# taz.de -- Ägyptische Militärrat macht Zugeständnisse: Proteste auf Tahrir-… | |
> Der Militärrat kündigt die vorzeitige Machtübergabe an. Auch das | |
> Rücktrittsgesuch des Ministerpräsidenten akzeptiert er. Die Demonstranten | |
> auf dem Tahrir-Platz wollen aber nicht weichen. | |
Bild: Die Demonstranten lassen sich nicht vom Tahrir-Platz vertreiben. | |
KAIRO dapd/rtr/afp | Als Reaktion auf die jüngsten Massenproteste hat der | |
Oberste Militärrat in Ägypten einige Zugeständnisse gemacht. Ratschef | |
Hussein Tantawi akzeptierte am Dienstag in einer Fernsehansprache den | |
Rücktitt der amtierenden Regierung, legte sich eindeutig auf Termine für | |
Parlaments- und Präsidentschaftswahlen fest und bot ein Referendum über | |
eine Machtübergabe an. In der Hauptstadt Kairo demonstrierten indes erneut | |
zehntausende Menschen. | |
In der Rede nahm Tantawi den Rücktritt der Regierung von Ministerpräsident | |
Essam Scharaf an, den dieser am Montag als Reaktion auf die eskalierende | |
Gewalt bei den Protesten der vergangenen Tage eingereicht hatte. Zudem | |
sagte er, die geplante Parlamentswahl solle wie vorgesehen ab Montag | |
stattfinden. Ein neuer ägyptischer Staatschef solle "vor Ende Juni 2012" | |
gewählt werden. | |
Der Zeitpunkt der Machtübergabe sei angesichts der zuletzt heftigen | |
Proteste mit zahlreichen Toten auf den 1. Juli des kommenden Jahres | |
vorgezogenen worden, sagten die beiden ägyptischen Politiker Abul-Ela Madi | |
und Mohammed Selim el Awa. Bisher war ein Termin Ende 2012 oder Anfang 2013 | |
im Gespräch gewesen. | |
Das Militär sei außerdem "im Bedarfsfall" bereit, eine Volksabstimmung über | |
eine "sofortige" Machtübergabe zu organisieren, "wenn das Volk dies | |
wünscht", sagte Tantawi. "Die Armee will die Macht nicht", fügte er hinzu. | |
Bei Kämpfen zwischen Demonstranten sowie Armee und Polizei wurden jüngsten | |
Angaben zufolge seit Samstag 28 Menschen getötet, davon 26 in Kairo. | |
Unter dem Druck der Proteste hate der Militärrat im Tagesverlauf Gespräche | |
mit mehreren politischen Gruppierungen geführt. Nach Teilnehmerangaben | |
erwog er, den Friedensnobelpreisträger und Ex-Chef der Internationalen | |
Atomenergiebehörde, Mohamed ElBaradei, zum neuen Regierungschef zu | |
ernennen. Demnach stand auch der frühere Muslimbruder Abdel Monem Abul | |
Fotuh für das Amt zur Debatte. | |
Auf dem symbolträchtigen Tahrir-Platz in Kairo kamen erneut zehntausende | |
Menschen zu einer Kundgebung zusammen und forderten einen Machtwechsel. Der | |
Platz war das Zentrum der Massenproteste gegen den im Februar gestürzten | |
Staatschef Husni Mubarak gewesen. Nach der Rede Tantawis äußerten sich | |
mehrere Demonstranten äußerst skeptisch hinsichtlich seiner | |
Ankündigungen."Wir werden nicht gehen, er muss gehen", hieß es in | |
Sprechchören mit Bezug auf Tantawi. | |
Die gemäßigt islamistisch auftretenden Muslimbrüder wollten nach eigenen | |
Angaben nicht an der Demonstration auf dem Tahrir-Platz teilnehmen. | |
Stattdessen wollten sie sich an dem vom Militärrat angesetzten Dialog | |
beteiligen, erklärten sie. Eine Verschiebung der Parlamentswahl wegen der | |
Gewalt der vergangenen Tage lehnten die Muslimbrüder ab. | |
Der italienische Außenminister Giulio Terzi rief zu einem sofortigen Ende | |
der Gewalt in Ägypten auf. Er sei über die Situation in den vergangenen | |
Tagen sehr beunruhigt, hieß es in einer Mitteilung seines Ministeriums. Die | |
derzeitige Führung des Landes müsse "die Menschenrechte und die | |
berechtigten demokratischen Erwartungen des ägyptischen Volks achten". | |
Die Börse in der ägyptischen Hauptstadt setzte den Handel aus, nachdem ihr | |
Leitindex um fünf Prozent abgestürzt war. Das ägyptische Pfund fiel im | |
Vergleich zum Dollar auf den niedrigsten Stand seit Januar 2005. Die USA, | |
die Ägypten jährlich Militärhilfen in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar | |
zahlen, riefen erneut alle Seiten zur Zurückhaltung auf. "Die Gewalt ist | |
bedauerlich", sagte Regierungssprecher Jay Carney. | |
