# taz.de -- Experte über Senioren: "Rentner sind menschenfeindlich" | |
> Konfliktforscher Andreas Zick erklärt die rechten Tendenzen unter | |
> Rentnern damit, dass sie sich wertlos fühlen. Er fordert Bildung für 65+, | |
> um Rechts entgegenzuwirken. | |
Bild: Bildung und Lebensfreude schützen auch im Alter vor rechten Tendenzen. | |
taz: Herr Zick, die Rentnerinnen und Rentner sind die Altersgruppe mit der | |
größten Zustimmung zu menschenfeindlichen Aussagen. Wird das anders, wenn | |
die Generation, die die NS-Zeit erlebt hat, abtritt? | |
Andreas Zick: Nein. Ich selbst gehe auf die 50 zu, und auch in meiner | |
Generation gibt es hohe Werte zu Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, | |
Fremdenfeindlichkeit, aber auch zur Entsolidarisierung gegenüber | |
Behinderten, Obdachlosen und anderen. | |
Wie erklären Sie das? | |
Mit dem Statusübergang in die Rente ist eine große Verunsicherung | |
verbunden. Wir sind so stark geprägt vom ökonomistischen Denken, das einzig | |
den ökonomischen Wert des Menschen gelten lässt, dass Rentnerinnen und | |
Rentner das Gefühl haben, sie werden wertlos. Und dann passiert, was wir | |
häufig bei vermeintlich schwächeren Gruppen finden: Um sich noch zugehörig | |
zu fühlen, wertet man andere, die noch schwächer sind, ab. | |
Obwohl jetzt die Generation der 68er in Rente geht? | |
Das Problem ist, dass der herrschende politische Diskurs einer der Angst | |
vor der Krise ist: "Ihr müsst Angst vor Verlusten haben." Diese Ängste vor | |
Statusverlust befördern ein Konkurrenzdenken - weniger für die Schwächeren | |
ist mehr für mich. Thilo Sarrazin brauchte diese Befürchtungen nur | |
einzusammeln: "Deutschland schafft sich ab" spiegelt exakt diese Angst | |
wider. Und schon sucht man nach Autoritäten, die Abhilfe schaffen. Sogar | |
die Art, wie jetzt über Rechtsterrorismus gesprochen wird, hat diese | |
Schlagseite: Repression ist gefragt statt einer Analyse, wie diese Gruppe | |
sich so radikalisieren konnte. | |
Haben diese rechten Alten etwas mit der jungen Generation von Neonazis zu | |
tun? | |
Ja. Zum Beispiel fühlen sich junge Gewalttäter von den Älteren unterstützt, | |
weil die zu einem hohen Maß Gewalt billigen. Sie haben die höchsten Werte | |
von allen Altersgruppen. Oft werden rechte Einstellungen auch in der | |
Familie weitergegeben. | |
Nun sind die politischen Programme für Demokratie und Toleranz auf | |
Jugendliche zugeschnitten. Fehlt da was? | |
Ja, definitiv. Wir müssen Bildung für Ältere schaffen. Sie werden in | |
Zukunft die Mehrheit in der Gesellschaft stellen. Das ist eine der | |
wichtigsten Ursachen für das Anwachsen des Rechtspopulismus. Die Norm, die | |
undemokratische Ausbrüche ächtet, wird in dieser Gruppe immer schwächer. | |
Ein NPD-Verbot wäre eine sehr starke Normsetzung: Würde das helfen? | |
Parteiverbote richten faktisch nichts aus, wenn nicht zugleich klar ist, | |
dass in dieser Gesellschaft Menschenfeindlichkeit nicht mehr toleriert | |
wird. Ich höre aber wenig davon, dass man sich auf die Seite der Opfer | |
stellt. Dass ein Politiker sagt: "Wir verbieten die NPD, weil wir eine | |
vielfältige, multikulturelle Gesellschaft wollen." Die Norweger haben nach | |
den Attentaten von Anders Breivik gesagt: Wir lassen uns den | |
Multikulturalismus nicht nehmen. Ich habe in Deutschland noch nicht gehört, | |
dass wir die NPD verbieten wollen, weil wir für eine offene Gesellschaft | |
sind. | |
13 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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