# taz.de -- Zivigesellschaftliches Forum Afghanistan: "Wir brauchen eine gute G… | |
> Wie lässt sich die Zivilgesellschaft in Afghanistan stärken? Vor der | |
> Konferenz in Bonn diskutierten Delegierte und warnten vor einem zu | |
> schnellen Rückzug auf Kosten der Menschen. | |
Bild: Zuhörer des Forums in Bonn. | |
"Die zentrale Botschaft der Konferenz muss sein, dass sich der Fehler von | |
1992 nicht wiederholt und wir die Afghanen nicht im Stich lassen." Dies | |
erklärte der Sonderbotschafter der Bundesregierung für Afghanistan und | |
Pakistan, Michael Steiner, den 34 Delegierten der afghanischen | |
Zivilgesellschaft, die sich im Vorfeld der internationalen | |
Afghanistankonferenz Freitag und Samstag in Bonn trafen. | |
Nach dem Ende der sowjetischen Besatzung und des Kalten Krieges hatte der | |
Westen 1992 Afghanistan mit seinen Milizen alleingelassen. Die Folge war | |
ein Bürgerkrieg und schließlich die Machtübernahme der Taliban. | |
"Jetzt geht es um den Blick in die Zukunft", sagte Steiner, "um die Dekade | |
nach 2014." 2014 nämlich will die Nato ihre Kampftruppen aus Afghanistan | |
abziehen und sollen einheimische Kräfte mit Unterstützung westlicher | |
Berater die Verantwortung für das Land übernehmen. Der Westen müsse | |
Afghanistan darüber hinaus beistehen, forderte der Sonderbeauftragte, der | |
die Bonner Konferenz mit ihren 100 Delegationen ausrichtet. | |
## Deutschland gegen konkrete Zahlen | |
Gemeint ist ein umfassendes ziviles Engagement, worunter auch die | |
Finanzierung der etwa 350.000 afghanischen Soldaten und Polizisten fiele, | |
deren Kosten den halben Staatshaushalt verschlingen. Dieser wird zu 90 | |
Prozent von der internationalen Gemeinschaft finanziert. Allerdings will | |
die Bundesregierung bei der Konferenz nicht über konkrete Zahlen | |
verhandeln, wie die taz aus Delegationskreisen erfuhr. | |
Steiner ließ keinen Zweifel daran, dass auch die Afghanen ihren Beitrag | |
leisten müssen. "Es kann keine einseitigen Verpflichtungen geben", mahnte | |
er. "Wir müssen uns gegenseitig glaubwürdig versichern." Genau diesem Ziel | |
dient die am Montag stattfindende internationale Afghanistankonferenz: Die | |
westlichen Länder sollen Afghanistan weitere umfassende Hilfe zusagen, die | |
Afghanen dafür versprechen, diese sinnvoll zu nutzen und sich selbst | |
stärker anzustrengen. | |
"Ab 2015 werden wir unser ziviles Engagement nicht mehr damit begründen | |
können, dass unsere Soldaten vor Ort sind", erklärte Steiner. Wenngleich | |
diese Interpretation von Entwicklungshilfe als flankierende Maßnahme der | |
Militärintervention bei Helfern auf Ablehnung stößt und die Besetzer des | |
Bonner Gebäudes der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) | |
vom Freitag in ihrem Protest bestätigt, fürchtet Steiner zu Recht: Ist die | |
Bundeswehr nicht mehr am Hindukusch, könnte die deutsche Aufmerksamkeit | |
sinken und damit die Chance, Mittel für Afghanistan aufzutreiben. Umso | |
wichtiger ist aus Steiners Sicht der afghanische Beitrag: "Wir brauchen | |
eine gute Geschichte", sagte er. | |
## Zu allgemeine Forderungen | |
Die in Bonn versammelten Delegierten der Zivilgesellschaft haben Zweifel. | |
Viele ihrer Redebeiträge waren Litaneien über Korruption und Warlords und | |
zeigten, dass man selbst nicht an baldige Besserung der Regierung glaubt. | |
Zugleich machten die 18 Männer und 16 Frauen unfreiwillig deutlich, welch | |
weiten Weg sie selbst noch vor sich haben. Ihre Forderungen, die ihre zwei | |
Vertreter heute beim Außenministertreffen vorstellen, sind zu allgemein, | |
kaum operationabel und vom Wunsch beseelt, niemandem auf die Füße zu | |
treten. | |
Sie warnten vor einer "übereilten Exitstrategie" und dem Aufbau von Milizen | |
statt Stärkung der Armee. Sie forderten Rechtsstaatlichkeit und | |
Armutsbekämpfung. Dass Steiner erklärte, er könne fast alle Forderungen | |
unterschreiben, zeigte nach Meinung eines Teilnehmers, dass die Vertreter | |
der Zivilgesellschaft etwas falsch gemacht hätten. Nur darin waren sie am | |
Ende überraschend klar: "Jeder, der Verbrechen begangen hat, muss zur | |
Rechenschaft gezogen werden", so Sprecherin Selay Ghaffar. | |
Die 34 Delegierten wurden in einem von Steiner erdachten Schachzug von vier | |
deutschen Parteistiftungen nach Bonn geladen. So kann sich die sonst meist | |
abwesende Zivilgesellschaft deutlicher Gehör verschaffen. Neben Steiner und | |
einigen Bundestagsabgeordneten besuchten Außenminister Guido Westerwelle | |
und die Staatsministerin im Bundesministerium für wirtschaftliche | |
Zusammenarbeit, Gudrun Knopp, die Delegierten und versprachen, sich für | |
Frauenrechte einzusetzen. | |
Am Samstag demonstrierten in Bonn ein Bündnis aus Linkspartei, Ver.di und | |
Attac gegen die Afghanistankonferenz. Ihr Motto: "Sie reden von Frieden. | |
Sie führen Krieg". Beim Auftakt waren keine 1.000 Demonstranten erschienen, | |
später sollen es laut Veranstaltern 4.500 gewesen sein. Bei einer | |
Gegenkonferenz am Sonntag wurde erneut der sofortige Abzug der Nato aus | |
Afghanistan gefordert. | |
4 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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