| # taz.de -- Verbraucherschützerin über EU-Krise: "Die Banken übertreiben es … | |
| > Die EU muss neue Regeln für die Kreditvergaben schaffen, sagt Monique | |
| > Goyens. Die Verbraucherschützerin über Banken, Briten und Berlusconi. | |
| Bild: "Die Immobilienblase hat das globale Finanzsystem aus dem Gleichgewicht g… | |
| Frau Goyens, nach dem EU-Gipfel in Brüssel vergangene Woche warteten alle | |
| gespannt auf die Reaktion der Rating-Agenturen. Keiner fragte, was der | |
| Beschluss für die Bürger bedeutet. Nervt Sie das? | |
| Monique Goyens: Ich frage mich, warum wir eigentlich noch wählen gehen. Die | |
| Italiener haben monatelang für den Rücktritt von Berlusconi gekämpft. Aber | |
| er ist erst gegangen, als es an den Finanzmärkten eng für sein Land wurde. | |
| Das ist doch eine Ohrfeige für die Menschen. Wo bleibt die Demokratie? Die | |
| Politiker werden nicht müde zu sagen, dass die Banken der realen Wirtschaft | |
| dienen müssen. Aber zurzeit dienen die Politiker der Finanzwirtschaft. | |
| Haben die Politiker ihre Wähler, also die Verbraucher, vergessen? | |
| Seit Beginn der Krise hat sich nicht viel geändert. Zu oft geht es bei den | |
| Entscheidungen in Brüssel ausschließlich um den Finanzsektor und die | |
| Staatshaushalte. Die Politiker vergessen tatsächlich, dass es der fehlende | |
| Verbraucherschutz war, der die Krise mit ausgelöst hat. Die Immobilienblase | |
| hat das globale Finanzsystem aus dem Gleichgewicht gebracht. Der | |
| Verbraucherschutz muss wieder in den Fokus der Politiker rücken. | |
| Zu wenig Verbraucherschutz soll an der Finanzkrise Schuld sein? | |
| In den USA haben Banken Kredite vergeben, obwohl sie genau wussten, dass | |
| die Verbraucher den Kredit nicht zurückzahlen können. Sie setzten auf den | |
| Wertzuwachs der Häuser. Das war der Anfang der Krise. Diese Immobilienblase | |
| existiert auch - in abgeschwächter Form - in Europa, etwa in Spanien und | |
| Frankreich. Deshalb brauchen wir neue Regeln. Die Banken sollen | |
| verpflichtet werden, sich zu versichern, dass der Verbraucher in der Lage | |
| ist, den Kredit zurückzuzahlen. Wenn man später feststellt, dass das nicht | |
| passiert ist, kann der Vertrag für nichtig erklärt werden. Eine | |
| EU-Richtlinie dazu ist gerade in Arbeit. | |
| Die Subprime-Krise ist schon wieder vier Jahre her. Jetzt reagiert die EU. | |
| Wir haben diese Regeln schon lange verlangt, aber niemand hat uns zugehört. | |
| Es hieß, dass das nicht in den Verantwortungsbereich der EU fällt, weil die | |
| meisten Leute die Kredite in ihren eigenen Ländern aufnehmen. Es gab keine | |
| grenzüberschreitende Dimension. Es war also, hieß es lange, alleine Aufgabe | |
| der Mitgliedsstaaten, daran etwas zu ändern. Aber das waren Vorwände. | |
| Was muss sich jetzt konkret ändern? | |
| Wir müssen weg von der Selbstregulierung der Finanzwirtschaft. Sie | |
| funktioniert nicht. Die Verkaufsprämien müssen abgeschafft werden - nicht | |
| nur für Kredite, sondern für alle Finanzprodukte. Dann treffen die | |
| Verkäufer verantwortungsbewusste Entscheidungen und keine, die sich nur am | |
| Gewinn orientierten. Und die Banken müssen dafür sorgen, dass Verbraucher | |
| tatsächlich Produkte bekommen, die ihnen entsprechen und nicht die, die den | |
| Banken den meisten Gewinn einbringen. | |
| Eine entsprechende Richtlinie wird gerade im Europäischen Parlament | |
| diskutiert. Ist es einfach für sie hier in Brüssel, ihre Vorschläge den | |
| Verantwortlichen vorzutragen? | |
| Das Parlament liegt gleich gegenüber von unserem Büro. Wir sind ständig da. | |
| Das ist sozusagen unser zweites Zuhause. Wir bekommen also ziemlich leicht | |
| Gesprächstermine. Man sieht uns als legitimen Partner. Vor dem G-20-Gipfel | |
| in Cannes haben wir mit dem Kabinett von Ratspräsident van Rompuy | |
| gesprochen, mit EU-Abgeordneten, mit dem Kabinettschef von Christine | |
| Lagarde, als sie noch Ministerin in Frankreich war. Das hat dazu geführt, | |
| dass der Verbraucherschutz immerhin in den Schlussfolgerungen des Gipfels | |
