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# taz.de -- Besuch auf der Grünen Woche: Es geht nur um die Wurst
> Bei Besuchern der Essmesse spielen die jüngsten Lebensmittelskandale so
> gut wie gar keine Rolle
Bild: Auf der Grünen Woche wird ordentlich gefuttert.
Der Hunsrücker Spießbraten in Halle 20 ist für Bernd Nestler Tradition.
"Das esse ich jedes Jahr", sagt der Mann, der für einen Sicherheitsdienst
auf der Grünen Woche arbeitet. 3,50 Euro lässt sich Nestler das Stück
Fleisch kosten. Eine Ausnahme - ansonsten entscheidet bei ihm der Preis,
nicht der Genuss. Die Meldungen über Lebensmittelskandale "gehen da rein
und da raus", sagt der kräftige Mann und deutet hintereinander auf sein
rechtes und linkes Ohr. "Da achte ich gar nicht drauf."
Nestler ist damit keine Ausnahme auf der jährlichen Ess- und
Ernährungsmesse, die am Freitag für das Publikum öffnete: Wer bisher auf
billig gesetzt hat, interessiert sich auch trotz der zahlreichen
Lebensmittelskandale in den vergangenen Monaten nicht für Herkunft oder
Inhaltsstoffe. Geschweige denn, dass solche Verbraucher bei Fleisch und
Fisch kürzertreten würden zugunsten hochwertigerer Produkte. "Ich wäre ja
zufrieden mit einmal Fleisch in der Woche", sagt Monika Eggert. "Aber
fragen Sie mal meine Söhne!" Die Frau aus Tegel schlendert mit ihrem Mann
an den Ständen niedersächsischer Erzeuger vorbei. Den Hang zu tierischen
Produkten haben die Kinder womöglich von ihrem Vater. "Ich esse viel
Fleisch", bekennt er. "Und ich sage offen, das kaufe ich bei Kaufland."
Beim Ökometzger Neuland könnte er sich die Mengen, die er verzehrt, nicht
leisten. Weniger Tierisches essen wolle er nicht, die Söhne genauso wenig.
"Man muss die Kinder entsprechend erziehen", schaltet sich Hella Quast in
das Gespräch ein. Sie wirbt auf der Messe für ihre Apfelplantage im Alten
Land. Monika Eggert lacht etwas verlegen. "Dafür ist es jetzt zu spät." Die
Söhne sind erwachsen.
Ohnehin sind es vorwiegend ältere Menschen, die sich ab dem Vormittag auf
die Suche nach Häppchen machen. Kostenlos gibt es inzwischen fast nichts
mehr, selbst die Bierpfütze im Mini-Plastikbecher wird verkauft statt
verschenkt. Der Esslust der Massen tut das keinen Abbruch: Bei der Grünen
Woche spielt Sparsamkeit keine Rolle.
Auch für Nachdenklichkeit ist kein Platz zwischen Allgäuer Bergkäse,
Brandenburger Meerrettich und ungarischer Salami. Die Grüne Woche versucht
seit jeher, Tourismus mit Essen zu verbinden, die Suche nach Heimat mit dem
Geschmack nach derselben. Reizüberflutung ist Programm. Fleischer Dieter
Lambertz sieht seinen Stand mit Wurstwaren denn auch eher als
Tourismuswerbung für die Region. Er kommt aus St. Andreasberg, einer
malerischen, aber strukturschwachen Gegend im Harz. "Wenn irgendwo ein
Skandal war, regen sich die Menschen kurz auf, und dann vergeht das
wieder", sagt Lambertz. Wer hingegen regelmäßig zu ihm komme, frage selten
nach dem Preis.
Genauso geht es Erika Schmidt, die ihrem Sohn am Stand vom "Teltower
Rübchen" aushilft. "Das Bewusstsein ist immer nur kurzzeitig." Geld
verdiene der Biobauer dank der Stände auf Berliner Märkten; ohne die
zahlungswilligen Großstadtkunden wäre das Geschäft schwierig, sagt Schmidt.
"Ich esse sowieso nicht viel Fleisch", ist die meistgehörte Antwort auf die
Frage, wie Lebensmittelskandale das Kaufverhalten beeinflussten.
Die Schlangen vor dem Würstchenverkauf der Supermarktkette Kaisers und
anderer Fleischverarbeitungsbetriebe werden im Laufe des Nachmittags immer
länger. Auch der Hunsrücker Spießbraten bleibt begehrt. Wo die
Fleischstücke genau herkommen, fragt keiner. "Ich wüsste es auch nicht",
sagt Noni Schmelcher. Die Studentin jobbt als Verkäuferin am Stand. "Ich
esse das sowieso nicht, ich bin Vegetarierin."
20 Jan 2012
## AUTOREN
Kristina Pezzei
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