# taz.de -- Taz-Serie "So wird 2012" (Teil 1): "Er war ein großer Egoist" | |
> Und wieder ein Jubeljahr. Aber anders als Königin Luise taugt Friedrich | |
> II., dessen Geburtstag sich zum 300. Mal jährt, nicht zur Pop-Figur. | |
Bild: Friedrich von Preußen - hier mit leicht grimmiger Miene - vor dem Charlo… | |
taz: Herr Luh, in einer Reportage wurden unlängst Berliner und Touristen | |
vor dem Reiterdenkmal Friedrichs II. interviewt. Die meisten wussten nicht, | |
wer da oben sitzt. Müssen wir deshalb seinen 300. Geburtstag feiern? | |
Jürgen Luh: Es ist in der Tat so, dass die wenigsten noch wissen, wer | |
Friedrich war. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten hat 2009 bei | |
Forsa eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Das Ergebnis war | |
ernüchternd: Nur ein Drittel der Deutschen bringt Friedrich und Preußen | |
zusammen. Das ist insofern bitter, als Friedrich für die deutsche | |
Geschichte nicht ganz unwichtig ist. | |
Ein Dutzend neuer Bücher gehört auch zum Gedenkrummel. Eines davon haben | |
Sie selbst geschrieben: Was lässt sich über Friedrich sagen, was nicht | |
schon in den vergangenen 300 Jahren gesagt wurde? | |
Mein Buch ist keine klassische Biographie, die Friedrichs Leben von der | |
Wiege bis zur Bahre erzählt. Ich habe mir vielmehr angeschaut, wie | |
Friedrich war, was er wollte, wie er erinnert werden wollte. Das ganze habe | |
ich dann nach Charaktereigenschaften sortiert. Die hervorstechendste davon | |
ist seine Ruhmsucht, gefolgt von der Hartnäckigkeit, mit der er seine Ziele | |
verfolgt hat, seiner Eigensinnigkeit … | |
… und seiner Fähigkeit zur Einsicht. Dieses Kapitel ist bezeichnenderweise | |
das kürzeste. | |
Er hatte Einsicht. Aber er hat es nicht gerne zugegeben, wenn er etwas | |
falsch gemacht hat. Er war halt ein großer Egoist. | |
Ihr Buch trägt den Titel "Der Große". Die Geschichtswissenschaft hat | |
bislang immer behauptet, dass ihm der Rang des Großen von außen | |
zugeschrieben wurde. Sie nun weisen nach, dass Friedrich selbst alles daran | |
gesetzt hat, als Großer in die Geschichte einzugehen. Warum diese späte | |
Erkenntnis? | |
Das hat mit der Rezeption Friedrichs zu tun. Im Grunde hat man ihn immer | |
ideologisch betrachtet. Man wollte ihn zu einem Über-Idol stilisieren: am | |
Anfang als Gegenbild zu Napoleon, dann als Gründervater der | |
preußisch-deutschen Armee und damit des Deutschen Reiches, dann, ganz übel, | |
im Dritten Reich als derjenige, der sich in den Schlachten nicht | |
unterkriegen lässt. Bis zuletzt wurden im Zweiten Weltkrieg junge Soldaten | |
mit dem Hinweis auf das Vorbild Friedrichs an die Front geschickt. Deshalb | |
auch die Darstellung, dass ihm der Titel "Der Große" von der "Anonymität | |
der Geschichte" oder von seinen Untertanen verliehen wurde. | |
War das denn bei den anderen "Großen der Geschichte", also Alexander oder | |
Karl, der Fall gewesen? | |
Das waren alles Zuschreibungen. | |
Posthum? | |
Ja. Nur ist bei Friedrich das Etikett schon zu Lebzeiten gepappt worden. | |
Aber daran hat er selbst maßgeblich mitgewirkt. | |
Er war also PR-Agent in eigener Sache. Welche Mittel standen ihm zur | |
Verfügung? | |
Er zog nach dem Zweiten Schlesischen Krieg 1745 in Berlin ein. Dazu wird | |
normalerweise in der Literatur immer nur ein Bericht zitiert. Der ist unter | |
der Kuratel Friedrichs erschienen und sagt, dass er bei diesem Anlass vom | |
Volk "Der Große" gerufen wurde. In allen anderen Berichten findet sich | |
dieser Hinweis nicht. Das war demnach eine Inszenierung. Es gibt also | |
Zweifel an dem Geist der Geschichte, der da wehte. | |
In der Vergangenheit konnte man immer schon bei der Nennung des Königs | |
erkennen, wie man über ihn dachte. Für die einen war er der Große, für die | |
