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# taz.de -- Kommentar Affäre Wulff: Unergiebig und banal
> Die Offenlegung aller Antworten Wulffs auf Journalistenfragen ist im
> Ergebnis enttäuschend. Generell verlieren sich die Medien zunehmend in
> Details – Wulff hilft das.
Jetzt stehen sie also endlich gebündelt im Internet, die Antworten, die
Bundespräsident Christian Wulff durch seinen Anwalt in den vergangenen
Wochen auf hunderte Journalistenfragen geben ließ. Und selten war eine
Lektüre so unergiebig. Der Erkenntniswert des Konvoluts ist gering, neue
Fakten enthält es nicht. Wer die Wulff-Affäre in den Medien interessiert
verfolgt hat, weiß fast alles, was in der E-Mail-Korrespondenz steht.
Diese Erkenntnis ist erst einmal sehr banal. Selbstverständlich haben die
fragenden Medien alle relevanten Informationen aus den Antworten
veröffentlicht, das ist schließlich ihre Aufgabe. Umso irrationaler
erscheint die Aufregung der vergangenen Tage.
Politiker wie Journalisten erklärten die Veröffentlichung zur unbedingten
Notwendigkeit, ja, zur Bedingung, damit Wulff im Amt bleiben könne. Eine
absehbar unsinnige Aktion wurde zum amtsrettenden Ereignis aufgebauscht.
Der Affäre wurde damit ein absurdes Kapitel hinzugefügt: Allein die
Annahme, Wulff habe ja selbst die Veröffentlichung aller Fragen und
Antworten in seinem Fernsehinterview versprochen, ist nicht haltbar, wenn
man den genauen Wortlaut des Interviews zu Grunde legt. Dennoch taten
sowohl Medien als auch Opposition ebenjenes, zu verlockend war die Aussicht
auf neue Munition in der Affäre – das hat der Medienjournalist Stefan
Niggemeier in seinem Blog zu Recht als erster kritisiert.
## Dreiste Dummheit
Natürlich war es wieder eine dreiste Dummheit von Wulff, in diesem
Interview eine republikverändernde Transparenzoffensive anzukündigen, dann
aber nur ein paar Seiten in Juristendeutsch nachzuschieben. Aber seine
Dummheit ist keine Rechtfertigung für Wulffs Kritiker, nun sei jede Attacke
erlaubt.
Es ist gerade der Job der Medien, Irrelevantes von Relevantem zu
unterscheiden – und nur letzteres für die BürgerInnen aufzubereiten. Und zu
diesem Job gehört eben auch, manche Antwort nicht zu veröffentlichen. Weil
sie nicht aufklärt, weil sie nichtssagend ist, weil sie also zur Sache
nichts Wesentliches beiträgt.
Die Publizierung der 239 Seiten mit Fragen und Antworten ist deshalb kein
aufklärerischer Akt, zu dem Politik und Medien den Präsidenten gezwungen
haben. Es ist eine weitere absurde Wendung in einem Schauspiel, das
zunehmend an Rationalität verliert. Ebenso wie man das Konvolut lieber
nicht gelesen hätte, wäre manche vermeintliche Geschichte besser nicht
gedruckt worden, die sich – brisant aufgemacht – in Kleinteiligkeit
verliert. In der Causa Wulff ist inzwischen selbst ein geschenktes Bobbycar
eine Meldung wert.
## Fataler Effekt
Die Gefahr, die in diesen medialen Umdrehungen liegt, ist, dass eine ernste
Affäre den Ruch des Unernsten bekommt. Dass bei den BürgerInnen vor allem
ein Eindruck hängen bleibt: Die Medien betrieben eine ungerechtfertigte
Hetzjagd auf einen an sich doch sehr netten Präsidenten. Wulff, das
schuldlose Opfer – genau diese Inszenierung wünscht man sich im
Bundespräsidialamt. Und die relevanten Punkte gehen im Brei des Beliebigen
unter. Eine solcher Effekt wäre fatal.
Denn Wulff hat immer noch nicht die harten Vorwürfe gegen ihn ausgeräumt.
Bei dem umstrittenen Privatkredit vom Unternehmerpaar Geerkens weist viel
darauf hin, dass das Geld in Wirklichkeit von Wulffs Freund Egon Geerkens
stammt. Dass also die Idee, das Geld über das Konto von dessen Frau laufen
zu lassen, ein Schutzkonstrukt ist. Wenn das so ist, hat Wulff im
niedersächsischen Parlament gelogen. Auch beim späteren Kredit bei der
BW-Bank lässt Wulffs Anwalt die wichtigen Fragen offen.
Und zuletzt: Auch Wulffs Anrufe bei der Bild-Zeitung sind keine Petitessen,
sondern Beeinflussungs-, wenn nicht Zensurversuche. Gleichzeitig wird die
Aufklärung all dieser Punkte gerade behindert, wo es nur geht. Wulffs
Anwalt antwortet stets nur das Nötigste und keine Silbe zu viel, immerhin
das belegt der Frage-Antwort-Katalog eindrucksvoll. Und die die
CDU-Regierung in Niedersachsen scheint Aufklärung für überflüssig zu
halten, das hat sie im Landtag bewiesen.
Das ist die Ironie in der Affäre: Indem die Medien seit kurzem mit aller
Macht versuchen, immer neuen Kleinkram ans Licht zu zerren, wirken sie
daran mit, den öffentlichen Diskurs ins Lächerliche zu verschieben. Und sie
helfen so einem gescheiterten Präsidenten.
19 Jan 2012
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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