# taz.de -- Lukratives Zwischenlager: Spanisches Dorf im Atomglück | |
> Eine Gemeinde in Zentralspanien erhält den Zuschlag für ein zentrales | |
> Atommüllzwischenlager. Der Bürgermeister freut sich über den Geldsegen | |
> aus Madrid. | |
Bild: Nicht nur der Bürgermeister José María Saiz (M.) jubelt in Villar de C… | |
MADRID taz | In Villar de Cañas herrscht Goldgräberstimmung. Seit der | |
441-Seelenort unweit der zentralspanischen Stadt Cuenca auf der letzten | |
Kabinettssitzung vor Jahresende den Zuschlag für ein zentrales | |
Atommüllzwischenlager bekommen hat, reißen die Anrufe bei Bürgermeister | |
José María Saiz nicht mehr ab. | |
"Das ist der reine Wahnsinn", sagt er. Über 2.000 Lebensläufe von Menschen | |
auf Suche nach einem Arbeitsplatz gingen bereits ein. Kleinunternehmer | |
suchen Gewerberäume, andere wollen Grundstücke und Wohnungen kaufen. "Mir | |
war schon klar, dass es dort draußen eine starke Krise gibt, aber das habe | |
ich nicht erwartet", erklärt Saiz. | |
Seit sieben Jahren sucht die spanische Regierung einen Platz, wo der Müll | |
aus den sieben spanischen Atomkraftwerken zentral gelagert werden kann. | |
Neun Dörfer haben sich beworben. Doch bisher rang sich Madrid nicht durch, | |
einem von ihnen den Zuschlag zu geben. Atommülllager sind unbeliebt. Und | |
das könnte Stimmenverluste in der betroffenen Region bedeuten. | |
Die neue Regierung des konservativen Mariano Rajoy traut sich nun. Sie hat | |
die Wahlen im November mit absoluter Mehrheit gewonnen. Nach dem | |
Ausschlussverfahren galt Villar de Cañas als Favorit. | |
Andere Dörfer mit besserer Infrastruktur lagen entweder in Regionen, wo | |
Opposition oder Nationalisten das Sagen haben, oder haben | |
Gemeindeverwaltungen, die in die Baukorruption verwickelt sind. | |
Villar de Cañas hat zwar keine Zugverbindung und auch keine Erfahrung mit | |
nuklearen Installationen - beides punktete bei der Ausschreibung -, doch | |
der Bürgermeister gehört ebenso der Partido Popular Rajoys an wie die | |
Regierung der Region Castilla-La Mancha, wo der Ort liegt. Das verspricht | |
wenig Proteste. | |
"Bei uns sind sich alle einig", erklärt Saiz zufrieden. Atommüllgegner gibt | |
es in dem Dorf, in dem meist alte Menschen leben, keine. Die Geschichte der | |
Ab- und Auswanderung ist hier lang. | |
Die meisten im erwerbsfähigen Alter arbeiten in einem der großen | |
Ballungsgebiete Spaniens. Frühere Generation gingen ins europäische | |
Ausland. | |
Saiz erwartet für die dreijährige Bauphase für die Hallen, in denen der | |
Atommüll trocken gelagert werden soll, 300 Arbeitsplätze und für den | |
Betrieb dann 150. Hinzu kommen die indirekten Arbeitsplätze, die im Ort | |
durch die neue wirtschaftliche Kraft entstehen sollen. | |
## Bürgermeister hofft auf Arbeitsplätze | |
Mit um die 1.000 rechnet der Bürgermeister. Das Atommülllager bedeutet eine | |
direkte Investition von 284 Millionen Euro. An Geld fehlt es trotz Krise | |
nicht. Das staatliche Unternehmen für Atommüll, Enresa, hat über Jahre per | |
Stromtarif die Lagerung des Mülls vorfinanziert bekommen. | |
Die Gemeinden rund um das Atommülllager sollen jährlich 6,3 Millionen Euro | |
beziehen. 2,4 Millionen gehen an die Gemeindekasse von Villar de Cañas. | |
Saiz plant ein Altersheim und andere öffentliche Einrichtungen. | |
Die mahnende Stimmen kommen von außerhalb. Für Umweltschützer in den | |
Städten Castilla-La Manchas und im nur anderthalb Autostunden entfernten | |
Madrid tut Rajoy mit der schnellen Entscheidung - der Zuschlag wurde auf | |
der zweiten Kabinettssitzung der neuen Regierung erteilt - "der | |
Atomindustrie einen Gefallen". | |
## Nur eine Zwischenlösung | |
Die neue Regierung denkt über Laufzeitverlängerungen für eigentlich | |
ausgediente Reaktoren nach. "Wir werden jetzt, wo wir den Strompreis senken | |
wollen, keinen Reaktor stilllegen", sagt Industrieminister José Manuel | |
Soria. | |
"Es handelt sich nur um eine Lösung für die nächsten 60 Jahre, was dann mit | |
den rund 7.000 Tonnen Atommüll geschehen soll, weiß keiner", beschwert sich | |
Francisco Castejón, Atomexperte der spanischen Umweltorganisation | |
Ecologistas en Acción. | |
Er verlangt einen Ausstieg aus der Atomenergie - "solange das nicht | |
geschieht, kommt ständig neuer Atommüll hinzu". Erst nach einen Ausstieg | |
könne eine endgültige Lösung für das Problem des Atommülls gefunden werden. | |
Für Mitte Februar planen Umweltschützer eine Großdemonstration. | |
11 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Reiseland Spanien | |
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