# taz.de -- die wahrheit: Präsident Leberwurst | |
> Er hat es geschafft: Martin Schulz ist Präsident des Europäischen | |
> Parlaments. Der einzige deutsche Europapolitiker, den man kennt, verdankt | |
> seine Prominenz vor allem dem Umstand... | |
Bild: Sieht nicht nur aus wie ein niederrheinischer Nacktmull, ist auch ebenso … | |
... dass er permanent von wichtigeren Leuten beleidigt wird: Berlusconi | |
verglich ihn mit einem KZ-Kapo; Jean-Marie Le Pen sagte, er spreche "wie | |
Hitler", Cohn-Bendit beschied ihm lapidar: "Halts Maul!" | |
Nun stehen gewaltige Aufgaben vor Schulz. Der streitbare "SPD-Esel" (Bill | |
Clinton) muss es schaffen, das Parlament zu konsolidieren, es gegenüber der | |
allmächtigen Kommission aufzuwerten und Europa in seiner schwersten Krise | |
zu einen. "Dass er dabei aussieht wie ein niederrheinischer Nacktmull, | |
hilft ihm da wenig", meint ein Freund; seine Feinde wollen den Aufstieg | |
"des Schuuuuuuulz!" gar nicht erst kommentieren. Der leidenschaftliche | |
Apparatschik Schulz hat sich in seiner langen Karriere viel anhören müssen. | |
Schon die Klassensprecherwahlen 1975 waren eine einzige Tortur: Aus purer | |
Gemeinheit bestätigen ihn seine Mitschüler einstimmig im Amt, und zwar nur, | |
um ihm "Wahlergebnisse wie unter Stalin" vorzuwerfen. Schlimmer wird sein | |
Eintritt in die SPD mit 19 Jahren, den seine Freunde mit unfassbaren | |
Grobheiten flankieren: "Sozi" nennen sie ihn fortan; ein hinterhältiges | |
Schimpfwort, nur eine Silbe vom "Nazi" entfernt. Als ihn ein blinder Mann, | |
dem er im Bus versehentlich auf den Fuß tritt, als "Neger" bezeichnet, | |
beginnt eine dunkle Zeit für Schulz; bedingungslos unterwirft er sich den | |
Lehren Nelson Mandelas ("Tu, was du willst, sei das einzige Gesetz"). Seine | |
Gegner in der Partei nutzen seine Schwäche, um Schulz mit einer infamen | |
Schmutzkampagne die Karriereleiter hochzutreten, bis er schließlich, auf | |
dem deutschen Städtetag, mit 31 Jahren zum "dümmsten Bürgermeister | |
Deutschlands" gewählt wird; der bisherige Tiefpunkt seiner Laufbahn. | |
Martin Schulz, dieser "politische Topflappen" (Madeleine Albright), hat | |
jetzt die einmalige Chance, Europa zu neuer Stärke zu führen. Dies will er | |
überwiegend dadurch erreichen, dass er die Wirtschaft des Kontinents nach | |
und nach auf beleidigungsbasierte Industrien umstellt. Eine Branche, die | |
derzeit einen Boom erlebt, denn noch nie wurden in Europa derart viele | |
Schmähungen produziert wie heute, und Schulz weiß, wie abhängig die | |
europäischen Infamiewirtschaften voneinander sind. So produzieren etwa die | |
Griechen inzwischen fast 80 Prozent des Jahresaufkommens der in Deutschland | |
heiß begehrten Hitlervergleiche, auf Basis von traditionellem britischen | |
Diffamierungswissen. Auch die begehrten Qualitäts-Hupanlässe, welche die | |
Scheißholländer seit dem Fall der innereuropäischen Grenzen so zuverlässig | |
wie regelmäßig liefern, will der deutsche Konsument nicht mehr missen - | |
genauso wenig beleidigte Leberwürste aus Pommern, dicke Felle aus Schweden | |
und echte Hämmer aus Irland. | |
Umgekehrt stehen derzeit deutsche Präzisionssticheleien gerade in Kulturen | |
mit vorwiegend südländisch geprägter Arbeitsmoral hoch im Kurs: Wer von | |
Politikern wie Schulz noch nicht als faul, gierig oder verlogen gescholten | |
wurde, hat bei anderen Loser-Nationen einen schlechten Stand. Doch können | |
sich auch diese mausern, wie etwa Spanien, ein Land, in welchem schon seit | |
Jahrhunderten unerhört starker Tobak angebaut wird. Hier wird gerade eine | |
neuartige Hochleistungsdiskreditierung entwickelt, die im Sommer den | |
französischen Markt überrollen soll. Angeblich geht es dabei um ein | |
wichtiges Größenverhältnis zwischen verschiedenen Körperteilen Nicolas | |
Sarkozys. | |
Das dürfte Martin Schulz ("ein Depp", Schulz über Schulz) hochwillkommen | |
sein, denn um das europäische Parlament zu stärken, muss er vor allem die | |
Macht der Regierungschefs brechen. Das kann gelingen, wenn er seine Karten | |
richtig ausspielt. So könnte er sich schon im März von David Cameron als | |
"böse und verrückt wie Göring" herabwürdigen lassen; Cameron wiederum | |
müsste von Manuel Barroso zur Ordnung gerufen werden ("Göring war nicht | |
verrückt"). In einem Streit über Haushaltsfragen mit Jean-Claude Juncker | |
könnte ihn dieser dann als "demokratischen Pol Pot" verunglimpfen, um die | |
Dänin Helle Thorning-Schmidt zu provozieren ("wenigstens sah Pol Pot gut | |
aus"). Wenn es Schulz bis zum Ende seiner Amtszeit gelingt, dass Europa | |
sich gnadenlos selbst zerfleischt, hat er sich seinen Lebenstraum erfüllt - | |
und kann als vollkommen gebrochener, tief gedemütigter Mann das Parlament | |
verlassen. | |
18 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Leo Fischer | |
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