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# taz.de -- 10-Jahres-Studie über "Deutsche Zustände": Gefahr von rechts blei…
> Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer zieht Bilanz seiner Langzeitstudie
> "Deutsche Zustände". Fakt ist, das mit der Krise auch der Hass wächst.
> Dafür gibt es weniger Sexismus.
Bild: Im Sinkflug: Die Akzeptanz von Obdachlosen in Deutschland.
Eine "fatale Aktualität" habe die Studie erhalten, sagte
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, als er am Montag in Berlin den
zehnten und letzten Teil der Langzeituntersuchung des Soziologen Wilhelm
Heitmeyer vorstellte. Jetzt wisse man, dass es zu den "deutschen Zuständen"
gehöre, dass es hier über Jahre "ein braunes Netzwerk" und ein
gesellschaftliches Klima gegeben habe, in dem zunächst die Angehörigen der
Opfer verdächtigt worden seien.
"Er hat unser Sichtfeld erweitert", lobte Thierse den Bielefelder Forscher,
der deutlich gemacht habe, dass man Ressentiments gegen Randgruppen nicht
isoliert betrachten könne. Als "zu vordergründig" kritisierte Thierse in
diesem Zusammenhang eine politische Debatte, die sich allein auf ein Verbot
der NPD konzentriere, ohne die tieferen Ursachen des rechten Terrors zu
ergründen.
"Deutsche Zustände" lautet der Titel des Forschungsprojekts, das Vorurteile
gegenüber verschiedenen Bevölkerungsgruppen über zehn Jahre hinweg
untersucht hat. Weil er sich dabei nicht nur auf Rassismus beschränkte,
prägte Heitmeyer dafür den sperrigen Begriff der "gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit". Es ist nach Angaben der Bielefelder Forscher die
weltweit größte Studie dieser Art, die jetzt ihren Abschluss findet. Rund
2.000 repräsentativ ausgewählte Personen wurden dafür jedes Jahr
interviewt.
## "Zu viele Ausländer"
Heitmeyer selbst zog am Montag ein Resümee. Eine "erfreuliche Entwicklung"
nannte er es, dass Sexismus, Homophobie und Antisemitismus im Laufe der
Zeit abgenommen hätten. Angestiegen sei hingegen die Fremdenfeindlichkeit
und die Diskriminierung von Langzeitarbeitslosen und Obdachlosen. So war
fast die Hälfte (47,1 Prozent) der Befragten im Mai und Juni diesen Jahres
der Meinung, dass in Deutschland "zu viele Ausländer" lebten. Ein Drittel
der Befragten ging von "natürlichen Unterschieden" zwischen weißen und
schwarzen Menschen aus.
Die vergangene Dekade nennt Heitmeyer das "entsicherte Jahrzehnt", weil
Zukunftssorgen und politische Apathie messbar zugenommen hätten. Es
herrsche das Gefühl vor, in einer Krisensituation zu leben. Es habe
"Signalereignisse" wie die Anschläge vom 11. September 2001 oder die
Einführung von Hartz IV gegeben, die gesellschaftliche Ängste verstärkt
hätten.
Wichtiger aber seien "schleichende Prozesse" wie eine Ökonomisierung des
Denkens und eine Entsolidarisierung, die der sozialen Spaltung Vorschub
leiste. Wer sich und seinen Status bedroht fühle, der sei aber auch eher
geneigt, andere Menschengruppen abzuwerten.
## Menschen werden gewaltbereiter
Zwar seien rechtspopulistische Einstellungen in Deutschland insgesamt
zurückgegangen, haben die Forscher festgestellt. Doch noch immer hegten 9,2
Prozent der Bundesbürger rechtspopulistische Einstellungen. Die Gefahr von
rechts sei dadurch auch nicht geringer geworden, warnten sie. Denn zugleich
sei zu beobachten, dass diese Menschen protest- und gewaltbereiter werden
und sich von den großen Parteien immer weniger vertreten fühlten.
Überhaupt würden 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung sogar Gewalt zur
Durchsetzung politischer Ziele billigen. Zwar sei die Bereitschaft, Gewalt
anzuwenden, eher bei Jugendlichen anzutreffen. Doch gebilligt werde sie
auch von älteren Menschen über 65.
So stimmten 19 Prozent der Bevölkerung dem Satz zu: "Wenn sich andere bei
uns breitmachen, muss man ihnen unter Umständen unter Anwendung von Gewalt
zeigen, wer Herr im Hause ist." Solche Befürwortung von Gewalt ist auf der
rechten Seite des politischen Spektrums deutlich stärker ausgeprägt als bei
jenen, die sich als "eher links", "links" oder "genau in der Mitte"
bezeichnen.
12 Dec 2011
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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