anderen schlicht Friedrich II. Gilt das heute auch noch? | |
Das hängt davon ab, wo sie über ihn sprechen. In Sachsen, wo man ja keine | |
guten Erfahrungen mit dem König gemacht hat, geht "Friedrich der Große" | |
nicht so leicht von den Lippen. Das gleiche gilt für das Rheinland oder | |
Süddeutschland. "Friedrich der Große" haben immer die Kernpreußen gesagt, | |
es sei denn sie waren wie Franz Mehring dezidierte Gegner der "preußischen | |
Idee". Heute spielen die unterschiedlichen Bezeichnungen aber keine große | |
Rolle mehr, weil die Figur nicht mehr in dem Maße ideologisch ist wie sie | |
es früher einmal war. | |
Wie nennen Sie ihn? | |
Ich würde ihn immer Friedrich der Große nennen, weil er groß zum Beispiel | |
in seiner Medienpolitik war. Er hat hart an seinem Image gearbeitet. Da war | |
er wirklich ein Großer. Sich das selbst dauerhaft zuzuschreiben, das ist | |
schon eine Leistung. | |
Wann hat die postideologische Rezeption begonnen? Bereits mit der | |
Preußenausstellung 1981 in West-Berlin? | |
Nein. Die Preußenausstellung war der berechtigte Versuch, die Geschichte | |
Preußens als wichtigen Teil der deutschen Geschichte erst einmal wieder ins | |
Bewusstsein zu bringen. Selbst 1986, als der zweihundertste Todestag | |
begangen wurde, ging es in der DDR zunächst darum, ihn mit "Friedrich und | |
die Kunst" möglichst unverfänglich aus der Vergessenheit zu holen. | |
Er war also weg gewesen. | |
Er verschwand zumindest aus der Diskussion. Bei vielen Brandenburgern und | |
Berlinern war er natürlich noch da, klar. Den Generationen davor hatte man | |
Friedrich in der Schule ja noch regelrecht eingetrichtert. Da konnte er gar | |
nicht vergessen werden. Aber das Wissen war sedimentiert. | |
Und heute? | |
Erst durch eine jüngere Generation von Historikern, die nicht mehr in | |
diesen alten Traditionen und Schulen steht, kann Friedrich unbefangener | |
betrachtet werden. Das gilt auch für die zunehmende Einbettung Deutschlands | |
in Europa. Man muss aus Friedrich keinen Nationalheiligen mehr machen, der | |
er ja im übrigen auch nie war. Er wäre sicher der letzte gewesen, der einen | |
deutschen Staat hätte gründen wollen - in der Weise, wie man es dann in der | |
Paulskirche im 19. Jahrhundert behauptet hat. Seit Mitte der 2000er Jahre | |
beschäftigen wir uns erneut mit Friedrich, und wir beschäftigen uns anders | |
mit ihm als zuvor. | |
Sie sind nun schon seit 2007 bei der Stiftung Preußische Schlösser und | |
Gärten mit der Jubiläumsausstellung zu Friedrichs 300. Geburtstag | |
beschäftigt. Die Ausstellung hat den Titel "Friederisiko". Warum so | |
postmodern? | |
Wir haben uns im Vorfeld überlegt, auch mit der Ausstellung neue Wege | |
einzuschlagen. Der Gedanke war, was man mit ihm über eine längere Zeit | |
seines Lebens verbindet. Da waren mehrere Begriffe im Gespräch: Aufklärung. | |
Bildung. Toleranz. Aber das alles würde zu kurz greifen. Risiko ist dagegen | |
etwas, das den jungen wie alten König begleitet hat: im aktiven Tun oder im | |
bewussten Unterlassen. Dieser Idee ist auch der Titel als Kunstwort | |
geschuldet. Natürlich soll er auch Aufmerksamkeit heischen. | |
Das "It-Girl" und "Fashion Victim" Luise wurde mit den Ausstellungen 2010 | |
zur Popfigur. Wird das bei Friedrich ähnlich sein? | |
Das wollen wir gar nicht. | |
Also keine Kühlschrankmagneten. | |
So weit ich weiß, nein. Interessant sind aber die Reaktionen auf den Titel. | |
Die reichen von großer Zustimmung bis zu rigoroser Ablehnung. | |
Wer stimmt zu, wer lehnt ab? | |
Die Friedrichfreunde und seine Fans sind dagegen, auch viele aus der | |
älteren Generation. Da gibt es die Befürchtung, dass wir dem großen König | |
nicht gerecht würden. Das stimmt natürlich nicht. | |
Aber ein neues Friedrich-Bild in die Welt setzen wollen sie schon, oder? | |
