Öffentlichkeit gelangt sind. Dies zeigt sich an mehreren Punkten, die
jeweils ein besonderes Licht auf den Charakter des iranischen Systems
werfen. Schon im ersten Absatz räumt der Verfasser ein, dass die
hunderttausend Absolventen von Filmlehrgängen keineswegs auch in diesem
Metier arbeiten können. Es gibt seinen Angaben zufolge gerade einmal
tausend Dokumentarfilmer im Iran, und von diesen "haben nur ein paar die
Gelegenheit gefunden, Filme zu machen".
## Bittere Ironie
Scheinbar ohne sich der bitteren Ironie in dieser Formulierung bewusst zu
werden, kommt der Verfasser unmittelbar auf "gesetzliche" Beschränkungen zu
sprechen und verteidigt die Anklage von Filmschaffenden mit einem
herausfordernden Satz: "Wenn die Gesetze in Ihrem Land so verfasst sind,
dass sie Filmemachern juristische Immunität zusichern, so würden wir davon
gern erfahren, sodass wir es einrichten können, dass in unserem Land
dieselben Garantien genossen werden können."
An die Filmemacher, die ihre Filme von Cinéma Verité zurückzogen, richtet
sich der Satz: "Die Verhaftung einiger Filmemacher ist kein ausreichender
Grund." Die Entscheidung, Filme zurückzuziehen, wird als "unprofessionell
und unethisch" bezeichnet und sei zudem "im Einklang mit der zionistischen
Bewegung". Dieser Vorwurf liefert das Stichwort für eine Ausweitung des
Diskussionshorizonts. Denn wenn es um Menschenrechte gehe, dann müssten
nach Meinung des Verfassers auch die USA von Boykotten betroffen sein -
aber gegen die Oscars und US-Filmfestivals gebe es keine "eindeutigen"
Initiativen dieser Art.
Der Passus mit den Oscars ist deswegen von besonderem Belang, weil
ausgerechnet Shafi Agha Mohammadian mehrfach öffentlich den Umstand
verteidigt hat, dass die Islamische Republik Iran jährlich einen
Oscar-Kandidaten für den besten "nicht englischsprachigen Film" nominiert
(damit allerdings noch nie in die eigentliche Auswahl kam). Für 2012 heißt
der Kandidat übrigens "Nader und Simin - Eine Trennung".
Mit seiner ideologischen und antisemitischen Polemik verweist der offene
Brief an die ferngebliebenen Filmemacher noch auf ein zweites
ursprüngliches Motiv der iranischen Revolution neben dem schiitischen
Fundamentalismus. Der Verfasser beruft sich auf Occupy Wall Street als eine
Bewegung, die ebenfalls gegen die "zionistische Lobby" gerichtet sei.
Diese übe Druck aus, um von der Finanzkrise abzulenken. Dass die
zurückgezogenen Beiträge beim Festival nun außerhalb des Wettbewerbs doch
gezeigt wurden, hätte "den 99 Prozent" die Dokumentarfilme zurückgegeben.
Eine revolutionäre Geste, deren Kontext der offene Brief in ihrer ganzen
Ambivalenz sehr deutlich macht.
10 Nov 2011
## AUTOREN
Bert Rebhandl
## TAGS
Jafar Panahi
Jafar Panahi
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