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# taz.de -- Kommentar Studie "Deutsche Zustände": Die halbe Aufklärung
> Es ist alarmierend, dass laut der Studie das untere Fünftel der
> Gesellschaft verachtet wird. Und dass jeder zweite Deutsche meint, unser
> Land sei überfremdet.
In den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz, fast überall in Europa
gibt es starke rechtspopulistische Parteien. Nur in Deutschland sind alle
Versuche, die Erfolge von Wilders, Le Pen oder Blocher zu imitieren, zum
Glück gescheitert. Vom grassierenden Überdruss am politischen Betrieb
profitieren hierzulande bei Wahlen eher Grüne und Piraten.
Der deutsche Populismus ist, verglichen mit der rüden Xenophobie in einigen
Nachbarländern, zivil und nett. Natürlich spielt dabei die Imprägnierung
durch die Erfahrung der NS-Zeit eine Rolle.
Wenn wir den Forschungen des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer
folgen, gibt es zudem eine Tendenz, die die Misserfolge rechter Parteien
verständlicher macht: Die Zahl überzeugter Rechtspopulisten, die auf
Xenophopie, Antisemitismus und Islamfeindschaft anspringen, ist in den
letzten zehn Jahren um ein Drittel gesunken.
Die deutsche Gesellschaft ist nicht schwarz-weiß. Es wird auch nicht immer
alles schlimmer. In dieser empirisch soliden Studie erkennt man vielmehr
den Abdruck einer veränderbaren, offenen Gesellschaft - mit allen
Widersprüchen und Verbohrtheiten. Manche Vorurteile, etwa gegen
Homosexuelle, Juden und Frauen, haben deutlich abgenommen. Andere, vor
allem gegen Arbeitslose und Migranten, sind sogar stärker geworden. Will
sagen: Frauenquote und schwule Minister sind irgendwie ok - der muslimische
Hartz IV-Empfänger hingegen taugt weiter als mobilisierbares Angstbild.
Es ist frappierend, dass das soziale Ressentiment, die Verachtung des
unteren Fünftels der Gesellschaft, zur deutschen Normalität gehört. Und es
ist alarmierend, dass die Hälfte der Deutschen meinen, unser Land sei in
gefährlichem Maß überfremdet.
Beides zeigt, welche Abgründe in der Mitte unserer Gesellschaft verborgen
sind. Und doch ist der routinierte linke Verdacht, dass man den Deutschen
halt nicht über den Weg trauen darf, falsch. Die Botschaft dieser Studie
lautet vielmehr: Aufklärung wirkt.
Es ist kein Zufall, dass die Bürger der Bundesrepublik mit Antisemitismus,
Homophobie und Sexismus heute weniger zu tun haben wollen als vor zehn
Jahren. Es ist das Echo einer mühsam durchgesetzen gesellschaftlichen
Ächtung von Judenwitzen, Schwulenbashing und Frauenverachtung. Die Frage,
an uns, an die Politik, lautet: Wie kann eine solche Ächtung auch bei
Vorurteilen gegen Arbeitslosen und Migranten gelingen?
12 Dec 2011
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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