# taz.de -- Spielfilm über Indígenas: Man könnte glatt wehmütig werden | |
> "Und dann der Regen" von Icíar Bollaín erforscht die Unterdrückung der | |
> Indígenas heute und vor 500 Jahren. Doch die Figuren leiden unter | |
> eindimensionaler Darstellung. | |
Bild: In Cochabamba wird der Präsident auch heute noch nach Art der Indígenas… | |
Erinnert sich noch jemand an Jorge Sanjinés? Vermutlich eher nicht, | |
deswegen hier ein paar Informationen: Sanjinés, 1936 geboren, ist | |
Filmemacher aus La Paz, Bolivien, einem Land ohne nennenswerte | |
Kinotradition. Er zählt zu den Protagonisten des Dritten Kinos in | |
Lateinamerika und hat Filme wie "Ukamau" (1966) und "Yawar Mallku" (1969) | |
gedreht. | |
Sie handeln von spezifisch indigenen Erfahrungen und Weltauffassungen vor | |
dem Hintergrund einer zutiefst rassistischen Gesellschaft, und sie | |
versuchen dabei, sich in ihrem Erzählmodus an die indigene Kosmologie | |
anzuschmiegen. | |
Sanjinés hat außerdem programmatische Texte geschrieben, die von der "Suche | |
nach einem volkstümlichen Kino" handeln, und mit dem Wort volkstümlich ist | |
hier nicht folkloristisch gemeint, sondern eine Nähe zu den Nöten, Zielen, | |
Wünschen einer von politischer Repräsentation ausgeschlossenen und | |
wirtschaftlich ausgebeuteten Masse. Eine Retrospektive wäre ein schönes | |
Unterfangen - allein um zu sehen, was dieses Oeuvre heute noch ausstrahlt. | |
## Säuberlich geordnet wie im Geschichtsunterricht | |
An dieser Stelle muss ich Sie enttäuschen. Von einer | |
Jorge-Sanjinés-Retrospektive im Wiener Filmmuseum oder im Berliner | |
Zeughauskino ist mir leider nichts bekannt. Erwähnt habe ich den | |
Filmemacher aus La Paz, um eine Fallhöhe zu beschreiben. Denn wer sich für | |
Bolivien und Kino interessiert, muss in diesen Tagen mit "Und dann der | |
Regen" der spanischen Regisseurin Icíar Bollaín vorlieb nehmen. Zwar ist | |
Bollaíns Spielfilm ehrgeizig, insofern er die Ausbeutung der Conquista mit | |
einem Fall gegenwärtiger Ausbeutung verschränkt und dabei eine Menge | |
verschüttetes Wissen zutage fördert. Doch er präsentiert dieses Wissen so | |
säuberlich geordnet, dass man meint, im Geschichtsunterricht für | |
Elftklässler zu sitzen. | |
Erinnert wird zum einen an die Wasserkämpfe von Cochabamba (als im Jahr | |
2000 das Wasser in der bolivianischen Stadt privatisiert wurde, regte sich | |
der Widerstand so heftig, dass sich das US-amerikanische Konsortium | |
schließlich zurückzog), zum anderen an historische Persönlichkeiten wie | |
Bartolomé de las Casas (1485 bis 1566) und Antonio de Montesinos (1475 bis | |
1540). | |
Die beiden waren spanische Mönche in den westindischen Kolonien; im 16. | |
Jahrhundert kämpften sie wider das System der Zwangsarbeit, die so genannte | |
Encomienda, das ihre Landsmänner eingeführt hatten. Bartolomé de las Casas | |
schrieb dazu Schlüsseltexte, "Historia de las Indias" und den | |
"Kurzgefassten Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder", den er | |
Kaiser Karl V. vorlegte. | |
In Bollaíns Film geraten die beiden hinein, weil es einen Film-im-Film | |
gibt, und in dem sind sie zentrale Figuren. Um diesen Film, in dem es | |
außerdem um die Auflehnung der Indígenas gegen die spanische Unterjochung | |
geht, zu drehen, reist ein junger, von Gael García Bernal gespielter | |
Regisseur mit seinem Team nach Cochabamba. In Bolivien zu arbeiten kommt | |
die Produzenten billiger als ein Dreh am historisch verbürgten Schauplatz. | |
Dass die Indígenas in den östlichen Ausläufern der Anden etwas anders | |
ausschauen als die Kariben: geschenkt. Dafür geben die sattgrünen, waldigen | |
Hügel genau die richtige Kulisse ab. Dumm nur, dass just in dem Augenblick, | |
als das Team den Aufstand dreht, die Kämpfe ums Wasser ausbrechen. Und | |
schon steht man abends nicht mehr im lauschigen Hotelgarten herum, sondern | |
steckt mitten drin im Ausnahmezustand. | |
## Der gutmeinende Blick | |
Der Drehbuchautor Paul Laverty hat an Ken Loachs Seite schon einige | |
Erfahrung in Sachen Lateinamerika gesammelt, und wie schon in "Carlas Song" | |
(1996) und "Bread and Roses" (2002) buchstabiert er die Konfliktlage | |
didaktisch klar aus. Das grundsätzliche Wohlwollen der spanischen | |
Filmemacher steht im Widerspruch dazu, dass sie die ausbeuterischen | |
Arbeitsbedingungen der Konquistadoren wiederholen, indem sie den Statisten | |
miese Löhne zahlen; die Proteste gegen die Privatisierung hallen beim Dreh | |
nach, wenn die indianischen Figuren gegen die Encomienda rebellieren. | |
Am Ende verschafft sich ein Einzeldrama unerwartet großen Raum, der | |
Produzent Costa (Luis Tosar), eigentlich kein Mann mit Idealen, schwingt | |
sich zum Retter in der Not auf, während sich die meisten anderen im | |
Filmteam vor Angst in die Hosen machen. | |
Blind bleibt der Fleck, wo "Und dann der Regen" sich dem Projekt des | |
ehrgeizigen jungen Regisseurs anverwandelt. Bollaín hat denselben | |
gutmeinenden Blick wie dieser Regisseur, und so wie der es nicht schafft, | |
sich von der kolonialen Tradition zu lösen, so schafft sie es nicht, den | |
bolivianischen Figuren Mehrdimensionalität und Tiefe zu verleihen. Man | |
könnte glatt wehmütig werden, wenn man daran denkt, dass das bei Jorge | |
Sanjinés schon mal ganz anders war. | |
28 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Komödie | |
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