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# taz.de -- Integration in der Eurokrise: Schämt euch, ihr Versager!
> Bisher galten wir DeutschgriechInnen als gut integriert. Dann kam die
> Eurokrise. Nun sind wir wieder draußen - und griechischer geworden.
Bild: In der Eurokrise rücken die Deutschen von den Deutschgriechinnen ab.
Gebildet heißt noch lange nicht intelligent. Unser Freund Dimi -
Industriedesigner - kotzte sich neulich wieder aus. Sein Vorgesetzter - ein
gebildeter Mensch - drückte ihm folgenden Spruch rein: "Na, dann fliegt ihr
ja demnächst aus der EU! Hahaha."
Ist witzig gemeint, schon klar. Euro ist ja auch gleich EU. Es gibt aber
auch die anderen Deutschen. Die Korrekten. Sportkollege Eddi - Lkw-Fahrer -
offenbarte seine Sympathie für Expräsident Papandreou. "Den find ich gut.
Volksbefragung - das bräuchten wir hier auch. Aber uns fragt ja keiner."
Doch ganz gleich, ob es nun die Netten oder die Blöden sind, immer wieder
müssen wir uns seit Beginn der Staatsschuldenkrise diesen unsinnigen,
verräterischen Satz anhören: "Ihr kriegt unser Geld." Wer bitteschön ist
"ihr"? Und wer sind "wir"?
## Kanake? Europäer?
Viele von uns sind längst deutsche Staatsbürger. Auf jeden Fall zahlen die
meisten Deutschgriechen ihr Leben lang in Deutschland Steuern. Wir haben
den "Aufbau Ost" mitfinanziert, unser Staat nimmt momentan enorme Summen an
Zinszahlungen vom griechischen Steuerzahler ein, und auch wir werden dafür
geradestehen müssen, wenn Hellas die "Hilfskredite" nicht zurückzahlen
kann. Was ist daran so schwer zu verstehen? Wird man noch unseren Enkeln
unterstellen, dass sie ja eigentlich woanders hingehören? Muss aus Oulios
erst Uli Hoss werden, bevor das aufhört?
Überhaupt - "Hilfskredite". Eine Maßnahme, die große Teile der Bevölkerung
an der Ägäis verarmen lässt, ist keine Hilfe. Gerettet wird nicht
Griechenland, sondern der Euro. Derselbe Euro, der die billigen Kredite und
damit die fatale Überschuldung Griechenlands erst ermöglichte. Und ja, Sie
merken es, wir identifizieren uns weiterhin mit Griechenland. Mit der
Musik, mit der Landschaft, dem Lebensgefühl, mit unseren Familien,
Verwandten und Freunden. Auch mit dem Mut zur Rebellion. Und das ist gut
so.
Aber irgendwie ist das gerade eine merkwürdige Emotion. Eine fast
unwirkliche, dramatische, trotzige Identifikation. Alles, was uns selbst
oft an den Verhältnissen in Hellas genervt hat, wovon wir uns distanziert
hatten, tritt jetzt in den Hintergrund, wenn alle anderen nur noch davon
reden.
Seit Einbruch der griechischen Krise sind viele von uns DeutschgriechInnen
um einiges griechischer geworden. Bisher hatten wir es mit einem Profil
zwischen assimiliertem Kanaken und zugehörigem Europäer geschafft, ein
meist widerspruchsloser Teil Deutschlands zu sein, der die Herkunftsfrage
unspektakulär und schnell beantwortet.
Unser Griechischsein konnten wir individuell dosieren, je nach der eigenen
Vorliebe für Osterrituale oder Schafskäse - ansonsten performten wir auch
mal unbemerkt den Inländer. Das hat sich geändert - der
Migrationshintergrund ist nicht mehr so einfach im Hintergrund zu halten,
denn Griechen stehen im Rampenlicht der gesamten Welt!
Seit über einem Jahr erinnern uns jeden Morgen die fetten Lettern der
Schlagzeilen daran, dass wir aus einem Versagerland stammen und dass der
Deutsche mal wieder für den Ausländer zahle. Um argumentieren zu können,
informieren wir uns auf einmal über die genauen Zahlen zu
Renteneintrittsalter und Durchschnittsarbeitszeit in Hellas und lesen
bevorzugt die griechische Presse statt taz und Co. So rückt man uns immer
näher ans Herkunftsland der Eltern und macht uns erneut auf eine Art zu
Griechen, wie wir es nie erwartet hätten.
Die meisten Deutschen blenden dabei gern die Systemimmanenz der
gesamteuropäischen Schuldenkrise aus und legen uns nahe, uns für "unsere"
Nation zu schämen. Und auf der anderen Seite die Leute in Griechenland, die
uns als privilegiert ansehen. Immerhin sprechen wir die Sprache des
"Besatzers". Die Sprache von "Reich"-enbach - wie die Griechen den
Vorsitzenden der Taskforce, die die Sparanstrengungen der Hellenen
kontrolliert, apostrophieren. So viel hatten "Deutsche an sich" und
"Griechen an sich" zuletzt im Zweiten Weltkrieg miteinander zu tun. Und da
ist es der deutsche Staat, der seine Schulden immer noch nicht beglichen
hat.
