# taz.de -- Iranischer Regisseur über seine Arbeit: "Lieber in meinem eigenen … | |
> Filmemacher Mohammad Rasoulof droht ein Jahr Haft. Trotzdem stellte er in | |
> Berlin seinen neuen Spielfilm vor. Ein Gespräch über Selbstzensur und | |
> einen Alltag in Angst. | |
Bild: Szene aus "Good Bye": Die junge Anwältin versucht verzweifelt ein Visum … | |
taz: Herr Rasoulof, ist es schwierig, über Dinge zu sprechen, die nicht | |
unmittelbar mit Ihrem Film zu tun haben? | |
Mohammad Rasoulof: Das ist sicher so. Ich fühle mich als Filmemacher. Wenn | |
politische Aspekte in meinem Film gesehen werden, dann deshalb, weil ich | |
mich an den Menschen und Schicksalen orientiere, die ich kenne. | |
Gestatten Sie mir trotzdem eine Frage zu Ihrer Situation. Das Urteil gegen | |
Sie wurde im Oktober reduziert, auf ein Jahr Haft. Was ist mit dem | |
Berufsverbot? | |
Ich hatte gar kein Arbeitsverbot, das galt nur für Jafar Panahi. Aber wir | |
waren beide zu sechs Jahren Haft verurteilt. Die Situation ist für mich | |
selbst sehr unklar, ein Schwebezustand. Natürlich kann ich meine Freude | |
darüber, dass das Urteil reduziert wurde, nicht verbergen, aber die | |
Wahrheit ist, dass der Druck auf das iranische Kino weiterhin besteht. | |
Viele iranische Dokumentarfilmer wurden in den letzten Wochen unter Druck | |
gesetzt, einige von ihnen waren im Gefängnis, Mojtaba Mirthamasb ist noch | |
drin. | |
Mirthamasb hat zusammen mit Jafar Panahi "This is not a Film gedreht", | |
einen Film, in dem Panahi seine prekäre Situation zum Thema macht. | |
Das alles weist über eine private Angelegenheit weit hinaus. Ich weiß | |
nicht, welche Zukunft uns erwartet. | |
Wie konnte Ihr Film unter diesen Bedingungen entstehen? | |
Man braucht zwei Genehmigungen. Zuerst muss man das Drehbuch einreichen und | |
dafür eine Lizenz erhalten, bevor man zu filmen anfangen kann. Und man muss | |
den fertigen Film zeigen, damit man weiß, ob man diesen Film ins Kino | |
bringen darf. | |
Wo reicht man das denn ein? Bei der Zensurbehörde des Ministeriums für | |
Kultur? | |
Ja. In der ersten Phase ist die Zensur sehr streng. Wenn Sie eine | |
Genehmigung für das Drehbuch beantragen, das Ihnen vorschwebt, dann ist das | |
eigentlich unmöglich. Deshalb versuchen die Filmemacher in dieser Phase | |
sehr vieles von dem auszusparen, was sie sich für den Film vorgenommen | |
haben. Sie betreiben Selbstzensur, damit sie die Genehmigung bekommen. | |
Sobald sie die haben, ist es einfacher. Man kann dann anfangen zu drehen | |
und entscheiden, was man genau machen will. | |
Wie war das denn bei "Good Bye"? | |
Als ich aus der Untersuchungshaft kam, habe ich mich dafür entschieden, | |
mich nur mit Dingen zu beschäftigen, die mit Film zusammenhängen, nicht mit | |
Politik. Einen neuen Film zu drehen, war die einzige Sache, die mir helfen | |
konnte, diese Probleme hinter mir zu lassen und zugleich zu artikulieren, | |
was in meiner Umgebung geschieht. Ich habe also sofort eine Geschichte | |
entwickelt, war mir aber so gut wie sicher, dass ich mit diesem Drehbuch | |
keine Genehmigung bekommen würde. Deshalb habe ich angefangen, meine eigene | |
Geschichte zu zensieren. Ich hab' mich an die Stelle derjenigen versetzt, | |
die Zensur betreiben, und von deren Warte aus geschrieben. | |
Heißt das, dass Sie tatsächlich zwei Drehbücher schreiben? Eines, das das | |
Ihre ist, und eines, das die von Ihnen selbst zensierte Version darstellt? | |
Manche Szenen habe ich nur in meinem Kopf, andere schreibe ich nieder, und | |
dann korrigiere ich sie. Das zum Beispiel, was im Fahrstuhl passiert, habe | |
ich nicht aufgeschrieben. Der Zensurbehörde lieferte ich ein harmloses | |
Drehbuch, trotzdem haben sie mir keine Erlaubnis erteilt. Das brachte mich | |
sehr durcheinander, ich wusste nicht, was ich tun sollte - offenbar hatte | |
ich nicht genug zensiert. Mit Hilfe des Hauses des Filmes - das ist eine | |
einigermaßen unabhängige Einrichtung der Filmemacher in Iran - konnte ich | |
dann doch noch eine Drehgenehmigung erhalten. | |
In diesem Zeitraum hat das Gericht getagt, und ich bin zu sechs Jahren | |
