# taz.de -- Türkischer Autokorso gegen Rassismus: Hupkonzert als Weckruf | |
> Aus Protest über den Umgang deutscher Behörden mit der Nazi-Mordserie | |
> organisiert der Türkische Bund einen Autokorso gegen Rassismus. | |
> Fahrtziel: die NPD-Zentrale. | |
Bild: Gegen den ganz normalen Alltagsrassismus: Vor dem Reichstag gabs eine Kun… | |
BERLIN taz | Es ist ordentlich warm, um nicht zu sagen gemütlich in dem | |
Mercedes-Bus. Mit seinem Achtsitzer ist Taxifahrer Hüseyin Bozkurt ganz | |
vorne mit dabei, in Berlins erstem antirassistischen Autokorso. "Wir | |
gehören schon ewig zu dieser Stadt, jetzt wollen wir auch mal gesehen | |
werden", sagt der 47-jährige gebürtige Istanbuler. Deshalb sind er und | |
seine Freunde Ali K. und Duran Demir mit dem Großraumtaxi zu der Kundgebung | |
des Türkischen Bunds in Berlin-Brandenburg (TBB) gekommen. | |
Plakatieren kann er wegen abgedunkelter Scheiben nur vorn: "Wundern über | |
Rassismus ist Heuchelei - Wo leben wir? Deutschland 1933 oder Deutschland | |
2011?" Bozkurt, der seit 35 Jahren in Deutschland lebt und die deutsche | |
Staatsbürgerschaft besitzt, ist empört über den Umgang der deutschen | |
Sicherheitsbehörden mit der Mordserie des Thüringer Nazi-Trios Zschäpe, | |
Mundlos, Böhnhardt. | |
"Wären die Opfer Deutsche gewesen, wäre das viel schneller aufgedeckt | |
worden", glaubt Bozkurt. Deshalb reiht sich sein Kulturverein Sivasli | |
Canlar e. V. heute mit fünf Autos in den knapp 200 Wagen umfassenden Tross | |
ein. Sonst setze man sich eher mit Lesungen, Konzerten und verschiedenen | |
Arbeitsgruppen für eine gute Vernetzung der türkischen Jugendlichen und die | |
Versorgung alternder Landsmänner und -frauen ein, erzählt Bozkurt. "Mit | |
politischen Fragen wollen unsere Mitglieder am liebsten gar nichts zu tun | |
haben." Doch in den letzten zwei Wochen sei vielen klar geworden, dass es | |
so nicht mehr weitergehen könne. Die drei Vereinskollegen sind sich einig: | |
"Damit in Deutschland ein friedliches Zusammenleben möglich ist, muss die | |
NPD verboten werden." | |
"Aber dass wir zur NPD-Zentrale fahren, ist ein Fehler, wir kennen unseren | |
Gegner nicht", sagt Bozkurt, als sich der Konvoi gegen 11.30 Uhr in Gang | |
setzt. Das Autoradio ist leise, gedämpft dringen die Laute des vor und | |
hinter ihm steigenden Hupkonzerts herein, doch der kleine, braungebrannte | |
Mann mag noch nicht einstimmen. Mit ruhigem Fuß bringt er den Wagen auf | |
etwas über 30 Stundenkilometer und erklärt, warum er und seine beiden | |
Vereinskollegen mit einigen Details der Demoplanung nicht ganz glücklich | |
sind. | |
## "Wir hätten zu Fuß gehen sollen" | |
"Was bringt es, die Rechten zu provozieren? Wir sollten uns auf das | |
Innenministerium konzentrieren und zu Fuß gehen, mit viel mehr Leuten und | |
nicht nur Türken", sagt Bozkurt. Aber der TBB-Vorstand hat eben | |
entschieden, dass es ein Korso sein soll - nur so habe man alle drei | |
Protestpunkte geografisch abdecken können: NPD-Verbotsforderung in | |
Köpenick, Kritik an den Sicherheitsbehörden vor dem Innenministerium und an | |
der Politik vor dem Reichstag. "Abgesehen davon, dass die Menschen auf den | |
Straßen kaum reagiert haben, sind wir mit dem reibungslosen Ablauf sehr | |
zufrieden", sagt TBB-Vorstandsmitglied Alisan Genc. | |
Mit gelegentlichen Hupeinlagen und unter manchmal ratlosen Blicken der | |
wenigen Fußgänger in Köpenick tuckert die endlose Wagenkolonne nebst | |
Polizeischutz der NPD-Zentrale entgegen. "Die wissen gar nicht, worum es | |
hier geht, und ärgern sich, dass ihr Bus nicht kommt", witzelt Bozkurt. Als | |
es auf die hermetisch abgesperrte Seelenbinderstraße 42 zugeht, streicht er | |
sich angespannt übers Kinn: "Was ist denn da vorne links? Da stehen so | |
viele Menschen?" Keine Antwort, Ali K. und Duran Demir wissen auch nicht | |
mehr. Also auf die Hupe und vorbei an der leeren Zentrale und dem | |
Menschenpulk, der sich als Ansammlung von Polizeibeamten herausstellt. "Na | |
ja, ohne Anhalten ist das witzlos, so fahre ich hier ja jeden Tag lang." | |
## Mit Pappbrille zur Schweigeminute | |
Über die Köpenicker Chaussee und das Ostkreuz geht es durch menschenleeres | |
Gebiet wieder auf die Skalitzer Straße. "Mensch, wir wollen doch was | |
bewegen, dann müssen wir über die Stralauer Allee", findet Bozkurt. Der | |
TBB-Vorstand klingelt durch: "Wir sollen mehr hupen, macht ja keiner mehr | |
was", lacht er. Auf die zweite Station, das Innenministerium, freut er | |
sich, dort steigt die Operation "Auf dem rechten Auge blind". | |
Bozkurt, Ali K. und Demir setzen ihre Pappbrillen mit rechts abgedunkelter | |
Fläche auf und lassen sich mit den knapp 500 Mitdemonstranten von Kenan | |
Kolat, Nochgeschäftsführer des TBB, per Megafon zur Schweigeminute | |
aufstellen. Dann geht es weiter zum Reichstag, wo Alisan Genc einen | |
Trauerkranz niederlegt. | |
"Das waren gute Bilder für die Presse, und deren Aufmerksamkeit ist ja am | |
Ende auch das, was Druck auf die Politik macht", sind sich Demir und | |
Bozkurt einig. "Aber auf dem Weg hättest du ruhig ein bisschen Musik machen | |
können", sagt Bozkurt zu seinem Kollegen. "Ich habe dir schließlich auch | |
eine kostenlose Stadtrundfahrt spendiert." | |
4 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Karen Grass | |
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