## Der Feind im eigenen Land
Die kitschige Rollenaufteilug in diesem Drama lautet ja: Deutschland ist
der mahnende und gern auch mal drohende Vater, Griechenland das
unverbesserliche Kind. Der Vater vergibt teure Kredite und kann sie nennen,
wie er will, zum Beispiel "Rettungspakete". Dem Kind darf man auch mal eine
reindrücken, sonst lernt es nicht dazu. Das deutsche Wir geht gestärkt aus
der Krise hervor. Angela Merkel gibt die maßgeblichen Anweisungen für
politische und wirtschaftliche Entscheidungen in Griechenland. So können
wir als DeutschgriechInnen getrost sagen: Der Feind steht im eigenen Land.
Es ist unglaublich, mit welcher Konsequenz der Wert der Menschen in
Griechenland nun herabgestuft wurde. Die Griechen mussten erst mal als
genuin faul, chaotisch, undiszipliniert gebrandmarkt werden, um sie sozial-
und lohnpolitisch leichter entrechten zu können, als es das Leben eines
vollwertigen europäischen Bürgers zulässt. Darin offenbart sich die Logik
eines postliberalen Rassismus.
Es ist nicht derselbe Rassismus der Neonazi-Mörder, doch er besitzt eine
Gemeinsamkeit mit ihnen. Während die rechten Terroristen umbringen, wer
ihrer Meinung nach nicht dazugehört, aber an der Realität der
Einwanderungsgesellschaft nichts ändern können, stellt der liberale
Rassismus nicht die Zugehörigkeit an sich infrage, aber doch die
Gleichberechtigung, die daraus erwächst.
Ein Ausdruck dessen ist, dass mit der Griechenland-Panik im Rücken auch
noch der letzte abgehängte Deutsche sich als europäischer Blockwart
aufspielen kann. Als in diesem Sommer DemonstrantInnen am Düsseldorfer
Hauptbahnhof ihre Solidarität mit Griechenland bekundeten, riefen ihnen
sogar einige Junkies zu: "Geht erst mal arbeiten!"
Hinter den Phrasen des "die Griechen kosten uns zu viel" steht ein
Rassismus, der dieses Mal an den Graecoalemannos ausprobiert, inwieweit
sich die Gleichheit unter Bürgern zurücknehmen lässt. Wie beim Rassismus
gegen Muslime thematisiert auch die "westliche", latent antigriechische
Haltung nicht mehr grundsätzlich unsere kulturellen Unterschiede, sondern
stellt unsere staatsbürgerliche Fähigkeit, Deutsche oder Europäer zu sein,
infrage.
## Kolonie Griechenland
Erstaunlicherweise ist es in den letzten Tagen ruhiger geworden, nachdem
Hellas nun - endlich? - von einem Statthalter der Euro-Bürokratie regiert
wird. Denn die bisherige Griechenland-Panik steht auch für einen
Neokolonialismus Kerneuropas. Er demonstriert machtvoll, dass wir in Europa
ein vergessenes Nord-Süd-Gefälle haben und dass dies Kosten verursacht. Das
Nord-Süd-Gefälle in der inneren Peripherie der Eurozone begleitete ständig
den Prozess der europäischen Integration, die primär die Einheit der
Kapitalmärkte in den Mittelpunkt stellte und keinesfalls der Lohn-, Sozial-
oder Steuersysteme.
Die Ernennung des Banktechnokraten Lucas Papademos ist symptomatisch für
diese Diktatur des Marktes. Der Euro agiert längst als Währung ohne Staat.
Die Einheit der Kapitalmärkte, durch den Euro garantiert, führte zum
Verlust der Konkurrenzfähigkeit der Randländer zugunsten der Kernländer.
Nun ist die Krise permanent und die Ränder Europas sollen diszipliniert
werden. Wir ahnen schon, dass es nicht bei den Rändern bleiben wird. Dort
wurde der Verlust der Konkurrenzfähigkeit kompensiert mit einer steigenden
Verschuldung - vermittelt über die Banken Deutschlands und Frankreichs. Die
steigende Schuldenlast legitimierte die Deregulierung wohlfahrtstaatlicher
Systeme. Die oftmals verschuldeten privaten Haushalte tragen am Ende die
realen Kosten des Nord-Süd-Gefälles, was an der aktuellen Zerstörung der
griechischen Mittelschicht abzulesen ist.
Das Griechen-Bashing eignet sich hervorragend dazu, der existenziellen
Frage, weshalb der Reichtum - nicht nur in Hellas - von unten nach oben
verteilt wird und nicht umgekehrt, aus dem Weg zu gehen. Das blicken auch
in Deutschland immer mehr Menschen.
Und unsere Kanzlerin? Sie fand es nicht gut, dass Giorgos Papandreou das
Volk befragen wollte. Was Angela Merkel offensichtlich gut findet, ist,
dass ein von keinem Bürger gewählter Banker wie Papademos eine
Übergangsregierung bildet, in die er ohne Not die rechtsradikale
Laos-Partei - ein Haufen ausgewiesener Rassisten und Antisemiten -
einbindet. Ja genau, wir schämen uns - aber nicht für Griechenland.
25 Nov 2011
## AUTOREN
M. Oulios
V. Tsianos
M. Tsomou
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