verurteilt worden. Ich dachte, jeden Moment könnte man mich ins Gefängnis | |
stecken. Deshalb habe ich rasch angefangen, diesen Film zu drehen. Aber bis | |
zur letzten Minute habe ich mit mir gerungen, was ich machen sollte. Das, | |
wozu mir Zensurbehörde die Erlaubnis erteilt hat? Oder das, was mir | |
ursprünglich vorschwebte? Die Entscheidung ist schwer, wenn man mit sechs | |
Jahren Haft konfrontiert ist und weiß, man kann etwas tun, was die Lage | |
noch verschlimmert. Aber ich dachte, ich muss meinen Film machen. | |
Und Sie haben dann ja einen sehr direkten, entschiedenen, klaren Film | |
gedreht. | |
Ich habe verdrängt, was mir passieren könnte. Meine größte Sorge war die | |
Unsicherheit, ich wusste nicht, womit ich konfrontiert würde. Und in diesem | |
Schwebezustand habe ich mir vorgenommen zu glauben, dass nichts passiert | |
ist. So konnte ich arbeiten. Und ich habe mir außerdem gedacht: Wenn etwas | |
Schlimmes passiert, dann akzeptiere ich das. | |
Gegen Ende des Films sagt die Hauptfigur: "Wenn man sich im eigenen Land | |
als Fremder fühlt, ist es besser, fortzugehen und sich in der Fremde als | |
Fremder zu fühlen." | |
Das betrifft die Protagonistin, mich betrifft es überhaupt nicht. Ich bin | |
ganz klar der Meinung: Ich fühle mich lieber in meinem eigenen Land fremd | |
als in einem anderen. Das bedeutet, dass ich meine Filme in Iran drehen | |
möchte, denn dort kenne ich die Situation. | |
Warum spielt Ihr Film fast ausschließlich in Innenräumen? | |
Ich habe alle Mittel eingesetzt um anschaulich zu machen, wie die | |
Protagonistin sich fühlt. Was meinen Sie, was es bewirken kann, wenn man | |
eine Figur nur in geschlossenen Räumen zeigt? Das zeigt, wie meine | |
Hauptfigur sich fühlt. Das ist ja die Materie, mit der man arbeitet, wenn | |
man Filme macht: Licht, Farbe, Ton, mise-en-scene. | |
Ein extremer Innenraum wird in der Fahrstuhlszene etabliert, die Sie eben | |
schon erwähnt haben. Zwei Männer von der Sicherheitsbehörde drängen sich zu | |
der Protagonistin in die kleine Kabine. | |
Ich wollte zeigen, wie sich Menschen fühlen, wenn sie von den | |
Sicherheitskräften in die Enge getrieben werden. Das habe ich selbst | |
erfahren, wenn auch nicht im Fahrstuhl. Sie haben mein Büro betreten, alles | |
durchkämmt und vieles mitgenommen. Ich arbeite in einem großen | |
Appartmenthaus, und die Sicherheitskräfte haben sich Zugang zu meinem Büro | |
verschafft, indem sie geklingelt und den Nachbarn gesagt haben: "Der Mann | |
in diesem Appartment, der handelt mit Drogen". | |
Das ist für mich eine entscheidende Frage: warum sie meine Nachbarn belogen | |
haben. Warum haben sie nicht gesagt, dass sie sich eines Films wegen Zugang | |
zu dem Büro verschaffen? Ich denke, weil sie meinen, dass das, was sie tun, | |
ein Fehler ist. | |
Der Ehemann Ihrer Protagonistin ist abwesend, sie lebt wie eine allein | |
stehende Frau, und Ihr Film macht anschaulich, wie eng ihr Spielraum | |
deshalb ist. Wollten sie das so konsequent darstellen? | |
Das gehört ja zu den Schwierigkeiten einer Frau in Iran, zu ihrem Alltag. | |
So etwas in Iran darzustellen, ist fast überflüssig, weil es so alltäglich | |
ist. Und alle haben sich daran gewöhnt. | |
Dass sich alle daran gewöhnt und Strategien entwickelt haben, wie sie damit | |
umgehen, sieht man ja auch im Film. | |
Das ist der einzige Weg, in Iran zu überleben: Man versucht auf einer | |
individuellen Ebene, das Leben, das man führen soll, einfach zu umgehen und | |
sein eigenes Leben zu leben. Das führt aber zu einem Vertrauensverlust - | |
man entwickelt ein Misstrauen gegenüber jedem Menschen, weil man dauernd in | |
Angst lebt und immer besorgt ist, dass man doch zur Verantwortung gezogen | |
wird, für etwas, was eigentlich zu den ganz basalen Lebensrechten jeder | |
Person gehört. | |
Ist "Good Bye" eigentlich in Teheran zu sehen gewesen? | |
Nein. Keiner meiner Filme lief in Iran im Kino. | |
Übersetzung: Nasrin Bassiri | |
7 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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