# taz.de -- Kolumne Habseligkeiten: Uhren! Überall Uhren! | |
> Vorweihnachtshorror: Schauen Sie in keine Zeitschrift, es steht sowieso | |
> nichts Gescheites drin. | |
Vor ein paar Tagen ging ich friedlich die Dorotheenstraße in Berlin | |
entlang. Studenten schoben ihre Räder aus der Uni, alles war geschäftig und | |
die Luft ein wenig trübe vom Herbstwetter. Alles deutete darauf hin, dass | |
der Winter käme, da sah ich ihn: den Weihnachtsmann in seiner roten Robe. | |
Meinen ersten in diesem Jahr. Er stand auf der Straße, und ich glaube, er | |
verteilte irgendwelchen Gratiskrimskrams vor der Mensa. "Es fängt wieder | |
an", dachte ich und suchte zu Hause gleich im Stapel unbeachteter | |
Zeitschriften nach weiteren Hinweisen auf das Fest der Liebe. | |
Tatsächlich lag dort die von uns abonnierte Architekturzeitschrift. Von | |
vorn sah sie ganz normal aus, aber wenn man sie umdrehte, stand in | |
goldener, schön festlicher Schrift geschrieben: "Schmuck & Uhren.". In | |
diesem Moment ging mir auf: Es hat schon längst begonnen. | |
Wirklich ernst wird es mit der Vorweihnachtszeit, wenn Magazine, die sonst | |
vornehmlich Lavazza-Werbung machen, anfangen, in aufwändig produzierten | |
Fotostrecken teure Uhren vorzustellen unter dem Schlagwort angeblicher | |
Trends. All die schönen Seiten, auf denen interessante Geschichten stehen | |
könnten, zeigen plötzlich alle nur noch Ziffernblätter. Furchtbar! | |
Meinetwegen könnnen Rewe, Edeka und Netto ganzjährig Dominosteine | |
verkaufen, ich selbst mag Spekulatius auch im Sommer, und ich könnte zu | |
jeder Saison die kleinen Ohren von Schokoladenosterhasen anknabbern. Ich | |
bitte nur darum, von diesen unsäglichen Uhrenspecials abzusehen. | |
Nicht dass ich etwas gegen Luxusuhren hätte. Es soll sich jeder gerne bei | |
seinem Juwelier mit den zukünftigen Erbstücken eindecken, die er gerne | |
hätte. Aber mich nervt und ärgert es jedes Jahr wieder, dass diese | |
Uhrenwerbung so tut, als wäre sie Inhalt, für die es sich zu zahlen lohnt. | |
Oder interessiert sich wirklich jemand für die abstrusen zwei, drei Sätze, | |
die um die Breitling Galactic 36 Damen Automatik für 7.020 Euro gebastelt | |
werden, die nebenbei bemerkt ganz schön prollig aussieht? Für wen wurde der | |
Satz geschrieben, dass die Grande Reverso Duo von Jaeger-LeCoultre | |
ursprünglich für Polospieler entwickelt wurde? Für die Einwohner von | |
Sotogrande in Südspanien, die ja angeblich diesem Sport fröhnen? Wer | |
verschenkt überhaupt solche Uhren zu einem gewöhnlichen Weihnachtsfest | |
anstatt zur Konfirmation (oder Ähnlichem)? | |
Nun gut, die Uhrenpräsentatoren sind meistens Magazine, die sich an ein | |
älteres Publikum richtet, das sich sowieso für Dinge interessiert, die | |
gemeinhin als "schön" gelten, Eames-Stühle, Wagenfeld-Leuchten, | |
Breuer-Freischwinger und Eileen-Grey-Liegen. Leute, die jederzeit gegen die | |
Kommerzialisierung von Weihnachten sind, gegen Halloween und die ihre | |
festliche Dekoration eher bei Manufaktum als bei Nanu-nana kaufen. | |
Warum begehren diese Leser nicht auf gegen diese Fotostrecken, sondern | |
beschweren sich lang und breit über September-Lebkuchen bei Rewe, obwohl | |
die wenigstens lecker schmecken? Dieses Verhalten ist mir ein Rätsel. Eins, | |
das immer wiederkehrt. Darauf trinke ich nun rasch einen Lavazza-Kaffee. | |
15 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Natalie Tenberg | |
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