Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Habseligkeiten: Von Hipstern und Nerds
> Die Mode verläuft zyklisch und trotzdem stecken wir in den Achtzigern
> fest. Warum wir die Loser von damals lieben.
Neulich war ich unterwegs und machte mich an einem Freitagabend auf den
weiten Weg aus meiner Charlottenburger Wohnung nach Friedrichshain. Das ist
ein Stadtteil in Berlin, der unter jungen Leuten aus aller Welt sehr
beliebt ist, dementsprechend fehl am Platz kam ich mir mit meinen 35 Jahren
dort vor. In der Lobby eines Hotels, das nicht für Ruhe und Einkehr bekannt
werden wird, fand eine riesige Party statt. Ich schaute nach links, nach
rechts, dann an mir herunter und dachte: "Wie einfältig von dir!", denn ich
trug ein kleines schwarzes Kleid mit Stiefeln und hatte die Haare
hochgesteckt.
Richtig wäre gewesen, ein vage körperbetontes Karohemd zu tragen. Eins, für
das man Maschinenbaustudenten in Aachen in den 90ern verlachte, die traurig
vor ihrem Weizenbier saßen. Die Art der Hose, die zu dem Hemd getragen
würde, wäre relativ egal, Hauptsache, sie wäre eng und ich spindeldürr. Am
Handgelenk müsste man eine Digitaluhr mit Mini-Taschenrechner tragen und
auf der Nase eine Brille, die man vor fünf Jahren als zu groß empfunden
hätte.
Hätte ich vor dem Ausgehen in den Spiegel geschaut und kurz gedacht, da
stünde einer der weniger attraktiveren Charaktere des
80er-Jahre-Jugendfilms "Breakfast Club", dann wärs richtig gewesen. Denn
der Nerd-Look mit übergroßen Hornbrillen und dem ausgestellt an
Äußerlichkeiten Desinteressiertem ist mysteriöserweise in Mode. Es kann
sich nur um einen Irrtum handeln. Wenn alles in Wellen verläuft und
wiederkommt, müsste man dann nicht jetzt über diesen Style lachen, anstatt
ihm zu huldigen?
Die wahren Hüter des Klassengeodreiecks, also diejenigen, die in jeglicher
Umgebung schräg wirken, streberhaft und altklug in ihrem Fachgebiet,
verschanzen sich längst, wie Wirtschaftsminister Philipp Rösler, hinter
rahmenlosen Silhouette-Brillen, in frisch gereinigten Anzügen oder
Polohemden. Spießer-Nerds erkennt man, im Vergleich zu den Hipster-Nerds,
daran, dass sie Bionade statt Club-Mate trinken und vielleicht sogar eine
Wohnwand, wenn auch von BoConcept, besitzen. Ein richtiger Nerd-Look-Nerd
würde niemals einen Leasingvertrag für das BMW-Einsteigermodell
unterschreiben, sondern einen VW-Transporter kaufen.
Meistens aber bewegt sich der neue Nerd mit einem Fahrrad fort, das er
einer betagten Dame aus dem Keller geklaut haben könnte. Er pedalt auf
einem Klapprad oder einem Kettler-Alu-Rad - oder schiebt, weil ein paar
Meter weiter die Polizei steht und das Licht an dem Nerd-Rad
selbstverständlich kaputt ist. Ich sah sogar eine adrette junge Nerd-Frau,
die ein No-Name-Rad vor der Uni ankettete, auf dessen Schutzblech ein
entzückender Aufkleber prangte. Der sagte "Ja zu Bonn" und das Rad muss
Vintage gewesen sein, also Second-Hand in besser klingend.
Seit diesem denkwürdigen Abend in Friedrichshain habe ich mir schon drei
Leitz-Ordner gekauft und versuche so viel wie möglich mit ihnen durch die
Gegend zu marschieren. Wenn es so weitergeht, prophezeie ich, kommt der,
vielleicht in Kombination mit einer Aktentasche, wieder in Mode. Aber keine
Sorge: Auch das geht vorbei.
29 Nov 2011
## AUTOREN
Natalie Tenberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fizzelwasser Club-Mate: Hallo, waaAAAAAACH!!
Ab Dienstag trifft sich in Berlin die Hackerszene. Mit dabei: die
Hackerbrause Club-Mate – inzwischen auch Trendgetränk aller Hipster. Wie
konnte es so weit kommen?
Kolumne Habseligkeiten: Uhren! Überall Uhren!
Vorweihnachtshorror: Schauen Sie in keine Zeitschrift, es steht sowieso
nichts Gescheites drin.
Kolumne Habseligkeiten: Salsa und Sexappeal
Wer den eigenen Körper stählen und dabei albern aussehen will, sollte zum
Zumba gehen. Auch wenn man Gabi heißt und die türkisfarbenen Leggings
kneifen.
Kolumne Habseligkeiten: Haben und halten
Wer etwas über Männer erfahren will, muss Judith fragen: Sie ist Expertin
für Haarausfall und Bauchansatz. Und eine neue Spezies: Den Trophy Man.
Kolumne Habseligkeiten: Good Cop, Bad Cop, Papst & Obermann
Was haben die katholische Kirche und die Deutsche Telekom gemeinsam?
Kolumne Habseligkeiten: Plopp, plopp, blubb, blubb
Das trinkt man jetzt so: Wer schnell reich werden will, sollte einen
Bubble-Milk-Tea-Laden eröffnen. Obwohl das neue In-Getränk nicht besonders
schmeckt, sind alle verrückt danach.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.