# taz.de -- CDU-Parteitag für Koalition: Wie in des Kaiser neuen Kleidern | |
> Beim CDU-Parteitag kritisiert nicht ein einziger der rund 300 Delegierten | |
> die magere Ausbeute in den Verhandlungen mit der SPD. Einstimmige | |
> Zustimmung zum Koalitionsvertrag. | |
Bild: 100 Prozent dankbar: Frank Henkel beim Parteitag | |
Da fehlte doch etwas. Tatsächlich. Beim ihrem kürzesten Parteitag aller | |
Zeiten oder zumindest der jüngeren Vergangenheit hat die Berliner CDU am | |
Montagabend [1][den Koalitionsvertrag mit der SPD] derart schnell durch | |
gewunken, dass sogar das sonst übliche Absingen der Nationalhymne ausblieb. | |
Nach weniger als eineinhalb Stunden votierten die rund 300 Delegierten ohne | |
Einigkeit und Recht und Freiheit einstimmig für das, was ihre Parteioberen | |
bis vergangenen Dienstag fünf Wochen lang ausgehandelt hatten. Die SPD, die | |
ihren Parteitag eine Stunde zuvor begonnen hatte, war da noch längst nicht | |
fertig. | |
Dass die Christdemokraten der rot-schwarzen Koalition zustimmen würden, war | |
von vornherein absehbar. Fraglich war bloß, ob nicht doch ein Delegierter | |
aufstehen und Parteichef Frank Henkel fragen würde, ob er nicht doch mehr | |
für die CDU hätte aushandeln können. | |
Tatsächlich hatten die Christdemokraten gerade [2][in der Schlussrunde der | |
Verhandlungen vergangenen Dienstag wenig durchsetzen können]. Sie mussten | |
einen höheren Mindestlohn im Vergabegesetz schlucken, zudem eine höhere | |
Grunderwerbssteuer und die City Tax, eine Übernachtungssteuer für | |
Touristen. Außerdem scheiterte die Union mit dem Versuch, erstmals seit | |
2003 wieder Lehrer zu verbeamten. Schon Wochen zuvor hatte die Union es | |
nicht geschafft, Religion als Schulfach aufzuwerten, das derzeit ab Klasse | |
7 kein Pflichtfach ist. Außerdem verpflichtete sich die CDU,eine bereits | |
von der rot-roten Vorgängerregierung in den Bundesrat eingebrachte | |
Initiative zur doppelten Staatsbürgerschaft zu unterstützen. | |
So müht sich am Dienstagabend Partei- und Fraktionschef Frank Henkel, der | |
absehbar in der neuen Landesregierung Innensenator wird, die wenigen | |
CDU-Erfolge in den Koalitionsverhandlungen herauszuheben. Als “Motor der | |
CDU“ hat ihn zuvor Generalsekretär Bernd Krömer bezeichnet. Henkel spricht | |
von einem Programm, „in dem sich beide Seiten wieder finden.“ Doch was | |
nennt er da als zentralen Erfolg für die CDU-Seite? Dass das | |
Straßenausbaubeitragsgesetz abgeschafft wird. Anwohnern, die nun nicht mehr | |
für neue Bürgersteige und Straßen zur Kasse gebeten werden können, bringt | |
das tatsächlich etwas – aber geschätzt drei von vier Berlinern dürften gar | |
nicht gewusst haben, dass es so ein Gesetz überhaupt gibt. | |
Viel Wert legte Henkel auch darauf, dass die CDU erreicht habe, dass | |
künftig Schulen und Eltern darüber entscheiden, ob bei ihnen | |
jahrgangsübergreifend unterrichtet wird. Doch zumindest erste Schritte in | |
diese Richtung hatte der scheidende SPD-Bildungssenator Jürgen Zöllner | |
schon zu Jahresbeginn unternommen. Doch auch das war den Delegierten | |
entweder nicht bewusst, oder sie wollten da erst gar nicht so genau | |
hinschauen. Und der gescheiterte Anlauf, Religion wieder zum Pflichtfach zu | |
machen? „Hier war, liebe Freunde, einfach nichts zu machen“, sagte Henkel | |
entschuldigend, „nicht einmal eine kleine Geste gegenüber den Gläubigen | |
dieser Stadt.“ | |
Das ist schon eine Situation wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern | |
– einer hätte da mal aufstehen und sagen können, dass es das ja wohl allein | |
nicht sein könne als Ausfluss einer CDU-Senatsbeteiligung. Doch wie im | |
Märchen wollten alle glauben, dass das alles so großartig ist, um nicht | |
dumm da zu stehen. Und danach fragen sowieso nicht. | |
Links neben dem Podium, auf dem ein Präsidium über dem Parteitag thront, | |
steht ein kleiner Tisch, an dem eine Frau hinter einem Leitz-Ordner sitzt. | |
Dort seien die „Wortmeldezettel“ abzugeben, sagte der Tagungspräsident, so | |
denn einer was zu sagen hat. Es ist allerdings nicht so dass sich dort die | |
Zettel stapeln. Genauer gesagt: Da liegt kein einziger Zettel. Und es kommt | |
auch keiner mehr dazu. Parteiinterne Demokratie heißt eben auch, sein Recht | |
auf freie Rede nicht wahrzunehmen. Und auch mal die Nationalhymne nicht zu | |
singen. | |
21 Nov 2011 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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