Introduction
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# taz.de -- Flugabgabe: Der klimaneutrale Bluff
> "Kompensation von CO2-Emission ist nur die zweitbeste Lösung", sagt
> Dietrich Brockhagen von atmosfair. Ein Gespräch über ökologische
> Vernunft.
Bild: Hinter den Wolken ...
taz: Ablasshandel, schlechtes Gewissen, Schmerzpille. Können Sie diese
Begriffe, als Chiffre für die CO2-Kompensation klimaschädlicher Flüge, noch
hören?
Dietrich Brockhagen: Ich verstehe, dass Journalisten das Thema plakativ
verkaufen wollen. Als Umweltschützer habe ich auch nichts gegen die
Vorstellung 'Ich bezahle für meine Sünden', solange das Geld dem Klima
nützt. Was mich stört, ist der Begriff Klimaneutralität.
Warum?
Damit wird das Gefühl verkauft, Kompensation sei schon die Lösung. Aber der
Name sagt es ja schon: Kompensation ist nur die zweitbeste Lösung.
Also kann man nicht klimaneutral fliegen?
Nein, kann man nicht, die Kondensstreifen verschwinden schließlich nicht,
wenn wir in Südafrika Windräder aufbauen. Wenn sich ein Flug nicht
vermeiden lässt, ist Kompensation aber das Beste, was man tun kann, ein
sinnvoller Klimaschutzbeitrag, aber nicht die Lösung des Problems.
Klimaneutralität suggeriert aber: das schadet dem Klima nicht.
Alle Welt gibt sich heutzutage klimaneutral: Der Vatikanstaat, die Leuphana
Universität Lüneburg, der Reiseveranstalter Studiosus, die Stadtwerke
Soest. Verkommt die Kompensation zum reinen PR-Instrument?
Es geht leider in diese Richtung. Ich mache dies vor allem an den Produkten
fest, die kompensiert werden. Wir arbeiten zurzeit an einer Studie zu den
Grenzen von Kompensation. Dabei teilen wir alle Güter und Dienstleistungen,
die man potentiell kompensieren kann, in drei Kategorien.
Welche sind das?
Unter die erste Kategorie fallen Produkte, die weder jetzt noch zukünftig
klimaverträglich sind. Das sind zum einen Güter, die niemand braucht, zum
Beispiel auf Hochglanz produzierte, auflagenstarke Postwurfsendungen oder
Plastik-Gimmicks. Und zum anderen sind das Produkte, die per se nicht
nachhaltig und für unseren Planeten nicht tragbar sind, wie starker
Fleischkonsum. Wenn alle Menschen auf der Welt so häufig Fleisch essen
würden wie wir in Deutschland, dann fährt das Klima gegen die Wand, denn
soviel CO2 kann man in Entwicklungsländern gar nicht kompensieren. Es gibt
keine technische Lösung, wir werden nicht die CO2-freie Superkuh züchten,
die keinen Darm hat und kein Abgas emittiert. Daher heißt die einzige
Lösung weniger Fleisch essen. Wir würden das falsche Signal senden, wenn
Sie jetzt ins klimaneutrale Steakhaus gehen könnten.
Das gibt es schon?
Es gibt fast alles. Sie können klimaneutralen Gletscherurlaub kaufen, ,
klimaneutrale Rosen im Winter, die Vignette fürs Auto, mit der Sie dann
40.000 Kilometer im Jahr angeblich klimaneutral fahren.
Und die zweite Kategorie?
Das sind Produkte, für die es heute schon eine gute Lösung gibt, wie für
Autofahren oder elektrischen Strom: Fahrgemeinschaften oder Erneuerbare
Energien, die tatsächlich klimaneutral sind, in Deutschland mit 15 Prozent
am Stromanteil. Um nicht in Konkurrenz mit Ökostromanbietern wie Greenpeace
Energy oder EWS zu treten, wollen wir kein CO2 von deutschem Strom
kompensieren, indem wir in Indien ein Biomassekraftwerk fördern. Es gibt
gute Lösungen, nutze sie! Nimm nicht die zweitbeste Lösung, wenn die beste
verfügbar ist und mit deinem Geld weiter entwickelt werden kann. Wir wollen
nicht die Einnahmen von atmosfair sondern Klimaschutz maximieren.