## Tränengas und Gummigeschosse | |
Die Sicherheitskräfte mieden den Tahrir-Platz seit Montag, um | |
Konfrontationen zu vermeiden. Mehrere Versuche, den Platz zu räumen, waren | |
zuvor fehlgeschlagen. In den Straßen zwischen dem Platz und dem | |
Polizeihauptquartier kam es dennoch auch am Dienstag zu Zusammenstößen. | |
Schwarz gekleidete Sicherheitskräfte, unterstützt durch Truppen des | |
Militärs, feuerten Salven von Tränengas und Gummigeschossen auf Gruppen | |
wütender junger Männer, die mit Steinen und Brandsätzen reagierten. | |
Ein Militärsprecher teilte der Nachrichtenagentur AP mit, dass die Truppen | |
Stacheldraht und Barrikaden rund um das Sicherheitshauptquartier aufgebaut | |
hätten, um Protestierende von einem Sturm auf das Gebäude abzuhalten. "Wir | |
sind nur hier, um das Innenministerium zu schützen", sagte er. | |
Der Protest ähnelt in vieler Hinsicht dem 18-tägigen Aufstand, der im | |
Februar das Regime von Präsident Husni Mubarak gestürzt hatte. Die | |
Sprechchöre sind zum Teil die gleichen, nur dass Mubaraks Name durch den | |
Tantawis ersetzt wird. In den Augen der Demonstranten sind die Generäle mit | |
dem Versuch gescheitert, das Land zu stabilisieren, die Wirtschaft zu | |
beleben und mehr Demokratie einzuführen. | |
"Das Ziel ist, die Regierung loszuwerden. Sie stehlen immer noch, und das | |
Volk kann nicht essen", sagte ein 23-jähriger Demonstrant, der seinen vor | |
Tränengas röchelnden Freund stützte. "Der Feldmarschall muss gehen, weil er | |
versucht, Mubarak zu schützen und ihn nicht vor Gericht stellen will", | |
fügte er hinzu. | |
## Drei Studenten aus den USA festgenommen | |
Ein Sprecher des Innenministeriums teilte unterdessen mit, dass drei | |
Ausländer festgenommen worden seien. Sie seien beobachtet worden, wie sie | |
von einem Gebäude der Amerikanischen Universität Brandbomben auf die | |
Sicherheitskräfte warfen. Ein Universitätssprecher teilte mit, es handele | |
sich um drei US-Studenten. | |
Der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow erklärte am Dienstag | |
seine Unterstützung für die jüngsten Proteste in Ägypten. Sie seien | |
"wohlbegründet und von entscheidender Bedeutung", sagte der 80-Jährige. | |
"Ich bin auf der Seite der Demonstranten." | |
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die | |
Militärregierung in einem neuen Bericht unterdessen heftig. Sie sei "mit | |
dem Versprechen an die Ägypter, die Lage der Menschenrechte zu verbessern, | |
komplett gescheitert". | |
22 Nov 2011 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Protest in Ägypten gegen Militärrat: "Verschwinde, verschwinde!" | |
2012 will der Militärrat in Ägypten die Macht in die Hände einer zivilen | |
Regierung legen. Doch den Demonstranten reicht das nicht. Sie harren auf | |
dem Tahrir-Platz aus und verlangen mehr. | |
Tauziehen auf Kairos Straßen: Frühe Präsidentschaftswahlen gefordert | |
Nach dem Rücktritt der Regierung lädt der Militärrat zu politischen | |
Gesprächen. Bei den derzeitigen Auseinandersetzungen geht es darum, wann er | |
seine Macht abgibt. | |
Vor "Millionen-Marsch" in Kairo: Wieder Verletzte auf dem Tahrir-Platz | |
Nach tagelangen Protesten mit Toten und Verletzten ist die ägyptische | |
Übergangsregierung zum Rücktritt bereit – wenn der Militärrat sie lässt. … | |
Kairo gab es erneut Ausschreitungen. | |
Ägypten vor der Wahl: 50 Stunden Straßenschlacht | |
Die Auseinandersetzungen rund um den Tahrirplatz nehmen kein Ende. Einige | |
Kandidaten haben ihren Wahlkampf vorläufig eingestellt. Wie es weitergeht, | |
ist offen. | |
Proteste in Ägypten dauern an: Tränengas und Gummigeschosse | |
Bei dem gewaltsamen Vorgehen der ägyptischen Polizei gegen Demonstranten | |
gab es am Wochenende zahlreiche Tote. Die Proteste auf dem Tahrir-Platz | |
gehen weiter. | |
Kommentar Ägyptens Militär: Spiel mit der Unsicherheit | |
Der Gewaltausbruch eröffnet der Armee die Option, die Wahl abzusagen. Doch | |
deren Annullierung könnte nach hinten losgehen. Der Tahrir-Platz würde noch | |
voller werden. |