# taz.de -- Gemeinschaftsschulen Baden-Württemberg: Kaum Applaus und ein paar … | |
> Die Kultusministerin stellt die 34 neuen Gemeinschaftsschulen vor. Das | |
> grün-rote Prestigeprojekt steht in der Kritik. Die CDU spricht von | |
> verwirrendem Überschwang. | |
Bild: Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer präsentiert die 34 Gemei… | |
BERLIN/STUTTGART taz | "Das ist los in Baden-Württemberg", sagt Gabriele | |
Warminski-Leitheußer und hält eine Karte ihres Bundeslandes hoch. | |
"Starterschulen Gemeinschaftsschule 2012/13" heißt die Überschrift. | |
Eingezeichnet sind 34 blaue Häuschen. Die Kultusministerin von der SPD | |
lächelt. Es geht an diesem Montagmorgen um ihr Prestigeprojekt, um das | |
Prestigeprojekt der gesamten Landesregierung. | |
Grüne und SPD haben sich bei Regierungsantritt viel vorgenommen. Im | |
schulstrukturkonservativsten Land der Republik wollen sie eine Schulform | |
einführen, die Kinder nicht mehr wie "bewährt" nach Leistung und Begabung | |
aufteilt: die Gemeinschaftsschule. Es geht also um eine grundlegende | |
Schulreform, und an solchen haben sich schon andere Regierungen verhoben. | |
Aber nun, da Grüne und SPD ihr Wahlversprechen nach nicht einmal einem Jahr | |
einlösen, ist der Applaus mau. Denn der Auftakt zur Bildungsreform ist | |
verkorkst. Inhaltlich wie persönlich steht Warminski-Leitheußer stark in | |
der Kritik - so sehr, dass selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann | |
(Grüne) sie schon in Schutz nehmen musste. In einem Land mit | |
jahrzehntelangem dreigliedrigem Schulsystem komme es bei den jetzt | |
anstehenden Reformen "natürlich zu gewissen Reibereien", so Kretschmann. | |
Aber: "Ich beurteile die Arbeit der Kultusministerin positiv." | |
Dagegen moniert der geschäftsführende Städtetagspräsident Stefan Gläser | |
"einen verwirrenden Reformüberschwang". Zu viele Fragen seien immer noch | |
offen. Etwa welche Voraussetzungen eine Gemeinschaftsschule brauche und | |
welche Schulen Gemeinschaftsschulen werden könnten. "Die Ministerin äußert | |
sich mal so mal so", beschwert sich der CDU-Mann. | |
## Selbst die GEW übt Kritik an der Politk des Kultusministeriums | |
Doch selbst bei der Lehrergewerkschaft GEW - die Gemeinschaftsschulen | |
grundsätzlich prima findet - kommt die Politik des Kultusministeriums seit | |
einigen Wochen nicht mehr gut an. Die Schulen, die jetzt beginnen, "haben | |
nicht die Rahmenbedingungen, die sie brauchen", sagt die GEW-Vorsitzende | |
Doro Moritz. Die GEW kritisiert, dass den Lehrern kaum Zeit eingeräumt | |
werde, sich Gedanken über neue Konzepte und Materialien für das gemeinsame | |
Lernen zu machen. | |
Unklar ist laut Moritz ebenfalls, welche Aus- und Fortbildungen | |
Gemeinschaftsschullehrer erhalten und wie die Schüler bewertet werden. Mit | |
Noten oder etwa ohne Zensuren? Denn aufs Sitzenbleiben sollen die | |
Gemeinschaftsschulen verzichten. "Wir erleben, dass Lehrkräfte den | |
Gemeinschaftsschulen eher ängstlich gegenüberstehen, nicht das Vertrauen | |
gewinnen, sich auf diese Schulform einzulassen", sagt Moritz. | |
Auch die Lehrer sind also verunsichert durch das wichtigste grün-rote | |
Reformprojekt. Parallel zur inhaltlichen Diskussion läuft jetzt auch noch | |
öffentlich eine Personaldebatte über die Ministerin. | |
## Abteilung für Schulorganisation klagt über mangelndes Vertrauen | |
Die Stuttgarter Nachrichten dokumentierten kürzlich Auszüge aus dem | |
internen "Weihnachtsbrief" des Leiters der Abteilung für Schulorganisation, | |
Manfred Hahl. Dieser ist offenbar tief gekränkt über den Mangel an | |
Vertrauen bei der neuen Amtsspitze. Seinen Mitarbeitern gegenüber macht | |
Hahl jedenfalls seiner Enttäuschung über "eine bis ins Mark misstrauische | |
Amtsleitung" Luft, enttäuscht worden sei der Wille, "loyal und engagiert | |
mit der neuen Führung zusammenzuarbeiten". | |
Die hausinterne Kritik entzündete sich bereits an dem Beraterstab, den | |
Warminski-Leitheußer um sich scharte, als sie das Kultusministerium im Mai | |
von ihrer CDU-Amtsvorgängerin übernahm. Warminski-Leitheußer hatte gleich | |
neue Stellen geschaffen und mit SPD-Leuten besetzt. | |
Die Neuen hätten vor allem untereinander beraten, heißt es. Beamte | |
beschwerten sich, dass "unsere Verbesserungsvorschläge und unsere Kritik | |
nicht willkommen sind". Auch mit den fünf Abteilungsleitern soll die | |
Ministerin bis zur Veröffentlichung des "Weihnachtsbriefs" nicht unter vier | |
Augen geredet haben. Immerhin, danach kam es wohl zu einem Treffen. | |
## Warminski-Leitheußer hat das schwierigste, weil schwärzeste Haus | |
übernommen | |
Zweifel am Willen zur loyalen Zusammenarbeit sind aber tatsächlich | |
berechtigt. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit beklagte Warminski-Leitheußer, | |
dass schon damals vertrauliche Informationen der Presse zugespielt worden | |
seien. In Koalitionskreisen hieß es häufig, dass Warminski-Leitheußer das | |
schwierigste, weil schwärzeste Haus übernommen habe. | |
Kenner des Ministeriums bestreiten aber, dass das Haus ein Hort der | |
CDU-Parteigänger ist, Warminski-Leitheußer wisse den Apparat nur nicht zu | |
nutzen und sei drauf und dran, das Haus zu ruinieren. Auch in Mannheim, | |
ihrer alten Wirkungsstätte, hatte es Kritik an ihrem Führungsstil gegeben. | |
Sie fange vieles an und führe wenig zu Ende, sie sei unempfänglich für | |
Kritik. | |
In der SPD-Fraktion ist man inzwischen besorgt. Auf der internen | |
Klausurtagung in der vergangenen Woche waren die Gemeinschaftsschulen | |
Thema. Man sei weitgehend einig gewesen, dass das Konzept stimme, die | |
Probleme aber auf "Führungsschwäche" beruhten, heißt es aus SPD-Kreisen. | |
Die Fraktion wolle ihrer Ministerin nun stärker auf die Finger schauen. Das | |
Thema sei einfach zu wichtig, um es scheitern zu lassen. | |
16 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
A. Lehmann | |
N. Michel | |
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