# taz.de -- Debatte Rechtsextremismus: Die Schule kann es richten | |
> Für die Prävention gegen rechten Terror gibt es keine geeignetere | |
> Einrichtung als die Schule. Hier entscheidet sich, welchen Werten | |
> Menschen folgen. | |
Bild: Überführung eines Verdächtigen: Bisher wird immer noch gerätselt, wie… | |
"Wir sind beschämt!" Die Entschuldigung des deutschen Bundestages bei den | |
Opfern der Zwickauer Neonazis vor zwei Tagen war beeindruckend. Sie war ein | |
Eingeständnis der Scham über schwere Schuld. | |
Es tut sich etwas in Deutschland. Und in diesen Tagen wird so manchem ein | |
wenig bewusst, wie vergiftet das eigene Denken, Fühlen und Wahrnehmen | |
inzwischen geworden ist. Wie schmal der Grat ist zwischen einem | |
bürgerlichen "Das muss doch einmal gesagt werden" und dem rechtsextremen | |
Ressentiment. | |
Es ist nur folgerichtig, dass sich die Republik in diesen Tagen quer durch | |
alle Parteien und gesellschaftlichen Lager in Aktionismus stürzt. Denn | |
vieles muss schon bald sehr viel besser werden. Die Arbeit der | |
Sicherheitsbehörden, der Umgang mit der NPD und den Kameradschaften, das | |
Bewusstsein über die rechtsterroristischen Gefahr und die Haltung der | |
Mehrheitsgesellschaft zu seinen Minderheiten. | |
Vieles, was in diesen Tagen gefordert und getan wird, ist richtig: die | |
Entschuldigungen bei den Hinterbliebenen und die Rücknahme von Kürzungen | |
bei Maßnahmen gegen Rechtsextremismus um 2 Millionen Euro wie vorgestern | |
geschehen. Denn die jüngsten Ereignisse beweisen: Der Staat braucht zur | |
Aufrechterhaltung des Gewaltmonopols und im Kampf gegen den | |
Rechtsextremismus die Kompetenzen und das Wissen der Zivilgesellschaft. | |
Allein ist er der Aufgabe nicht gewachsen. | |
## Aufstand der Anständigen | |
Opferentschädigung und bewegende Worte bei der zentralen Trauerfeier, die | |
nun folgen sollen, können die Morde nicht ungeschehen machen. Sie sind | |
dennoch von großer symbolischer Bedeutung. Denn sie setzen ein Zeichen der | |
Solidarität und können so ein wenig des Vertrauensverlustes der | |
MigrantInnen gegenüber den Sicherheitsbehörden und der | |
Mehrheitsgesellschaft wiedergutmachen. | |
In wenigen Tagen wird Deutschland wieder zum Alltag übergehen, und die | |
Medien werden sich zwangsläufig neuen Themen zuwenden. Dann wird sich | |
zeigen, ob die Republik aus der Krise gelernt hat und in der Lage ist, sich | |
nachhaltig mit Rassismus und rechtsextremistischer Ideologie | |
auseinanderzusetzen. | |
Wer den stetigen Zulauf von jungen Menschen in rechtsextremistische Milieus | |
aufhalten möchte, der darf sich nicht nur auf die unerlässlichen und | |
überfälligen repressiven Maßnahmen, vor allem die Festnahme und | |
Verurteilungen der Täter und ihrer Helfer, beschränken. | |
Seit 2001, dem "Aufstand der Anständigen", wurden deutschlandweit Hunderte | |
von zivilgesellschaftlichen Organisationen von der Bundesregierung in | |
zeitlich befristeten Modellprojekten finanziell gefördert, um innovative | |
und präventive Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und | |
Rassismus zu entwickeln. Sie haben geliefert. | |
Inzwischen steht eine Vielzahl von hervorragenden Maßnahmen und | |
Handlungsansätzen zur Verfügung, die die Anfälligkeit von Kindern und | |
Jugendlichen gegenüber Ideologien der Ungleichwertigkeit wie Rassismus und | |