Klar würde ich mich freuen, wenn wir ein realistischeres Friedrich-Bild, | |
nahe an der Person, durchsetzten und viel von den überdimensionalen | |
rezeptionsgeschichtlichen Phänomenen, die der jeweilige Zeitgeist | |
konstruiert hat, anschließend wegstreichen könnten. | |
Wenn man Friedrich googelt, steht ganz oben im Ranking der Suchanfragen | |
"Friedrich II. schwul". Welche Rolle spielt die seit eh und je heiß | |
diskutierte Frage nach seiner Sexualität für ein modernes Friedrichbild? | |
Es wird in der Ausstellung einen Themenbereich "Körper und Seele" geben. Da | |
spielt das eine Rolle. Aber auch, wie ihn sein Vater behandelt hat und wie | |
Friedrich selbst seine Nachfolger behandelt. Das ist durchaus identisch. Da | |
muss man natürlich auch mit Friedrichs Sexualität umgehen. Das werden wir | |
auch tun. | |
War er nun schwul oder nicht? | |
Ich bin relativ überzeugt davon, dass er, wie sein Bruder Heinrich, schwul | |
war. Nur hat er es, anders als Heinrich, nicht offen ausgelebt. Es war eher | |
eine verklemmte Art und Weise. Als Jugendlicher, frisch verheiratet, um vom | |
Vater loszukommen, hat er sogar versucht, mit seiner Gemahlin ein Kind zu | |
produzieren. Das hat aber nicht geklappt, dann hat er das auch gelassen. | |
Ich denke aber nicht, dass seine Sexualität eine Rolle für sein Handeln als | |
König gespielt hat. Vielleicht würden Psychologen da was ganz anderes | |
erzählen. | |
Welchem Konzept folgt die Ausstellung? Wird es eine biographische | |
Friedrich-Schau oder wird sie, wie ihr Buch, eher thematisch sein? | |
Die Ausstellung ist thematisch strukturiert. Sie gliedert sich in elf | |
Bereiche. Diese leiten sich, auch das ist das Originelle, aus dem Neuen | |
Palais selbst ab. Einen zwölften Bereich wird es dann zum friderizianischen | |
Garten im Park Sanssouci geben. Aus dem Schloss, das als Bau fast noch | |
bedeutender ist als Sanssouci, lässt sich viel von der Gedankenwelt | |
Friedrichs ableiten. Man kann da etwa sehen, wie er zu Personen stand, wie | |
er selbst erinnert werden wollte, was ihm wichtig war und was ihm weniger | |
wichtig war. Das wollen wir, soweit es möglich ist, aus den Schlossräumen | |
ableiten mit Exponaten, die die Aussagen noch unterstreichen. Jeder kann | |
selbst wählen, was ihn interessiert. Es wird keinen in sich geschlossenen | |
Rundgang geben. | |
Wenn Luise die Königin der Herzen war, ist Friedrich … | |
… der große König. Einer, der überall immer noch im Hintergrund wirkt. Aber | |
war Luise die Königin der Herzen? Vor 2010 hat die keiner mehr gekannt. | |
Was können Schüler, Jugendliche, Erwachsene, die ihn in ihrer Ausstellung | |
zum ersten Mal entdecken, von Friedrich lernen? | |
Was man von ihm, gerade als Jugendlicher, am besten lernen kann, sind zwei | |
Dinge: Er hat selbst festgestellt, dass es ihm für das, was er vorhat, an | |
Wissen mangelt. Er hat dem abgeholfen und hat konzentriert gelesen, nicht | |
nur auf einem Gebiet, sondern auf vielen. Er hat ein breites | |
Allgemeinwissen angehäuft. Das andere ist Konzentration auf eine Sache: | |
das, was man erreichen möchte, hartnäckig verfolgen. | |
Was sollte man nicht von ihm lernen? | |
Das ist das, was ihm ja auch selbst schwer geschadet hat: seine | |
Eigensinnigkeit, die fehlende Rücksichtnahme auf Menschen in seiner Nähe, | |
auf Menschen überhaupt. | |
Was sind die größten Irrtümer, die mit Friedrich zusammenhängen? | |
Dass er die Kartoffel in Brandenburg eingeführt hat. Hat er nämlich nicht. | |
Das war der Große Kurfürst. Friedrich hat noch nicht mal dafür gesorgt, | |
dass die Kartoffel weiter verbreitet wird. Hauptnahrungsmittel war nach wie | |
vor das Getreide. | |
26 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Frauen | |
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