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# taz.de -- Eingelagerte DDR-Kunst: Der rote Pop aus dem Keller
> Der größte Teil der in der DDR geschaffenen Kunstwerke lagert in Depots.
> Lange standen sie kollektiv unter Ideologieverdacht. Er seit Kurzem gehen
> Museen, Forscher und Archive entspannter damit um
Bild: Petra Müller vom Kunstarchiv Beeskow mit einem eingelagerten Werk
Die Damen aus Biesdorf waren auf der Pirsch. Nach Schönem. Sie suchten
Kunst für ihr geplantes Museum. Gleich mit drei Kolleginnen aus dem Rathaus
Marzahn-Hellersdorf erschien die Kunst- und Kulturamtsleiterin Heike Meves
zur Tagung "Bildatlas. Kunst in der DDR" in Potsdam. Veranstalter waren das
Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) und das
Bundesbildungsministeriums (BMBF).
Die Sammlungsbestände aus den Zeiten des sozialistischen Realismus, die
heute in Depots in Berlin und Brandenburg schlummern und über deren Zukunft
Ende November Kuratoren und Historiker in Potsdam stritten, interessierten
die vier Frauen schwer. Denn in der kommenden Woche berät der Bezirk
Marzahn-Hellersdorf über den Umbau des Schlosses Biesdorf zur neuen
Kunstgalerie. 7,5 Millionen Euro vom Land Berlin und der EU hat Heike Meves
für den Umbau sicher. Ab dem Jahr 2015 sollen im Schloss Gemälde, Grafiken
oder Skulpturen aus DDR-Zeiten präsentiert werden.
Fast 1.000 Quadratmeter Fläche sind vorgesehen für die Werke ostdeutscher
bildender Künstler aus der Kunstsammlung "Kunstarchiv Burg Beeskow", das
gleich hinter der östlichen Berliner Stadtgrenze liegt. Beeskow ist die
ungeliebte Schatzkammer der DDR-Kunst: 25.000 Kunstwerke werden seit der
Wiedervereinigung hier aufbewahrt. Viel roter Ramsch und gute Gemälde sind
darunter. Sie hingen einst in öffentlichen Ostberliner und Brandenburger
Institutionen: in Museen, Galerien, Kombinaten, Rathäusern, Ministerien -
und auch bei Stasichef Erich Mielke.
Schloss Biesdorf wäre das erste deutsche Museum, das programmatisch Kunst
aus der ehemaligen DDR ausstellt und deren Rezeption thematisiert.
"DDR-Reha" und "Loriot-Museum" spotteten Kritiker, als das Projekt publik
wurde. Kunstamtsleiterin Meves lässt das nicht kalt. Es gehe um eine
"kritische Auseinandersetzung" mit der offiziellen Kunstdoktrin aus den
Zeiten des heroischen Arbeiterbildes - nicht um eine ideologische Revision
und Relativierung des Sozialismus, sagt sie. Der Titel "Bilderstreit" für
das Biesdorfer Ausstellungskonzept unterstreiche den Anspruch der
Aufklärung - nicht den der Verklärung.
Es ist bis dato für Kunsthistoriker und Museumsleute schwer, Bilder aus der
DDR vom Ballast negativer ideologischer Festschreibungen zu lösen.
DDR-Kunst ist und bleibt Feindbild. "Sie ist aktuell kein Aspekt des
Vergangenheitsdenkens", wie Martin Sabrow, Direktor des ZZF, zu Beginn des
Kolloquiums erläuterte. Gleichwohl es unterschiedliche Sujets, Stile,
Schulen oder Akademien gab - die Kunstproduzenten aus der DDR, egal ob sie
Bernhard Heisig oder Werner Tübke hießen, stehen weiterhin unter
Generalverdacht der Staatskunst, Antimoderne und Propaganda. Der rote Pop
sei gar keine Kunst, "es gab keine Malerei in der DDR", ätzte einmal der
Maler Georg Baselitz. So, als herrsche weiter Kalter Krieg.
Wie hartnäckig sich das bittere Ost-Image hält, war jüngst in der
Wochenzeitung Die Zeit zu lesen. Für den Kritiker Hanno Rauterberg ist es
schlicht ein Unding, dass der "Weltkünstler" Alberto Giacometti neben dem
DDR-Apparatschik Willi Sitte in der aktuellen Schau der Neuen
Nationalgalerie gezeigt wird.
Der Streit über die Rolle und Qualität der DDR-Kunst hat dazu beigetragen,
dass auch die Sicht auf die vielen Sammlungen in den Depots und
Museumsarchiven "unterbelichtet geblieben ist", wie Jürgen Danyel,
Historiker am ZZF Potsdam, betonte. Über deren Geschichte und Gegenwart
liege ein Schleier. Ihre Bedeutung vor, im und nach dem Vereinigungsprozess
1989/90 harre der Aufarbeitung. Ob der "DDR-Bildatlas", in dem bis 2012 in
Form einer Datenbank alle Sammlungen, Bestände und deren Provenienz
aufgelistet sein sollen, "eine Wandlung bringt am östlichen Kunsthimmel",
wollte Danyel nicht prophezeien. Es herrscht das Prinzip Hoffnung. Das hat
Gründe: Denn was zu dem Thema in den Kellern der Nationalgalerie, dem
Deutschen Historischen Museum (DHM), dem Stadtmuseum sowie Berliner
Wirtschaftsunternehmen und Sondereinrichtungen liegt, ist nicht wirklich
transparent.