Rechtsextremismus reduzieren. Diese Modelle konnten den Rechtsextremismus | |
zwar nicht aus der Welt schaffen, aber dort, wo sie wirkten, haben sie | |
einen messbaren Beitrag zur Zivilisierung des Alltagslebens geliefert. | |
## Dominanz rechter Ideologien | |
Trotz dieser staatlichen Investition, die jährlich dem Gegenwert von rund | |
vier Kilometern neu gebauter Autobahn entspricht, dominieren in vielen | |
Regionen Deutschlands bis heute nationalsozialistisch orientierte | |
Kameradschaften die Kinder- und Jugendarbeit. Sie besetzen ein Vakuum, da | |
es an attraktiven kommunalen Angeboten der außerschulischen Kinder- und | |
Jugendarbeit fehlt. Auch an den Schulen überwiegen insbesondere im Osten | |
der Republik häufig rechtsextrem orientierte Freundschaftscliquen. Wer das | |
für Sozialarbeiterklamauk hält, dem sei eine Exkursion durch die ländlichen | |
Regionen zum Beispiel der Uckermark, Mecklenburg Vorpommerns, der | |
Sächsischen Schweiz oder des Harzes empfohlen. | |
Die Terroristen von Zwickau haben seit ihrer frühen Jugend genau so eine | |
rechtsextremistische Sozialisation durchlebt, sie gingen im selben Ort zur | |
Schule, verlebten Kindheit und Jugend im selben Milieu und pflegten im | |
innerjugendlichen Dialog gemeinsam ihre Ressentiments gegenüber Migranten, | |
Linken und den Institutionen des demokratischen Staates. | |
## Primäre Prävention | |
Was genau erlebten sie an ihren Schulen? Wie fanden sie gemeinsam den Weg | |
in den Thüringer Heimatschutz? Und an welcher Stelle hätte eine präventive | |
Arbeit in Kinder- und Jugendjahren noch einen Richtungswechsel in ihren | |
Werten und ihrer Biografie herbeiführen können? | |
Fragen wie diese werden gern als unpolitisches Gutmenschentum denunziert. | |
Das verspricht Distinktion, ist aber dumm. Denn es geht nicht um Gnade. Es | |
geht auch nicht darum, ein ausführliches Psychogramm der Täter zu zeichnen, | |
um daraus Verständnis für ihre unmenschlichen Taten abzuleiten. Eine | |
präzise Beschreibung, an welchen Stellen die primäre Prävention erfolgreich | |
hätte intervenieren können, hilft, Radikalisierungsprozessen frühzeitig | |
etwas entgegenzusetzen. Sie rettet Menschenleben. | |
Für die primäre Prävention gegen die Radikalisierung gibt es keine | |
geeignetere Einrichtung als die öffentlichen Schulen. Denn kein Kind in | |
Deutschland kann sich der zehnjährigen Schulpflicht entziehen. Das | |
bedeutet: Die Schule ist der Ort, an dem alle Jugendlichen bis zum Alter | |
von 16 Jahren erreicht werden können. Hier entscheidet sich, welchen Werten | |
Menschen in ihrem Leben folgen und wohin sich dieses Land entwickelt. | |
Wenn in den nächsten Wochen über die Aufrüstung der Polizei und der | |
Sicherheitsdienste debattiert wird, sollte nicht vergessen werden: Die | |
Schule und die Pädagogen können ihre präventiven und zivilisatorischen | |
Aufgaben nur erfüllen, wenn Politik und Gesellschaft sie dazu auch in die | |
Lage versetzen. Schule muss in Zukunft mehr als bisher über Zeit und die | |
notwendigen Kompetenzen verfügen, die das Selbstwertgefühl, den | |
Partizipationswillen und die Empathiefähigkeit der SchülerInnen stärken. | |
24 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
S. Kleff | |
E. Seidel | |
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