# taz.de -- Hirnforschung: Tolle Ideen auch noch mit 50 | |
> Kreativität verzögert die Abbauprozesse im Gehirn. In einer alternden | |
> Erwerbsgesellschaft sind Künstler daher besser dran als Leute mit | |
> Routinejobs. | |
Bild: Ihr Hirn bleibt länger fit: Kreative Zeitgenossen. | |
Berlin taz | Die Welt ist ungerecht, erst recht, wenn es ums Altern geht. | |
Die viel beschworene "Verlängerung der Lebensarbeitszeit" gelinge in | |
Deutschland "nur einem bestimmten Teil der Bevölkerung, den | |
Höherqualifizierten", sagt der Soziologe Hans-Peter Blossfeld von der | |
Universität Bamberg im Gespräch mit der taz. Wer einen monotonen, | |
verschleißenden Job hat, hält sich hingegen nicht so lange auf dem | |
Arbeitsmarkt. Und das liegt auch an unseren Hirnstrukturen. | |
"Wenn man sich nicht weiterbildet und für Abwechslung und neue | |
Herausforderungen sorgt, nimmt die Plastizität im Gehirn ab", erklärt | |
Blossfeld, der unlängst eine Studie zu den Erwerbschancen Älterer | |
veröffentlicht hat. Unter "Neuroplastizität" versteht man die Erneuerungs- | |
und Anpassungsprozesse im Gehirn. Diese "Hirnfitness" rückt jetzt auch in | |
den Mittelpunkt der Arbeitswissenschaft. | |
Generell geht die Forschung davon aus, dass in späteren Jahren die | |
sogenannte kristalline Intelligenz wie etwa Sprachfähigkeit und | |
Wissensschatz, weitgehend erhalten bleibt. Die sogenannte fluide | |
Intelligenz, also das Arbeitsgedächtnis, die Reaktionsschnelligkeit und | |
Aufnahmefähigkeit nehmen hingegen ab dem 30. Lebensjahr ab. Dabei gibt es | |
große individuelle Unterschiede, die auch mit der Berufstätigkeit | |
zusammenhängen. | |
## Monotonie verlangsamt | |
"Kognitive Defizite und Veränderungen von Hirnfunktionen" können "durch | |
langjährige, monotone Arbeit beschleunigt werden und bereits im mittleren | |
Erwachsenenalter auftreten", schreiben die Sozialforscher Patrick Gajewski | |
und Michael Falkenstein in ihrem Papier "Neurocognition of aging in working | |
environments", erschienen in der Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung des | |
Nürnberger IAB-Instituts. | |
Die Forscher beziehen sich dabei unter anderem auf das noch laufende | |
Projekt PFIFF bei dem Fahrzeugbauer Opel. Im Rahmen der Studie teilte man | |
eine Gruppe der Beschäftigten ab, die einer eher monotonen Tätigkeit am | |
Band nachging. Eine zweite Gruppe hingegen war mit abwechslungsreicheren | |
Arbeiten in der Wartung und Reparatur beschäftigt. | |
Die älteren Beschäftigen in der ersten, monoton arbeitenden Gruppe zeigten | |
sich in Tests im Vergleich zu ihren jüngeren Kollegen deutlich verlangsamt. | |
Die älteren Mitarbeiter der zweiten, flexibler arbeitenden Gruppe hingegen | |
bewiesen noch eine vergleichsweise gute Reaktionsschnelligkeit auch beim | |
Beheben von Fehlern. Sie waren im Vergleich zu ihren jüngeren Kollegen zwar | |
auch langsamer, arbeiteten aber genauer. | |
## Aktive Synapsen | |
"Zeitlich flexible und abwechslungsreiche Arbeit" könne den | |
"altersbedingten kognitiven Abbau erfolgreich kompensieren", folgern die | |
Forscher. Ein trainergeführtes, PC-gestütztes kognitives Training | |
verbesserte zusammen mit Techniken des Stressmanagements die | |
intellektuellen Fähigkeiten für die eintöniger arbeitenden Beschäftigen. | |
Es gebe aber auch in der Lebensführung schützende Faktoren gegen geistigen | |
Abbau, wie die Forscher aufführen: Anspruchsvolle Gesellschaftsspiele zu | |
machen, ein Instrument zu spielen und Sport zu treiben, beugt kognitiven | |
Verlusten vor. Wer einen anregenden Job hat, der die Synapsen im Hirn | |
aktiviert, ist jedoch schon von der Art der Berufstätigkeit her | |
privilegiert. | |
KünstlerInnen haben es besonders gut. Auf der Tagung "Altersbilder im | |
Wandel" erklärte der österreichische Sozialwissenschaftler Vegard Skirbekk | |
kürzlich in Berlin, dass die Höhepunkte der Produktivität bei den | |
Beschäftigten im Schnitt zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr erreicht | |
werden. | |
## Jüngere Generationen sind schlauer | |
In Künstlerberufen wie bei Musikern, Malern oder Schriftstellern entfalte | |
sich die Produktivität etwas später, nämlich zwischen 30 und 40 Jahren. | |
Schriftstellerinnen erreichen die höchste Produktivität sogar jenseits des | |
50. Lebensjahrs - das könne aber auch an den sinkenden familiären | |
Belastungen der älteren Frauen liegen, meinte Skirbekk. | |
Jüngere Generationen sind heute im Schnitt schlauer als ältere. Skirbekk | |
verwies auf Statistiken aus Schweden, wo nach Messergebnissen 78-Jährige | |
noch genauso fit waren wie 62-Jährige aus einer Kohorte, die 25 Jahre | |
früher geboren worden war. | |
In allen europäischen Ländern sind AkademikerInnen im Schnitt länger | |
beschäftigt als ihre AltersgenossInnen mit Berufsausbildung oder einfachem | |
Schulabschluss, wohl auch, weil der Verschleiß in den höheren Berufen | |
geringer ist. Diese Spaltung könnte sich noch vertiefen. "In einer | |
alternden Gesellschaft wird die ungleiche Verteilung von Lernchancen im | |
Berufsleben eine höhere soziale Bedeutung bekommen", sagt Blossfeld. | |
Doch was kann man gegen diese Spaltungen tun? In Skandinavien investiert | |
man mehr in die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer. Dort haben auch | |
ältere Geringqualifizierte eine Chance auf Weiterbildungsmaßnahmen, so | |
Blossfeld. Hierzulande versucht man in einigen großen Automobilkonzernen, | |
die Arbeitsplätze abwechslungsreicher zu gestalten. | |
Mit Empfehlungen der Gesundheitsberater für "Gehirnjogging" und einen | |
kognitiv förderlichen Lebensstil gilt die "Plastizität" aber vor allem als | |
Privatsache. Als sozialpolitische Frage der Arbeitsbedingungen ist sie noch | |
nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. | |
6 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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