In der Tat wundert man sich, wie wenig über die Sammlungen und Sammler zu
DDR-Zeiten bekannt ist. Hatten doch die bildende Kunst und ihre Verwertung
eine herausragende Funktion im DDR-Alltag. Der staatliche Kulturfonds, die
großen politischen und gesellschaftlichen Organisationen, waren
Auftraggeber und Sammler: die Nationale Volksarmee (NVA) ebenso wie
Volkseigene Betriebe (VEB), Ministerien ebenso wie Stahlkombinate, die
Ostberliner Museen und Botschaften ebenso wie Sportverbände und die
Volkspolizei.
Über deren Herangehensweise jedoch weiß man wenig. "Wir wollen wissen, wie
die Bilder in die verschiedenen Sammlungen der DDR kamen: Wie wurde
angekauft? Wer hat angekauft? Wie sind Künstler mit diesen Aufträgen
umgegangen? Wie stark waren die Aufträge politisch motiviert? Es geht um
eine ganze Gemengelage von mit dem Kunstsystem DDR und der staatlichen
Kunstpolitik zusammenhängenden Faktoren", markierten Danyel und der
Potsdamer Zeithistoriker Thomas Schaarschmidt das Bildatlas-Ziel.
Dass nach dem Fall der Mauer nicht mehr, sondern noch weniger Licht auf die
Sammlungen und Bildtransfers ins Ungewisse fiel, ist für die Forscher
evident. Kataloge und Verzeichnisse über die Sammlungen, die aus dem Palast
der Republik, den Museen und den DDR-Dienststellen entfernt wurden und in
Depots verschwanden, fehlten. Vor allen Dingen, mahnte der Dresdner
Soziologe Karl-Siegbert Rehberg, müsse nun für die Geschichte der
Bilderdepots wieder ein "Bewusstsein" geschaffen werden. Schließlich biete
das Kunsterbe der DDR einen Zugang zur östlichen Kunstszene und ihren
Konflikten; es sei ein wichtiger Teil der deutschen Historie.
Doch es wird ein steiniger Weg werden, so ein Fazit der Tagung. Was Marlene
Heidel, Kunsthistorikerin am Kunstarchiv Beeskow, über die Sammlungen aus
der Region Berlin berichtete, war ernüchternd: Während die ehemalige
Ostberliner Galerie der sozialistischen Meister mit mehr als 350 Bildern
und Zeichnungen seit ihrer Überführung in die Neue Nationalgalerie
wenigstens gut gelagert und sortiert ist, mangelt es in Beeskow an fast
allem. 22 Jahre nach dem Fall der Mauer kann die riesige Skulpturen-,
Gemälde- und Grafiksammlung nur unzureichend erforscht und präsentiert
werden. Die Räume im Burgspeicher sind zu klein. Es fehlt an Geld und
Mitarbeitern. Ende Oktober war bekannt geworden, dass es keine Mittel für
den Erweiterungsbau des Kunstarchivs geben werde. Man gewinne den Eindruck,
sagte Heidel, dass in Beeskow "die Verdrängung von DDR-Kunst stattfindet
und keine Aufarbeitung".
Dabei wäre gerade Beeskow, so Heidel, neben der Nationalgalerie oder dem
DHM ein gutes Terrain, wo Aufklärung über die politischen Strukturen, die
Künstler und Exponate der DDR-Kunst betrieben werden könnte. Denn der Ort
ist eine Quelle par excellence. Das Archiv ist eine Erfindung des letzten
DDR-Kulturministers Herbert Schirmer, der nach dem Aus des Sozialismus 1990
die DDR-Kunstbestände peu à peu aus den Berliner und Brandenburger
Liegenschaften der Treuhand in die Burg überführte: Gemälde von den "Helden
der Arbeit", von Stahlwerkern und Kosmonauten, Porträts, die sozialistische
Landschaft, süßliche Sujets für den Feierabend, roter Kitsch à la Marx- und
Engelsbüsten und dazu noch tausende Grafiken von Sitte, Heisig, Tübke und
Mattheuer.
Nach Ansicht von Heidel lasse sich am Beispiel des Kunstarchivs
verdeutlichen, dass die Bestände "von einer differenzierten Kunstlandschaft
der DDR erzählen". Es gab eine informelle Kunstszene und den offiziellen
Kunsthandel, Sammlungen entwickelten sich über Aufträge, Schenkungen,
Leihgaben und private Initiativen. All dies spiegle ein solches Archiv. In
Beeskow liege ein Schatz, es sei ein Spiegel der DDR-Kulturgeschichte.
Dass das Thema zwar langsam - aber immerhin - aus dem kulturpolitischen
Schattenreich heraustritt, konstatierten die Tagungsmitglieder zum Schluss
auf einer Diskussionsrunde. Einmal, weil es ein Interesse gibt und sich
immer mehr Akteure mit den Sammlungen beschäftigen. Seit 2009 nehmen schon
rund ein Dutzend Archive, Museen, Institutionen und Privatsammler an dem
Bilderatlas-Verbund unter der Regie der TU-Dresden und des BMBF teil. Zum
anderen, weil Kunstämter - siehe Biesdorf - oder Museen aktiv handeln. 2012
wird es als Abschluss des Bildatlas-Forschungsprojekts in Weimar eine
DDR-Kunstausstellung geben.
Schließlich plant Jutta Götzmann, Direktorin des neuen Potsdam Museums, das
derzeit im Alten Rathaus und einem Erweiterungsbau am Alten Markt entsteht,
ebenfalls die Geschichte der DDR-Kunst zu beleuchten. In der neuen
Stadtgeschichts-Ausstellung, die 2012 eröffnet, werde man auf die Bestände
der DDR-Kunstsammlung zurückgreifen, so Götzmann. Die unsichtbaren
Sammlungen werden wieder sichtbar.
9 Dec 2011
## AUTOREN
Rolf Lautenschläger
## TAGS
Dresden
Malerei
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