Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rechtsterrorist Breivik: Zweifel an Unzurechnungsfähigkeit
> Die Kritik an dem Gutachten über den norwegischen Attentäter Anders
> Breivik wächst. Experten halten es für gefährlich, dessen bizarre
> Vorstellungen als Krankheit abzutun.
Bild: Die Taten Breiviks beherrschten im August die Schlagzeilen der norwegisch…
STOCKHOLM taz | Soll ein seit Jahrzehnten gängiges rechtsextremistisches
Gedankengut die Basis dafür sein, einen Massenmörder für schuldunfähig
erklären zu wollen? Diese Frage stellt Tore Bjørgo. Der
Rechtsextremismusexperte bei der norwegischen Polizeihochschule ist einer
jener Kritiker, die sich in Norwegen zum Ergebnis des gerichtlichen
Gutachtens in Sachen des Anders Breivik zu Wort gemeldet haben.
Darin hatten die Psychiater Torgeir Husby und Synne Sørheim dem Terroristen
aufgrund seiner "Wahnvorstellungen" paranoide Schizophrenie bescheinigt. Er
sei damit unzurechnungs- und nicht schuldfähig. Als Straffolge käme statt
Haft nur Behandlung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt in
Betracht.
Den Gutachtern fehle offensichtlich die notwendige Kenntnis des Milieus, in
dem Breivik sich bewegt habe, meint Bjørgo. "Ohne ein fundiertes Wissen
über die kollektiven Vorstellungen zu haben, die in einem rechtsextremen
Umfeld üblich sind", kann man Breiviks "bizarre und konspiratorische
Vorstellungswelt nicht richtig einordnen".
Husby und Sørheim schreiben in ihrem Gutachten, sie hätten "die politische
Botschaft", die Breivik etwa in seinem 1516-seitigen "Manifest"
niedergelegt hatte, nicht berücksichtigt, da dies "ausserhalb des Mandats
der Sachverständigen liegt". Aber gerade dieses Manifest sei der Schlüssel,
wolle man Breiviks Vorstellungswelt verstehen, kritisiert Bjørgo. Diese sei
nur Teil einer von Konspirationsvorstellungen geprägten Subkultur, die die
Welt in gute und böse Kräfte aufteile. Ohne Kenntnis dieses Hintergrunds
könne man nicht unterscheiden, "was in Breiviks Vorstellung kollektive und
was individuelle Auffassungen von der Realität sind".
Insoweit die Gutachter zur Stützung ihrer Diagnose darauf hinweisen,
Breivik sehe Norwegen in einem Krieg, er gehe davon aus, das nationale Erbe
sei gefährdet, er habe deshalb die Aufgabe, die "Verräter" auszuschalten,
dann stehe Breivik "damit alles andere als allein", meint Bjørgo: "Tausende
teilen solche Auffassungen. Die meisten halten das für bizarr. Was aber
nicht bedeuten muss, dass es ein Fall für die Psychiatrie ist."
## "Unverdientes Monopol der Psychologie"
"Wenn wir wissen, dass Breivik viele Gesinnungsgenossen hat und seine
Anschauungen durchaus verbreitet sind, haben wir ein gesellschaftliches
Problem", gibt auch der Staatswissenschaftler Steingrímur Njálsson zu
bedenken. Er befürchtet negative Konsequenzen, wenn man ihn einfach als
"verrückt" abqualifiziere und "das dann auch mit anderen Leuten mit
ähnlichen Vorstellungen macht". Bjørgo stimmt zu: "Wir brauchen eine
Debatte über Rechtsextremismus, nicht über Breiviks Gehirn.
Wie wenig Husby und Sørheim offenbar von der "Szene" wissen, in der Breivik
sich bewegte, zeigt laut anderer Kritiker, dass sie von diesem verwendete
Ausdrücke wie "suicidal humanism", "national darwinism" oder "Justicar
Knight" als von Breivik "selbst konstruiert" und deshalb als Beweis seiner
Paranoia heranziehen. Tatsächlich seien solche Termini aber in
islamkritischen Foren bzw. in der Computerwelt gebräuchlich.
Die Psychologie sei deutlich überfordert und hätte "bei solchen
Schuldunfähigkeits-Gutachten ein unverdientes Monopol", meint Bjørgo:
"Besser wäre eine multidisziplinäre Begutachtung, damit es verschiedene
Einfallswinkel gibt."
Arne Thorvik, Gefängnisarzt und selbst seit 20 Jahren
Gerichtsachverständiger, sieht das ähnlich und plädiert dafür, dass das
Gericht neue Gutachter aus unterschiedlichen Disziplinen benennt.
Noch vor Weihnachten soll - wie nach norwegischem Strafprozessrecht üblich
- eine neunköpfige rechtsmedizinische Kommission entscheiden, ob das
fragliche Gutachten dem Prozess zugrundegelegt werden kann oder ernsthafte
fachliche Schwächen hat.
7 Dec 2011
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Gutachten über Breiviks Psyche: Klapse oder Knast?
Ein Gericht ordnet ein neues Gutachten über die Schuldfähigkeit des
Attentäters Anders Breivik an. Ob das etwas nutzt, ist umstritten. Breivik
lehnt die Zusammenarbeit ab.
6 Monate nach Anschlag in Oslo und Utøya: Der Tag, der alles veränderte
Lailia Gustavsens Tochter wurde bei den Anschlägen in Oslo schwer verletzt.
Trotzdem plädiert die Abgeordnete weiter für eine offene Gesellschaft.
Rechtsterrorist in Norwegen: Neues Gutachten im Fall Breivik
Nach einem neuen Bericht ist der mutmaßliche Attentäter Anders Breivik
nicht psychisch krank. Drei Psychiater und ein Psychologe halten ihn für
fast ganz normal.
Terror in Norwegen: Breivik ist unzurechnungsfähig
Der Attentäter, der am 22. Juli dieses Jahres 77 Menschen in Oslo und auf
der Insel Utøya tötete, ist laut einem psychiatrischen Gutachten nicht
schuldfähig.
100 Tage nach dem Massaker von Utöya: Keine Terror-Klage gegen Breivik
Immer wieder neue Ungereimtheiten: Der Attentäter von Norwegen kann nicht
wegen terroristischer Taten angeklagt werden, weil das Gesetz noch gar
nicht in Kraft ist.
Geplanter Film über Utøya-Blutbad: Wütender Protest aus Norwegen
In den USA wird ein Spielfilm über Utøya produziert. Ein Filmtrailer auf
Youtube hat zu heftigen Reaktionen geführt. Doch der Produzent meint, er
mache es nur aus Mitgefühl.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.