Wie beim Flugverkehr?
Genau, das ist die dritte Kategorie. Für den Flugverkehr gibt es noch keine
technische Lösung wie problemfreie Biotreibstoffe, oder das
Null-Emissions-Flugzeug. Wie es heute schon das Bahnticket mit erneuerbaren
Energien gibt, im Strombereich die Solarzellen oder Windräder, so wird es
in der Flugzeugindustrie aber irgendwann die erneuerbare Lösung geben,
vielleicht das solare Wasserstoffflugzeug. Solange es diese echte Lösung
noch nicht gibt und wenn Du den Flug nicht vermeiden willst, sage ich: Dann
gib uns Geld für die Kompensation, wir bauen damit in Nigeria effiziente
Öfen und die Nigerianer sind happy.
Wer sind die größten Klimakiller weltweit? Und wie hoch ist der Anteil des
Flugverkehrs an der Erderwärmung?
Weltweit sind das der Energiesektor und darin die Industrie, dann kommt die
Entwaldung inklusive Regenwaldzerstörung. In China wird jede Woche ein
Riesenkohlekraftwerk gebaut, den Löwenanteil macht die Verbrennung von
fossilen Brennstoffen aus. Der Flugverkehr hat bei den reinen
CO2-Emissionen einen Anteil von etwa zwei Prozent, bei der Klimawirkung,
wozu beim Flugverkehr neben dem CO2-Ausstoß auch Kondensstreifen,
Zirruswolken, Ozonaufbau in großer Höhe und Methanabbau gehören, sind es
etwa zwischen fünf und maximal 14 Prozent.
Eine recht große Spanne.
Ja, aber die Klimawirkung ist erstens deutlich größer als der reine
CO2-Ausstoß vermuten lässt. Und zweitens geht die Schere zwischen Schaden
und Nutzen beim Flugverkehr extrem auseinander. Über 90% der
Weltbevölkerung fliegt bisher nicht, vor allem in den armen Ländern. Diese
Menschen bekommen aber am stärksten den Klimawandel zu spüren, der von den
wenigen Reichen verursacht wird, die fliegen.
Was macht atmosfair mit den Klimaschutzspenden?
Wir haben im Jahr 2011 gut drei Millionen an Klimaschutzbeiträgen
eingenommen, mit denen wir 15 Klimaschutzprojekte finanzieren. Wie etwa das
Biomassekraftwerk in Indien, das jährlich etwa 600.000 Euro von uns
bekommt. In Kenia bauen wir gerade ein Projekt mit Kleinbiogasanlagen für
Milchbauern auf, mit 50.000 Euro als Startfinanzierung.
Bei einer repräsentativen TUI-Umfrage zu Reisetrends vom Oktober 2010 gaben
acht Prozent der Befragten an, künftig bei Flugreisen eine freiwillige
zusätzliche CO2-Kompensation zu leisten.
Bei einer ähnlichen Umfrage von Forsa von 2006 sagten sogar zwei Drittel
der Befragten, dass sie den Beitrag für gute Klimaschutzprojekte zahlen
würden.
Sind die Menschen wirklich bereit zu handeln, oder geben sie das in
Umfragen nur vor?
In meinen Augen sind das sozial erwünschte Antworten. Meines Wissens werden
weniger als ein Prozent der Flüge, die in Deutschland beginnen oder enden,
kompensiert. Das gilt für atmosfair und andere Anbieter zusammen gerechnet.
Kann man bei atmosfair nur Flüge kompensieren?
Nein, man kann auch Kreuzfahrten und Veranstaltungen wie Tagungen und
Kongresse kompensieren.
