# taz.de -- Kommentar Wulff und die "Bild"-Zeitung: Die doppelte Bigotterie | |
> Sollte Wulff noch Reste von Glaubwürdigkeit besessen haben, so hat er sie | |
> mit den Anrufen bei Springer zerstört. Doch auch die Rolle der "Bild" | |
> hinterlässt Unbehagen. | |
Bild: Es ist frappierend, wie sehr der Bundespräsident die Würde seines Amtes… | |
Die jüngste Wendung der Affäre Christian Wulffs liefert gleich mehrere | |
Erkenntnisse. Zunächst die wichtigste: Der Bundespräsident scheut sich | |
nicht, bei Chefredakteuren persönlich Druck zu machen, um unliebsame | |
Berichterstattung zu verhindern. Wenn die bisher bekannten Fakten stimmen, | |
waren seine Telefonanrufe bei Bild-Chef Kai Diekmann und Springer-Chef | |
Mathias Döpfner nichts anderes als Zensurversuche. Sollte Wulff noch Reste | |
von Glaubwürdigkeit besessen haben, so hat er diese mit den Anrufen | |
vollends zerstört. | |
Überraschend ist dabei nicht nur die Naivität des Präsidenten. Anzunehmen, | |
die im Gossenkampf erprobte Bild-Zeitung werde wegen einer Drohgebärde | |
tatsächlich einen Text nicht drucken, ist verrückt. Ebenso frappierend ist | |
einmal mehr, wie dieser Präsident die Würde seines Amtes ignoriert. Wulff | |
hat sich benommen wie ein Provinzbürgermeister, der glaubt, die ansässige | |
Lokalzeitung nach Gutdünken maßregeln zu können. Als Präsident stellt er | |
ein Verfassungsorgan des Staates dar, er hat die Pressefreiheit zu achten, | |
zu schützen und zu verteidigen. | |
Wulffs Verdikt lautet anders: Pressefreiheit ist gut und schön - aber nur, | |
wenn sie ihm selbst nicht schadet. All die präsidialen Bekundungen, in | |
denen er Bedeutung und Stellenwert einer freien Presse betonte, zuletzt am | |
gestrigen Montag in einer Mitteilung seines Präsidialamts, erscheinen jetzt | |
bigott. | |
Doch Wulff ist nicht der Einzige, bei dem der Verdacht der Bigotterie | |
naheliegt. Die Bild-Chefredaktion teilte am Montag mit, Wulff habe sich | |
zwei Tage nach seinem Anruf bei Diekmann entschuldigt, deshalb habe die | |
Zeitung nicht berichtet. Dennoch bleiben viele hochinteressante Fragen | |
offen. Warum gelangt eigentlich eine solche Nachricht aus einer | |
persönlichen Mailbox an andere Zeitungen? Wörtliche Zitate des Präsidenten | |
inklusive? Warum passiert das erst drei Wochen nach dem Anruf? Zu einem | |
Zeitpunkt, als die Aufregung um die Kreditaffäre bereits abgeflaut ist? | |
Auf diese Fragen antworten bedauerlicherweise weder Diekmann noch die | |
Springer-Pressestelle. Wie schade, dabei ließe sich einiges bereden: Wie | |
ein Medium über Bande spielt, wenn es sich selbst nicht die Finger | |
schmutzig machen will, zum Beispiel. Oder wie es eine Affäre strategisch am | |
Kochen hält. Ein gewisses Unbehagen bleibt deshalb. Denn im Zweifel rennen | |
wir, die anderen Journalisten, hinterher. | |
3 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
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