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# taz.de -- Cem Özdemir über Zukunft der Grünen: "Wir brauchen 15 Prozent pl…
> Der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, über Handball,
> schwäbische Handwerker und die mögliche Neuauflage von Rot-Grün auf
> Bundesebene.
Bild: "Ich will den Wahlkreis Stuttgart gewinnen": Cem Özdemir.
taz: Herr Özdemir, wenige wissen, dass Sie früher Handball spielten und im
Tor standen. Hilft Ihnen das in der Politik?
Cem Özdemir: Ich habe in der B-Jugend des TSV Bad Urach gespielt. Es war
gut zur Abhärtung, und man legt die Angst schnell ab vor Bällen, die mit
Karacho auf einen zufliegen. Als Torwart muss man einstecken können.
Handballtorhüter gelten als irre. Wer lässt sich schon freiwillig Bälle ins
Gesicht knallen.
Das nehme ich gern als Kompliment. Für die eigene Nase ist das ein Risiko,
aber man entscheidet für das Team auch oft über Sieg oder Niederlage.
Wo spielen Sie im Spitzenteam der Grünen für die nächste Bundestagswahl
mit? Ihre Partei wartet darauf, dass Sie sich mit Ihrer Ko-Chefin und den
Fraktionsvorsitzenden einigen.
Es ist entscheidend, dass es im Wahlkampf zwei Parteivorsitzende gibt, die
den Laden mitnehmen können. Ich finde, die haben wir, das hat der letzte
Parteitag gezeigt. Und wir haben ebenso eine Fraktionsspitze, die trotz
Platz fünf im Parlament die Rolle des Oppositionsführers ausfüllt. Wie die
Formation am Ende genau aussieht, werden wir rechtzeitig Anfang 2013
entscheiden.
Viele Grüne fragen sich, ob Sie sich trauen, Spitzenmann Jürgen Trittin
herauszufordern.
Jürgen Trittin spielt seit 1990 in der Minister- und Vorsitzendenliga. Er
hat einen riesigen Erfahrungsschatz. Viele Gesetze, über die wir heute
reden, hat er geschrieben. Mit diesem Pfund müssen wir wuchern. Ich gehöre
einer anderen Generation an. Natürlich habe ich auch persönliche Ziele.
Nämlich?
Ich möchte 2012 noch einmal für den Bundesvorsitz kandidieren. Außerdem
will ich mit einem vorderen Listenplatz einen guten Wahlkampf für meinen
Landesverband Baden-Württemberg machen. Und ich will den Wahlkreis
Stuttgart gewinnen.
Ehrgeizig. Bisher ist Hans-Christian Ströbele der einzige Grüne mit
Direktmandat.
Umso reizvoller: Ströbele und ich mit Direktmandaten - das wäre doch ein
schönes Bild. Hier Kreuzberg in der multikulturellen Hauptstadt, da das
bürgerliche Stuttgart. Diese Bandbreite wünsche ich mir für die Partei.
Glauben Sie eigentlich ernsthaft, dass es 2013 für Rot-Grün reichen wird?
Vieles deutet auf eine große Koalition hin.
Für mich ist glasklar: Die Grünen müssen bei der Wahl 2013 15 Prozent plus
x holen, damit es reicht. Denn dass die SPD ein Ergebnis wie unter Gerhard
Schröder holt, halte ich für unwahrscheinlich.
Aber wenn es die Piraten ins Parlament schaffen, landen Sie in der
Opposition.
Es gibt eine rechnerische Mehrheit jenseits von Union und FDP, die sich
aber gegenwärtig nicht in eine politische übersetzt. Insbesondere weil der
SPD Stimmen durch die Linkspartei fehlen - eine Partei, die
bedauerlicherweise nicht regierungswillig und -fähig ist. Und dann sind da
die Piraten, an deren Einzug in die Parlamente auch manche Leute ein
Interesse haben, denen es aber vor allem darum geht, einen Wechsel zu
verhindern.