| als wichtiges Element für die Stabilität der Wirtschaft genannt wird. | |
| Spüren Sie dennoch die Übermacht der Bankenlobby hier in Brüssel? | |
| Die für Finanzwirtschaft zuständige Generaldirektion Binnenmarkt bei der | |
| Europäischen Kommission ist sehr offen für unsere Vorschläge. Auch die | |
| Expertengruppen sind heute viel ausgeglichener zwischen Wirtschaft und | |
| Nichtregierungsorganisationen als früher. Aber die Banken übertreiben | |
| einfach. Die Lobbyisten sind sehr freundlich. Aber man sieht, dass sie ihr | |
| System überhaupt nicht infrage stellen. Sie glauben immer noch, dass ihre | |
| Selbstkontrolle ausreicht. Aber wir haben doch gesehen, dass sie das nicht | |
| machen. Trotzdem vertrauen ihnen die Politiker noch. | |
| Sie kümmern sich nicht nur um Finanzthemen, sondern auch um | |
| Lebensmittelsicherheit oder Nanotechnologie. Blicken Sie überhaupt noch | |
| durch? | |
| Wir haben hier Experten, ungefähr zwanzig. Die arbeiten an den Details. Und | |
| ich bin sozusagen ihr Papagei. Aber manchmal macht mir das schon Angst, vor | |
| allem, wenn ich in Sitzungen bin mit Vertretern der Finanzwirtschaft, die | |
| ihre Produkte in- und auswendig kennen. Die diskutieren dann über | |
| Schattenbanken oder neue Finanzinstrumente. Es ist sehr kompliziert, aber | |
| die Europäische Union hilft dem Verbraucherschutz. In einigen Staaten gäbe | |
| es sonst keinen. | |
| Wir sind in Deutschland an starke Verbraucherschutzverbände gewöhnt. | |
| Ja, aber vor allem die Staaten aus Zentral- und Südosteuropa haben keine | |
| solche Tradition. Bei ihrem EU-Beitritt haben sie unsere Regeln übernommen. | |
| Aber nur das Minimum. Und das war's. Sie haben sich von einem totalitären | |
| System befreit. Der Liberalismus ist für sie deshalb der absolute | |
| Richtwert. | |
| Wie gehen Sie als Verband mit diesem Ungleichgewicht um? | |
| Wir haben in allen EU-Ländern Mitgliedsorganisationen, außer in Litauen. | |
| Wir verlangen keine hohen Beiträge und wir erstatten alle Fahrkosten zu den | |
| Treffen hier in Brüssel. Nur ein Beispiel: Unsere größte | |
| Mitgliedsorganisation aus England zahlt einen Beitrag von 350.000 Euro im | |
| Jahr. Die Verbände aus den Ländern, die 2004 und 2007 der EU beigetreten | |
| sind, zahlen 1.500 Euro. Das ist unsere Art, ihre Arbeit zu unterstützen. | |
| Wir versuchen, ihre Interessen nicht aus den Augen zu verlieren. In | |
| Bulgarien, wo 50 Prozent der Menschen nicht einmal ein Bankkonto haben, | |
| gibt es andere Bedürfnisse als in Deutschland oder Belgien. | |
| Die Briten haben beim EU-Gipfel gerade wieder eine Extrawurst gebraten. Wie | |
| ist das mit ihren britischen Mitgliedern? | |
| Ich habe noch nicht mit ihnen über den Gipfel gesprochen. Aber es stimmt, | |
| dass die Mentalität anders ist. Sie gehen zum Beispiel ganz anders um mit | |
| Krediten. Sie kaufen viel öfter Wohnungen oder Häuser als wir hier. Sie | |
| sind risikobereiter. Das britische Veto macht die EU auf jeden Fall noch | |
| komplizierter. In Zukunft werden Entscheidungen dann mit 17, 24 oder 27 | |
| Staaten getroffen. Die EU ist sowieso schon so weit weg von seinen Bürgern. | |
| Mit dieser Entscheidung wird das nicht besser. | |
| Bringt die EU den Verbrauchern alles in allem mehr Vor- oder mehr | |
| Nachteile? | |
| Wir brauchen mehr Europa. Die EU ist für die Verbraucher einer der | |
| sichersten Plätze der Welt - im Vergleich zu Amerika oder zu Asien. Egal, | |
| ob es den Datenschutz oder die Lebensmittelsicherheit betrifft. Aber die | |
| Märkte werden immer globaler. Und da wird es für einzelne Länder nicht | |
| möglich sein, ihre Standards durchzusetzen gegen den Druck von außen. | |
| Deshalb brauchen wir den Zusammenhalt in Europa. Nur so können wir unsere | |
| Standards schützen. | |
| 22 Dec 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Ruth Reichstein | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Occupy-Bewegung | |
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