# taz.de -- Wirtschaftskrise in Ungarn: Die armen Nachbarn des Euro | |
> Auch Ungarn leidet unter der Wirtschaftskrise. Vielen Familien und Firmen | |
> droht die Pleite – weil sie daran geglaubt haben, dass der Euro bald | |
> kommt. | |
Bild: Ein Land trocknet aus: Passend zur wirtschaftlichen Lage führt die Donau… | |
SOPRON taz | Die kalten Straßen von Sopron sind fast menschenleer. Im | |
historischen Zentrum, das noch von der alten Stadtmauer umgeben ist, hört | |
man mehr Wienerisch als Ungarisch. Das wenige Kilometer von der | |
Staatsgrenze entfernt gelegene ehemalige Ödenburg ist für Ostösterreicher | |
ein beliebtes Ziel für Tagesausflüge. | |
Hier kann man gut und preiswert speisen und sich nebenbei das Gebiss | |
reparieren oder die Füße pediküren lassen. Viele Soproner pendeln jeden Tag | |
zur Arbeit über die Grenze, und auch Kultur- und Einkaufsausflüge nach Wien | |
gehören zum Freizeitprogramm. | |
Dieses Jahr sind die Tagestouren zu den Wiener Christkindlmärkten | |
allerdings weniger gefragt als sonst, klagt die Reiseleiterin Adrienn | |
Jakab, deren Vater das Reisebüro Jakab Reisen unweit des zentralen | |
Szechenyi-Platzes betreibt. Dass die Ungarn infolge der Krise sparsamer | |
geworden sind, sei gerade in ihrem Gewerbe zu spüren: "Früher fuhr die | |
ganze Familie zwei- bis dreimal im Jahr in Urlaub. Jetzt fährt man nur mehr | |
einmal, und das eine Woche statt 14 Tage." Der Trend geht wieder zum Urlaub | |
im eigenen Land. Am Plattensee ist die heimische Währung noch etwas wert. | |
Zu Jahresbeginn bekam man für einen Euro 260 Forint. Ende November | |
schnellte der Wechselkurs auf 317 hoch. Als Premier Viktor Orban vor | |
wenigen Tagen enthüllte, dass er mit dem Internationalen Währungsfonds | |
wieder in Verhandlungen über Kredite getreten ist, stabilisierte sich der | |
Kurs bei 300 Forint etwas. | |
"Meine Rente ist heute 120 Euro weniger wert als vor einem Jahr", sagt der | |
pensionierte Eisenbahner und Gewerkschaftler György Balla. Sopron sei von | |
der Krise noch nicht so stark betroffen, weil viele Einwohner in Österreich | |
arbeiten. "Im Osten, wo die Bergwerke und die Stahlwerke geschlossen | |
wurden, suchen Tausende ungelernte Arbeiter vergeblich neue Jobs", sagt | |
Balla. | |
## Zwangsversteigerungen drohen | |
Auch in Soprons Umgebung verschwand die Industrie nach der politischen | |
Wende vor rund 20 Jahren. Jetzt kommt der nächste Schlag: Balla erwartet, | |
dass demnächst die Zwangsversteigerungen beginnen. Rund eine Million | |
ungarischer Haushalte und Betriebe sind in Fremdwährung verschuldet. Weil | |
der Kurs des Forint sinkt, können viele die Kreditraten nicht mehr | |
bezahlen. Die Banken sind zwar verpflichtet, einen günstigeren Wechselkurs | |
zu bieten, wenn der Kredit auf einmal getilgt wird, doch nur wenige nutzen | |
das neue Gesetz. | |
Bei der Raiffeisenbank in Sopron sieht Filialleiterin Agnes Varga heute | |
klare Vorteile für Forinteinlagen: "Die Verzinsung ist höher, und die | |
Quellensteuer, die man in Österreich zahlen muss, entfällt." Viele | |
Österreicher, die ein Häuschen am Neusiedlersee oder in einem der Dörfer | |
haben, seien ihre Kunden. | |
Der Heilmasseur Tamas Csonka kann sich noch gut erinnern, wie den Klienten | |
auf der Bank die Fremdwährungskredite geradezu aufgedrängt worden seien. | |
"Was wollen Sie mit Forint? Im Jahr 2008 gibt es den gar nicht mehr", | |
hätten die Bankberater argumentiert. Csonka und seine Frau haben ihren | |
Betrieb, Heilmassage und Schönheitssalon Henriett, Schritt für Schritt ohne | |
Kredite aufgebaut. Doch in seinem Bekanntenkreis seien viele, die sich | |
leichtfertig verschuldet haben, in Schwierigkeiten. | |
Die von der Regierung vorgesehene Einmalzahlung sei für die meisten keine | |
Option. György Balla hält den Plan überhaupt für einen populistischen | |
"Beschiss": "Wer sich mit einer Einmalzahlung aus der Affäre ziehen kann, | |
hatte auch keine Probleme, die Raten zu zahlen." Wer in Verzug ist, müsse | |
neue Kredite zu hohen Zinsen in Forint aufnehmen. Das sei den meisten | |
einfach zu riskant. Csonka meint, die im Staatskommunismus geprägte | |
Mentalität der Bevölkerung sei von den neuen kapitalistischen Verhältnissen | |
immer noch überfordert: "Früher konnte jeder seinen Kredit einfach | |
bedienen", sagt er. | |
11 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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