Die konservative Presse schreibt die Piraten hoch, um Rot-Grün zu
verhindern? Klingt nach Verschwörungstheorie.
Ich will niemandem etwas unterstellen. Klar ist jedenfalls: Einen
Regierungswechsel wird es 2013 nur mit starken Grünen geben.
Wie müssen sich die Grünen in dieser Situation positionieren?
Wir werden den WählerInnen erklären: Wer einen Politikwechsel will - mehr
soziale Gerechtigkeit mit Bildungschancen für alle im Land, mehr
Klimaschutz, ein starkes Europa -, bekommt den nur von einer rot-grünen
Regierung. Hinzu kommt: Deutschland braucht endlich wieder eine Truppe an
der Spitze, die ihr Handwerk versteht. Um diese Zuspitzung wird es 2013
gehen.
Welche Milieus müssen die Grünen erschließen?
In Baden-Württemberg ist die SPD für viele im Wortsinn ein rotes Tuch. Doch
Grüne zu wählen, können sie sich inzwischen vorstellen, zum Beispiel ein
Handwerker aus einer tiefschwarzen Familie, der aber die Vorteile von
Wärmedämmung sieht.
Die Grünen als Mittelstandspartei? Da grinst nicht nur der
CDU-Wirtschaftsflügel.
Klar, bei diesen Reizworten kriege ich auch Pickel im Gesicht. Aber worüber
reden wir denn? Über die Mehrheit der Gesellschaft.
Warum sollten die Grünen beim Mittelstand punkten?
Die kommen aktiv auf uns zu. Der grüne Boom findet dort doch längst statt.
Kleinunternehmer verdienen ihr Geld in grünen Branchen, sie bauen ihre
Produktion ökologisch um. Mit unserem Programm geben wir stärkere Anreize,
indem wir etwa Forschung im Mittelstand fördern und nicht wie die FDP nur
die DAX-notierten Großunternehmen im Blick haben.
Sie wollen den Spitzensteuersatz erhöhen und eine Vermögensabgabe. Wie
finden das Unternehmer, die Sie treffen?
Die sind längst weiter als die schwarz-gelbe Koalition, die vorgibt, ihre
Interessen zu vertreten. Auch Firmenchefs sehen ein, dass der Staat Geld
braucht, um ins Bildungssystem zu investieren. Weil sie wissen, wie schwer
es ist, gute Azubis zu finden. Ebenso ist klar, dass ein Mindestlohn nicht
Firmen aus Deutschland vertreiben soll, sondern der Gesellschaft nutzt.
Weil wir es uns nicht leisten können, dass ganze Teile abgehängt werden.
Wie glaubwürdig ist die Linkskorrektur der Grünen?
Wir hatten noch zu rot-grünen Zeiten die Evaluierung der damals getroffenen
Beschlüsse angemahnt. In den vergangenen Jahren hat es eine massive
Umverteilung von unten nach oben gegeben. Niedrigverdiener befinden sich in
einer katastrophalen Situation, und Hartz-IV-Bezieher werden auf Dauer
abgehängt. Wir steuern auf amerikanische Verhältnisse zu.
Wofür Sie verantwortlich sind. Rot-Grün hat ab 1998 die Steuern für
Gutverdiener massiv gesenkt.
Ohne Zweifel waren unsere Beschlüsse zur Finanzpolitik beim letzten
Parteitag in Kiel auch Lehren aus der Vergangenheit. Sie können sicher
sein: Solche Fehler macht man nur einmal. Aber vergessen Sie nicht, dass
Rot-Grün damals die Steuerbelastung für Geringverdiener deutlich gesenkt
oder diese gar befreit hat, dass Rot-Grün massiv in Ganztagsschulen
investiert hat. Die heutigen prekären Verhältnisse haben eher mit der
Verweigerung von Mindestlöhnen durch die jetzige Regierung oder deren
Steuergeschenken für Spitzenverdiener zu tun, während gleichzeitig die
Krankenkassenbeiträge steigen.
26 Dec 2011
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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