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# taz.de -- Koalitionsvertrag: Berlin bleibt doch Berlin
> Am Montag haben SPD und CDU über den Koalitionsvertrag abgestimmt. Was
> steht da eigentlich drin?
Bild: Der Pakt steht: Klaus Wowereit und Frank Henkel
## Soziales: Schöne Versprechungen
Tun wir mal so, als mündeten Formulierungen wie "soll perspektivisch" oder
"die Koalition strebt an" in tatsächlichen Veränderungen. Dann wäre es um
das soziale Berlin nicht schlecht bestellt: Stadtteilzentren eröffnen in
jeder Region, Kitas werden zu Familienzentren, es gibt mehr Geld für
Schuldnerberatungsstellen, der RBB sendet in Gebärdensprache, in der
Kranken- und Altenpflege gibt es mehr Ausbildungsplätze und in den
Jobcentern künftig SozialpädagogInnen, kein Jugendlicher ist ohne
Ausbildung, doppelt so viele Langzeitarbeitslose bekommen öffentlich
geförderte Jobs, die Kinderschutz-Hotline berät mehrsprachig, und Inklusion
als Teilhaberecht von Menschen mit Behinderungen wird zum "Leitgedanken der
Sozialpolitik".
So weit, so schön. Kein Wort aber dazu, ob das Prinzip existenzsichernder
Arbeit auch für die öffentlich geförderte Arbeit gelten soll. Außerdem
scheint die seit Langem angemahnte Erhöhung der Hartz-IV-Mietzuschüsse vom
Tisch. Stattdessen sollen durch "qualifizierte Prüfung" Kosten gesenkt
werden. Besonders peinlich für die CDU: Vor der Wahl hatte sie die
Auslagerung der Familienpolitik in den Familienbeirat als zahnlosen Tiger
kritisiert und wollte den Bildungssenator zum Familiensenator machen.
Stattdessen heißt es nun in der Koalitionsvereinbarung: Die erfolgreiche
Arbeit des Berliner Beirats für Familienfragen solle "in der bewährten
Struktur" fortgesetzt werden. Koalition, bewahre! MAH
## Inneres: Feindbild Linksextreme
Wo, wenn nicht bei ihrem Leib-und-Magen-Thema Innenpolitik, sollte die CDU
punkten? Das hat sie getan. Das Alkoholverbot im Nahverkehr soll
"durchgesetzt" werden. Die Zahl der Polizisten wird um 250 auf 16.410
erhöht. Bei Präventionsaufgaben der Polizei dürfen künftig auch
"ehrenamtlich tätige Bürger" helfen. Der Unterbindungsgewahrsam wird von
zwei auf vier Tage verlängert - "um potentielle Gewalttäter besser von
Versammlungen abhalten zu können". Wann jemand demonstrieren will und wann
nur randalieren, entscheiden dann Polizei und Justiz.
Am augenfälligsten wird der innenpolitische Wechsel beim Thema Extremismus:
Widmete Rot-Rot 2006 in seinem Vertrag der Bekämpfung des Rechtsextremismus
noch satte zwei Seiten, reicht diesmal ein einziger Absatz: Das
Landesprogramm gegen rechts werde fortgesetzt, ein NPD-Verbot angestrebt.
Ausschweifender geht es nun um den Kampf gegen Linksextremismus. In Schulen
soll mehr über Autonome aufgeklärt, linke Gewalt besser erforscht, "ggf.
ein Programm gegen Linksextremismus entwickelt" werden. Angesichts der
jüngst aufgedeckten Neonazi-Mordserie vielleicht kein wirklich glückliches
Timing.
Immerhin: Zwei große, rot-rote Pflöcke bleiben. Die Deeskalationsstrategie
auf Demos. Und die Kennzeichnung von Polizisten, wenn auch mit rotierenden
Nummern - Letzteres auf den eindringlichsten Wunsch der CDU. KO
## Bildung: Bewährtes bewahren
Der Schulfrieden kommt wirklich: Rot-Schwarz strebt keine weiteren
Schulreformen an. Auch die CDU-Idee, Lehrkräfte wieder zu verbeamten, ist
vom Tisch. Es bleibt bei drei beitragsfreien Kitajahren.
Neu ist: Die Bedarfsprüfung für einen Ganztagesplatz in der Kita für 3- bis
6-Jährige soll abgeschafft werden. Außerdem sollen Grundschulen
Funktionsstellen besetzen dürfen, was bedeutet: Lehrkräfte mit mehr
Verantwortung bekommen auch mehr Geld. Schulen sollen mehr
Eigenverantwortung übernehmen, etwa mit einem eigenen Budget für
schulinterne Fortbildung, außerdem sollen die Aufgaben der Sekretariate neu
formuliert werden.
Über das jahrgangsübergreifende Lernen (JÜL) an Grundschulen soll künftig
allein die Schule entscheiden, ebenso darüber, ob Deutsch Pflichtsprache
auf dem Pausenhof wird. Dafür soll endlich mit einer Schulpflicht für
Kinder ohne sicheren Aufenthaltsstatus die UN-Konvention für Kinderrechte
auch in Berlin gelten.
