# taz.de -- Gemeinschaftschule in Baden-Württemberg: „Ein Start mit vielen U… | |
> Erstmals können Baden-Württemberger ihre Kinder für die | |
> Gemeinschaftsschule anmelden. Das rot-grüne Prestigeprojekt muss sich nun | |
> in der Praxis beweisen. | |
Bild: Die Entwicklung und die Leistungen der SchülerInnen werden zeigen, ob da… | |
STUTTGART taz | Kopfschütteln und Gemurmel unter den Eltern. Susanne | |
Eich-Zimmermann erzählt gerade, dass sich neulich zwölf Schüler ihrer | |
Grundschule trotz einer Hauptschulempfehlung am Gymnasium angemeldet haben. | |
Am Gymnasium! Doch seit dem Wegfall der verpflichtenden Schulempfehlung | |
auch in Baden-Württemberg können Eltern ihre Kinder an jeder Schulform | |
anmelden. | |
Schulleiterin Eich-Zimmermann glaubt also, dass Leistungsunterschiede | |
künftig an allen Schulen eine Rolle spielen werden – egal ob Gymnasium oder | |
Gemeinschaftsschule. Die Grund- und Hauptschule in Steißlingen nahe dem | |
Bodensee heißt ab Herbst Gemeinschaftsschule. | |
Dort sollen künftig hauptschulempfohlene Kinder zusammen mit potenziellen | |
Gymnasiasten lernen. Damit gehört sie zu den 34 Starterschulen, die vom | |
neuen Schuljahr an das Prestigeprojekt der grün-roten Landesregierung | |
umsetzen. Es ist ein Jahr her, dass die Wähler in Baden-Württemberg für den | |
historischen Regierungswechsel gestimmt haben. | |
58 Jahre lang hatte die CDU das Land regiert, 58 Jahre lang war das | |
gegliederte Schulsystem zementiert. Und nun muss sich das erste große | |
Reformvorhaben der neuen Koalition beweisen. Denn in diesen Tagen müssen | |
die Eltern ihre Kinder auf einer weiterführenden Schule anmelden. Und | |
erstmals können sie das an einer Gemeinschaftsschule. | |
## Gut besuchte Infotage | |
Die Sorgen und Skepsis der Eltern bekommt Eich-Zimmermann an einem Abend | |
Anfang März zu spüren. Im schwarzen Hosenanzug und mit zusammengebundenen | |
schwarzen Haaren steht sie im Musiksaal ihrer Schule vor gut hundert | |
Eltern. Viel mehr, als sie erwartet hätte. Schließlich hat es bereits | |
einige Infotage gegeben. Doch das Interesse an der neuen Schulform lässt | |
nicht nach. Es sind immer wieder die gleichen Fragen, die Eich-Zimmermann | |
beantwortet. | |
Nach Schulnoten, ob die Schüler noch sitzen bleiben können und ob sich | |
nicht künftig alle nur am „schwächsten Glied“ orientieren. „Wie sollen | |
Kinder mit unterschiedlichen Kompetenzen in einer Gruppe | |
zusammenarbeiten?“, fragt ein Vater. „Denn jeder hat doch unterschiedliche | |
Ziele.“ Eine Mutter will wissen, inwiefern überhaupt Ziele definiert sind. | |
Wenn sie ihr Kind auf eine Gemeinschaftsschule schicke, will sie wissen, | |
welcher Abschluss am Ende dabei herauskommt. Für Eich-Zimmermann sind das | |
die völlig falschen Ansätze. Nach außen hin bleibt sie ruhig. Doch es ist | |
ihr anzumerken, dass ihr das nicht leicht fällt. | |
Sie macht eine Pause, schaut kurz zur Seite, dann antwortet sie: „Wir | |
können ein Ziel für ein Kind nicht in der fünften Klasse festschreiben. Da | |
ist so eine Entwicklung drin.“ Sie nimmt ihre Arme weit auseinander. Sie | |
kann nicht alle damit überzeugen. Zumindest nicht diese Mutter. Die | |
reagiert eher patzig. „Wenn man ziellos durch das Leben geht, kommt man | |
nirgendwo an.“ | |
## Ganztagsbetrieb seit fünf Jahren | |
„Auch in den Köpfen der Eltern muss sich noch viel verändern“, stellt die | |
Schulleiterin nach diesem Abend wieder einmal fest. „Die Eltern sind nun | |
mal mit dem traditionellen Schulsystem aufgewachsen. Entscheidend wird | |
letztlich sein, welche Qualität wir bieten.“ Dabei ist sie sich sicher, | |
dass ihre Schule, die schon mit Elementen der Gemeinschaftsschule arbeitet, | |
diese Qualität bietet. | |
Vor fünf Jahren hat die Schule den Ganztagsbetrieb aufgenommen, der nun für | |
alle Gemeinschaftsschulen verpflichtend wird. Dennoch weiß Eich-Zimmermann, | |
dass letztlich „ein Start mit vielen Unbekannten“ auf Eltern, Lehrer und | |
Schüler zukommt. Aber sie habe auf ihrem pädagogischen Werdegang eines | |
gelernt: „Wenn ich immer darauf warten würde, bis alle Rahmenbedingungen | |
stimmen, dann könnte ich mich nie bewegen.“ Am Ende der Woche wird sie | |
wissen, wie viele ihr folgen. | |
27 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
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