Für einen Hin- und Rückflug von Berlin nach Istanbul zahlt man bei
atmosfair 22 EUR, bei Lufthansa über den Emissionsrechner der Schweizer
Klimaschutzagentur myclimate 11 EUR und bei TUIfly während des
Online-Buchungsprozesses 8 EUR. Drei unterschiedliche Beträge für dieselbe
Strecke. Welcher Kunde blickt da noch durch?
Der Unterschied ist, dass wir bei der Flugberechnung neben dem CO2 die
anderen Schadstoffe nach dem Stand der Wissenschaft einbeziehen, während
unsere Mitbewerber dies nicht alle tun. Dabei berechnen wir die starke
Klimawirkung der Schadstoffe in großen Höhen ein.
Was bedeutet das?
Wir multiplizieren in Höhen über 9.000 Meter die CO2 Emissionen mit dem
Wirkungsfaktor 3. Beim Langstreckenflug kommt so ein Klimaaufschlag mit
Faktor 2,7 zum CO2 hinzu, weil dabei 90 Prozent der Abgase in großen Höhen
ausgestoßen werden. Beim Kurzflug in Deutschland verweisen wir unsere
Kunden darauf, doch lieber mit der Bahn zu fahren. Hier beträgt der
Wirkungsfaktor effektiv aber nur 1 oder 1,5, weil gar kein oder nur ein
kleiner Teil der Abgase in diesen großen Höhen ausgestoßen wird.
Woher stammt dieser Zahlenfaktor?
Weil es immer wieder Anwürfe von der Luftverkehrsindustrie gab, machte das
Bundesumweltamt in 2008 eine Expertise und legte den Faktor zwischen 3 und
5 fest. Seit über 20 Jahren gibt es Studien vom Deutschen Zentrum für Luft-
und Raumfahrt, aus den USA und so weiter zur erhöhten Klimawirkung des
Flugverkehrs, die seit 1999 in Berichten des Weltklimarats IPCC
veröffentlicht werden. Aufgrund der Forschung kennen wir heute die
wesentlichen qualitativen Effekte wie die Entstehungsprozesse von
Kondensstreifen, während es quantitativ noch Unsicherheiten gibt.
Vor einem Jahr haben Sie den Atmosfair Airline Index (AAI), ein
Umweltranking für Fluglinien, veröffentlicht. Was war der Grund, diese
Studie durchzuführen?
Es gibt ja diesen schönen Dreiklang: Erst vermeiden, dann reduzieren, dann
kompensieren. Das Kerngeschäft von atmosfair ist die Kompensation, und das
Vermeiden haben wir durch Umsteuern auf Videokonferenzen bei
Unternehmenskunden auch im Programm. Das Reduzieren fehlte noch, das haben
wir uns mit dem Airline Index vorgenommen.. Die Effizienzberechnung
funktioniert ähnlich wie beim Kühlschrank nach der Formel CO2 pro Nutzlast
und Kilometer. Beim AAI können die Passagiere vergleichen, welche der
Airlines, die ihr Reiseziel anfliegen, insgesamt wie effizient ist und dann
die sparsamere, weniger umweltschädliche Airline wählen.
Gewonnen hat die britische Monarch Airlines, Condor belegte den zweiten
Platz, während Lufthansa abgeschlagen auf dem 52. Platz von 116 getesteten
Airlines unsanft landete. Was hat Condor, was die Lufthansa nicht hat?
Condor hat die bessere Hardware, das heißt die deutlich modernere Flotte.
Auch haben sie Maschinen mit aerodynamischen Flügelspitzen, den Winglets,
nachgerüstet, dadurch verbrauchen diese etwa zwei Prozent weniger
Treibstoff. Lufthansa fliegt das ganze Spektrum, von den modernsten
Maschinen bis zu alten Boeing 737. Dadurch sinkt der Mittelwert bei
Lufthansa. Condor hat zudem die bessere Auslastung, obwohl sie es als
Charter natürlich einfacher hat als die Liniengesellschaft Lufthansa. Aber
das bewerten wir nicht.