Zudem überlegt die Koalition, Abschiebehaft gegen eine preiswertere
Variante zu ersetzen. Ansonsten gilt auch beim Thema Integration: alles wie
immer. Die Residenzpflichtlockerung für Flüchtlinge bleibt,
"Begrüßungsbüros" in den Bezirken sollen kommen. Fazit: Wer die Sätze
"Berlin ist eine Einwanderungsstadt" und "Muslime gehören zu uns" noch für
up to date hält, wird auch am Integrationskapitel des Koalitionsvertrag
seine Freude haben. AWI
## Partizipation: Mehr Politik im Netz
2011 war geprägt von Wutbürgern allerorts. Das ist auch bei Rot-Schwarz
angekommen. "Die Ansprüche an demokratische Partizipation haben sich
verändert", notiert ihr Vertrag. Nun soll künftig ein Onlineportal
Bebauungspläne für alle mitbestimmbar machen. Dort dürfen "Stellungnahmen
eingereicht und Abstimmung durchgeführt" werden. Bei Großprojekten soll
besser "über Internet, Flugblätter, Postwurfsendungen, Anzeigen" informiert
werden. Und Meldedaten darf der Berliner bald auch online übermitteln. Das
wars aber auch.
Denn bei der Frage der Absenkung des Wahlalters hört die Partizipation
schon auf: Die "Koalitionsparteien" hätten "unterschiedliche Auffassungen",
ob auch 16-Jährige das Abgeordnetenhaus wählen dürfen, heißt es. Abgestimmt
werde in dieser Frage aber "nur einvernehmlich". Die CDU ist dagegen, also
bleibts.
Versucht wird sich auch am zweiten Publikumsliebling des Jahres, der
Transparenz (Stichwort: Wasservolksbegehren, Piraten). Unternehmen, die
dauerhaft persönliche Daten erfassen, sollen den Betroffenen jährlich einen
"Datenbrief" über ihre Sammlung schicken. Bei Datenschutzpannen werden
Berliner Behörden zu einer "Informationspflicht" an die Betroffenen
verpflichtet. Öffentliche Daten sollen mittels einer "Open-Data-Initiative"
"weitgehend" offengelegt werden. Und: Ein "freies und gebührenfreies WLAN
an zentralen Orten der Stadt" soll kommen. Das freilich scheiterte schon in
der letzten Legislatur. KO
## Stadt: Mieter sehen schwarz
Im Bereich Stadtentwicklung führt Rot-Schwarz die Politik des alten Senats
in weiten Teilen fort. So bleibt der Kündigungsschutz bei Umwandlungen
weiterhin sieben Jahre bestehen - ein Erfolg der SPD. Auch das
Quartiersmanagement wird fortgesetzt.
Neu dagegen ist der geplante Bau von 30.000 neuen Wohnungen. Hier soll noch
geprüft werden, inwieweit private Investoren zum Zuge kommen, wie es die
CDU wünscht.
Einen Prüfauftrag gibt es in Sachen Zweckentfremdung. Geklärt werden soll,
ob nur ein Verbot die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen stoppen kann.
Die CDU ist gegen dieses Verbot.
In der Stadtentwicklung hat Rot-Schwarz die Zukunft des Rathausforums
vertagt. Nun soll ein städtebaulicher Wettbewerb klären, ob auf dem
Grundriss der Berliner Altstadt neu gebaut oder der Freiraum
weiterentwickelt wird.
Eng könnte es für die Tempelhofer Freiheit werden, das große unbebaute
Areal des Exflughafens. Hier soll ein Masterplan die Voraussetzung schaffen
"für die Bildung von Wirtschaftsclustern und die Schaffung von
verbindlichem Baurecht".
Eine Änderung will Rot-Schwarz auch am Denkmalschutz erzwingen. Künftig
soll es einfacher werden, denkmalgeschützte Gebäude energetisch zu sanieren
- das Bild der Stadt könnte sich also ändern.
Fazit: Nichts gegen ein "Weiter so". Nur bei der rasanten
Mietenentwicklung, die der rot-rote Senat so lange ignoriert hat, hätten
die Daumenschrauben für Eigentümer deutlich angezogen werden müssen.
Berlins Mieterinnen und Mietern stehen mit Rot-Schwarz schwarze Zeiten
bevor. WERA
## Verkehr: Erst mal in Ruhe prüfen
Im Wahlkampf war die A 100 beim Thema Verkehr als Zankapfel völlig
überfrachtet. Beim Betrachten des Koalitionsvertrags zeigt sich: Das dürfte
im Sinne der künftigen Verantwortungsträger gewesen sein. Denn außer dem Ja
zu 3,2 Kilometern Asphalt haben sie fast nichts Konkretes zu bieten.
Erwähnt wird zwar, dass mit dem Autobahnbau wie versprochen Straßen in der
Innenstadt zugunsten von Bussen und Fahrrädern umgebaut werden sollen -
allerdings erfolgten diese Maßnahmen zeitgleich mit dem Bau, und das kann
dauern.
Zur S-Bahn heißt es: Wir "gehen die Probleme mit der S-Bahn entschlossen
an". Das hat auch die scheidende Senatorin Ingeborg Junge-Reyer jahrelang
verkündet. Gleichwohl reiht sich ein Chaos an das nächste. Ähnlich
innovativ lesen sich die Pläne für das U-Bahn-Netz: Es soll "in seinem
Bestand gesichert" werden. Neue Projekte werden allenfalls geprüft - etwa
die Verlängerung der U7 von Rudow zum Flughafen BER. Überhaupt, der
Flughafen: Schwarz auf weiß bestätigen die Koalitionäre die Befürchtungen
von Antilärmdemonstranten. Unter der Vorgabe, dass in Schönefeld
internationales Drehkreuz werden soll, würden die Belastungen für Anwohner
so gering wie möglich gehalten. Nicht andersherum. Auch die Müggelseeroute
wird erwähnt. SPD und CDU wollen sie - wie könnte es anders sein - auf
Alternativen hin prüfen. PEZ
21 Nov 2011
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