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# taz.de -- Syrische Opposition: "Wir brauchen eure Solidarität – jetzt!"
> Wofür wir kämpfen und was wir schon erreicht haben. Wie das Regime gegen
> uns vorgeht und was wir von euch wollen. Ein Appell aus dem syrischen
> Untergrund.
Bild: "Wir haben keinen außer dir, oh Gott!"
Seit dem Beginn der syrischen Revolution sind mehr als neun Monate
vergangen. Aber noch immer herrscht Unklarheit darüber, was die syrische
Revolution wirklich ist: Handelt es sich nur um einen Aufstand oder doch um
eine echte Revolution? Ist es eine Revolution der Einheit oder eine der
konfessionellen Spaltung? Wird die Revolution bestehen - oder ist sie zum
Scheitern verurteilt? Fest steht nur: Das Ende ist noch nicht abzusehen.
Aus den arabischen Staaten oder von der internationalen Gemeinschaft ist
keine wirkliche Hilfe in Sicht, die das brutale Regime in die Schranken
weisen würde. Deshalb spiegelt dieser Ausruf der Verzweiflung die Lage der
Syrer am besten wider: "Wir haben keinen außer dir, oh Gott!"
Die Hoffnung, dass der Arabische Frühling auch in Syrien die Unterdrückung
und die Tyrannei, das Morden und die Folter beenden würde, war lange mit
schweren Zweifeln belastet: Mehr als vierzig Jahre lang waren alle
Anstrengungen der Opposition, die Demokratie in unser Land zu tragen, zum
Scheitern verurteilt. Doch als die Behörden in Daraa einige Kinder
verhafteten und mit unnachgiebiger Brutalität folterten, begann sich die
Revolution wie ein Lauffeuer zu verbreiten.
Wir Aktivistinnen und Aktivisten hatten gleich zu Beginn des Aufstands
gesagt, dass wir nur mit friedlichen Mitteln erfolgreich sein können. Und
trotz des ständigen Beschusses von Demonstrationen und trotz der
willkürlichen Verhaftungen und Folter ist es uns gelungen, den friedlichen
Charakter der Revolution zu wahren.
Die Aktivistinnen und Aktivisten riskieren ihr Leben, um friedlich ihre
grundlegenden Rechte einzufordern. Für ihr Engagement zahlen sie und alle
Syrer einen hohen Preis. Die Gefängnisse sind gefüllt mit Menschen, die
sich für Demokratie und das Ende der Diktatur eingesetzt haben. Man kann
sie unter der Folter schreien hören. Auf den Straßen unserer Städte wird
täglich Blut vergossen.
Das Regime versucht, die Gesellschaft zu spalten, indem es die
Aktivistinnen und Aktivisten einschüchtert, verfolgt, quält und ermordet.
Es bezahlt Menschen, die in seinem Auftrag verraten und töten, die aus
Angst oder Profitgier handeln, weil sie sich von diesem System eine Zukunft
versprechen.
## Strategie der Spaltung
Auch konfessionelle Spannungen versucht die Regierung zu erzeugen, indem
sie Städte und Regionen voneinander abschirmt und damit auch religiöse
Gruppierungen trennt. So kann sie Furcht erzeugen vor der Dominanz der
jeweils anderen Religionen. Denn nur durch einen Bürgerkrieg, der die
Arbeit der friedlichen Aktivistinnen und Aktivisten zwangsläufig beenden
würde, könnte sich diese Regierung an der Macht halten.
Leider war diese Strategie der Spaltung bis zu einem gewissen Grad
erfolgreich: Immer wieder hören wir, dass die Minderheiten Angst vor dem
Fall des Regimes haben. Somit lastet auf den Aktivisten die Bürde, die
staatliche Einheit Syriens zu bewahren. Sie versuchen, den Menschen mit
Diskussionen und Kampagnen diese Strategie klarzumachen. Mit diesen
Gesprächen schaffen sie es, Begriffe und Konzepte zu diskutieren, die seit
Jahrzehnten nicht mehr verwendet wurden und die in viele Regionen des
Landes noch überhaupt nicht vorgedrungen waren: Demokratie, Verfassung,
transparente Wahlen, Zivilgesellschaft.
Ja, es ist tatsächlich wie eine Wiedergeburt, die sich gerade für Syrien
vollzieht, für seine Menschen und für alle Teile der Gesellschaft: Es ist
inzwischen nicht mehr ungewöhnlich, wenn eine säkulare und eine religiöse
Frau gemeinsam demonstrieren gehen, wenn ein religiöser Prediger mit einem
Linken komplexe gesellschaftliche Themen diskutiert oder wenn sich Menschen
aus städtischen und ländlichen Gebieten in einem Privathaus treffen,
außerhalb der Sicht- und Reichweite der Sicherheitsdienste, um sich über
Demokratie und einen zivilen Staat zu unterhalten. Daraus entsteht der auf
Demonstrationen häufig erklingende Ruf: "Eins, eins, eins - das syrische
Volk ist eins!"