Im November ging atmosfair eine Kooperation mit dem Verband Deutsches
Reisemanagement (VDR) ein. Warum?
Wir haben mit dem VDR einen Standard herausgebracht zum Thema
CO2-Berechnung bei Geschäftsreisen. Große Unternehmen, die in Aktienindizes
wie dem Dow Jones Sustainability gelistet sein wollen, müssen über ihre
Klimastrategie und ihre CO2-Emissionen Rechenschaft ablegen. Denn sie
stehen im Wettbewerb um Investoren und Kunden. Deshalb wollte der VDR als
Service für seine Unternehmen ein Tool anbieten, wie CO2-Emissionen sauber
bilanziert werden können. In Deutschland gab es im Jahr 2010 fast 160
Millionen Geschäftsreisen. Bei über 300 Millionen Teilnehmern, darunter gut
fünf Prozent aus dem Ausland, kann man die Klimawirkung der CO2-Emissionen
allein der Flugreisen zu Konferenzen in Deutschland auf etwa 30 Megatonnen
schätzen. Das ist ungefähr soviel, wie die Einwohner von Berlin in einem
ganzen Jahr verursachen.
Neben den Klimaschutzprojekten betonen Sie stets die Bewusstseinsbildung
als zweites Standbein von atmosfair.
Jeder Besucher kann auf unserer Webseite die Klimabilanz seines Fluges
ausrechnen. Dieses Standbein würden wir gefährden, wenn wir nicht mehr die
ökologische Wahrheit sagen nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft. Wir
dürfen nicht das Gefühl vermitteln, ach die Kompensation kostet nur sieben
Euro, ist ja schön, wenn sie in Wirklichkeit aber 30 Euro kosten müsste.
Wenn wir nicht die Preiswahrheit bei einem freiwilligen Instrument sagen,
wie wollen wir dann hoffen, dass je eine angemessene Flugklimasteuer
akzeptiert wird.
Wie versuchen Sie, atmosfair bekannter zu machen?
Wir sind schon bekannter als das die unmittelbare Wirkung über die
eingenommenen Klimaschutzbeiträge signalisiert. In den Abflughallen der
Flughäfen von Hamburg und Stuttgart hängen große Werbeplakate und
LCD-Screens mit der Botschaft von Prominenten: Ich fliege schon atmosfair
und auch Du kannst deinen Klimaschutzbeitrag hier und sofort per SMS
bezahlen.
Welche Promis haben Sie als Zugpferde schon gewonnen?
Der Bundesligaclub Hamburger SV fliegt komplett mit atmosfair. Auch
Fußballnationalspieler wie Holger Badstuber von Bayern München, Künstler
wie der Filmregisseur Sönke Wortmann oder die Schauspieler Judith Döker und
Daniel Brühl kompensieren ihre Flüge und werben für atmosfair. Ich kann
jetzt nicht alle nennen, aber für alle gilt, sie machen das kostenlos und
man nimmt es ihnen ab.
Chinesen und Inder werden zukünftig mehr reisen und fliegen. Sind
Klimaschutzspenden hiesiger Lohas nicht Peanuts angesichts der
prognostizierten gewaltigen Explosion des asiatischen Reisemarktes?
Ja klar, absolut gesehen sind das Peanuts. Wenn Sie als Person im Jahr
insgesamt neun Tonnen CO2 emittieren, wird man diese im Meer der globalen
Klimatonnen nie registrieren, trotzdem sind Sie allein auf Ihren Flug für
fünf Tonnen verantwortlich. Alles was ich tue ist Peanuts, wenn ich mich
mit China vergleiche. Ihre Entscheidung ist aber eben nicht globalisiert,
sondern Sie treffen sie individuell. Bezogen auf China sind das dann 0,0
Prozent, aber bezogen auf das, was Sie auf der Welt ändern können sind es
100 Prozent.
28 Jan 2012
## AUTOREN
G. Ermlich
E. Kresta
## TAGS
Ökologischer Fußabdruck
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finden das "ehrlich".
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