Doch obwohl Syrien heute ein Land ist, das zum ersten Mal so etwas wie eine
zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit erlebt, müssen wir Aktivistinnen und
Aktivisten im Geheimen und aus dem Untergrund heraus arbeiten. Zu viel
Offenheit müssten wir mit unserem Leben bezahlen.
Manchmal werden angesichts der brutalen Gewalt des Regimes Rufe nach Rache
und Bewaffnung laut, um das Blutvergießen zu beenden. Doch das würde nur
noch mehr Blutvergießen nach sich ziehen. Das können wir nicht hinnehmen.
Dies kann genauso wenig hingenommen werden wie die Tatsache, dass Soldaten
Menschen aus dem eigenen Volk töten, oder dass ein Soldat erschossen wird,
wenn er sich weigert, auf friedliche Demonstranten zu schießen.
## Friedliche Revolution
In den vergangenen drei Monaten haben sich immer mehr Soldaten dazu
entschieden, sich an die Seite ihrer Brüder und Schwestern zu stellen,
statt für das Regime zu töten. Ihre Zahl steigt täglich an, obwohl auch sie
eine schwere Bürde auf sich nehmen: Sie müssen ins Exil. Oder sie müssen in
den Untergrund, um so die friedlichen Demonstrationen zu beschützen und zu
verhindern, dass auf Unbewaffnete geschossen wird.
Trotz der großen Anzahl an desertierten Soldaten, trotz der vielen Toten
und der Folter ist unsere Revolution friedlich geblieben. Unser Aufruf zum
Streik, der hoffentlich in einen Generalstreik münden wird, findet größere
Unterstützung als die Rufe nach Bewaffnung. Keiner will in einen
Teufelskreis der Gewalt hineingeraten, auch wenn der Preis für den
friedlichen Widerstand erst einmal höher erscheint. Der Preis eines
Bürgerkriegs wäre noch tausendmal höher.
Diese Position wird vor allem gestützt von den Aktivistinnen und Aktivisten
in den lokalen Koordinierungskomitees, die in den Städten und Dörfern
Demonstrationen organisieren, die von den Verbrechen des Regimes über das
Internet berichten und die zum Streik aufrufen.
Für ihre selbst auferlegte Verpflichtung gegenüber der friedlichen
Revolution geben die Menschen ihre Arbeit und ihr normales Leben auf. Denn
sie müssen sich verstecken. Sie müssen von Ort zu Ort und von Haus zu Haus
ziehen, um vor den Sicherheitsdiensten und ihren tödlichen Kugeln zu
flüchten.
Und während diese Aktivistinnen und Aktivisten der Bevölkerung helfen, sich
von der Unterdrückung und dem Terror des Staates zu befreien, erfahren sie
selbst kaum Unterstützung. Kaum jemand sieht die Opfer, die sie bringen
müssen, kaum jemand sieht, dass sie ihre Häuser und Familien aufgegeben
haben, um sich ganz der Revolution zu widmen und um ihren glühenden Kampf
für Freiheit, Menschenrechte und eine friedliche Revolution zu führen.
Als Aktivistinnen und Aktivisten brauchen wir dringend Unterstützung, um
unsere Arbeit im Dienst der friedlichen Revolution weiterführen zu können,
bis wir diese Diktatur besiegt haben.
Wir brauchen die Unterstützung der Zivilgesellschaft in anderen Ländern, um
eure Erfahrungen in unseren Streit für Demokratie und Menschenrechte
einflechten zu können. Wir brauchen Unterstützung für die Ärzte, die
verletzte Demonstranten nur behandeln können, wenn die Polizei weit weg
ist. Die Koordinierungskomitees brauchen finanzielle Unterstützung, um ihr
endloses Engagement für einen unbewaffnete Aufstand fortsetzen zu können.
Es braucht aber auch Geld, um die Wohnungen der Untergetauchten zu
finanzieren und die Materialien für unsere Demonstrationen zu bezahlen.
Menschen, die ihr dies lest: Wir brauchen eure aktive Solidarität! Und wir
brauchen sie jetzt!
Damaskus, 20. Dezember 2011
Übersetzung aus dem Arabischen: Christin Lüttich
27 Dec 2011
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